Vuelta 202212 Momente & Menschen der Spanien-Rundfahrt

Andreas Kublik

 · 13.09.2022

Vuelta 2022: 12 Momente & Menschen der Spanien-RundfahrtFoto: Getty Velo

Die Vuelta a Espana 2022 endete mit dem Gesamtsieg von Remco Evenepoel. TOUR blickt auf 12 Momente und Menschen der Spanien-Rundfahrt zurück.

Start der Vuelta 2022 in den Niederlanden

Auch die dritte große Landesrundfahrt 2022 startet im Ausland. Nach dem Giro d’Italia (in Ungarn) und der Tour de France (in Dänemark) geht‘s bei der Vuelta in den Niederlanden los.

Eigentlich war der Start dort schon 2020 geplant - wurde allerdings wegen der Pandemie um zwei Jahre verschoben. Standesgemäß gewinnt das einheimische Team Jumbo-Visma das Mannschaftszeitfahren zum Auftakt - in Utrecht streift der Niederländer Robert Gesink das erste Rote Trikot über. Die Teamkollegen hatten ihn als Ersten über die Ziellinie fahren lassen.

Die ersten drei Etappen der Vuelta 2022 führten durch die NiederlandeFoto: Getty Velo
Die ersten drei Etappen der Vuelta 2022 führten durch die Niederlande

Bennett is back

Er ist zurück an der Spitze: Sam Bennett, 2020 bester Sprinter bei der Tour de France und Gewinner des Grünen Trikots, fährt nach zwei Jahren Pause und dem Wechsel von Quick-Step zurück zum Team Bora-Hansgrohe bei der Vuelta 2022 wieder ein dreiwöchiges Etappenrennen.

Gleich die ersten Chancen nutzt der 31-jährige Ire - er setzt sich auf der zweiten und dritten Etappe als Schnellster durch. Vor der 10. Etappe ist er aus dem Rennen - wegen eines positiven Corona-Tests. Insgesamt scheiden bei dieser Vuelta 24 Teilnehmer nach positiven Tests aus.

Sam Bennett (Bildmitte) bei seinem Sieg auf der 2. Etappe der Vuelta 2022Foto: Getty Velo
Sam Bennett (Bildmitte) bei seinem Sieg auf der 2. Etappe der Vuelta 2022

Zwei-Klassen-Gesellschaft bei den Teams

Nach den ersten drei Etappen der Vuelta 2022 wechselte das Peloton von einer Radsportnation in die nächste: Aus den Niederlanden ins Baskenland, wo die radsportverrückte Bevölkerung stets auf große Autonomie innerhalb Spaniens pocht. Viele Radprofis stammen aus dem grünen Norden der iberischen Halbinsel - das Team Euskaltel-Euskadi gilt als Ausbildungsstätte.

Nach dem zwischenzeitlichen Abstieg ist der Rennstall mit den Rennfahrern in den orangefarbenen Trikots seit 2020 wieder ein Profiteam. Doch während früher Radprofis in Orange Bergetappen bei Giro d’Italia und Tour de France gewannen, waren die Männer von Euskadi bei dieser Vuelta nur Füllmasse. Wie die anderen kleinen spanischen Teams Burgos-BH und Equipe Kern Pharma erhielten sie vom Veranstalter Unipublic eine Einladung per Wildcard.

Doch diese Pro-Teams sind im immer professioneller werdenden Radsport gegen die Weltspitze mittlerweile weitgehend chancenlos - bei Finanzen und Kader klafft zwischen erster und zweiter Liga eine große Lücke. Euskadi & Co. dürfen chancenlose Ausreißergruppen besetzen und können so immerhin die Sponsorenlogos bei der Vuelta 2022 im TV platzieren.

Die kleineren Teams hatten bei der Vuelta kaum etwas zu meldenFoto: Getty Velo
Die kleineren Teams hatten bei der Vuelta kaum etwas zu melden

Die Entdeckung der Vuelta 2022: Jay Vine

Aus dem Wohnzimmer auf den Gipfel - so wird der Aufstieg von Jay Vine in manchen Medien kommentiert. Zwar war der 26-jährige Australier in seiner Heimat schon Radrennen gefahren - den Weg in den Profiradsport schaffte er erst, als er 2020 das Zwift-Academy-Programm gewann und dadurch einen Vertrag beim Team Alpecin erhielt.

Im zweiten Jahr als Profi in Europa gelingt ihm der Durchbruch. Aus dem Nebel am Pico Jano taucht er als Erster auf und feiert auf der 6. Etappe der Vuelta 2022 seinen ersten Profisieg. Zwei Tage später gewinnt er die nächste Bergankunft und übernimmt auch das Bergtrikot, ehe er auf der 18. Etappe in einem Massensturz verwickelt wird und das Rennen aufgeben muss.

Jay Vine gewann die 6. Etappe der Vuelta zum Pico JanoFoto: Getty Velo
Jay Vine gewann die 6. Etappe der Vuelta zum Pico Jano

Reifeprüfung für Evenepoel

Er kam, sah und siegte. So sah das bei Remco Evenepoel bei den Junioren aus, wo er nach Belieben gewann, regelmäßig dem Peloton als Solist davonfuhr und die WM-Titel im Straßenrennen und Einzelzeitfahren gewann. Patrick Lefevere, Chef des belgischen Rennstalls Quick-Step, sicherte sich das heimische Supertalent - Evenepoel unterschrieb als bis daher jüngster Radprofi mit 18 einen Vertrag in der World-Tour.

Als Profi machte er gleich weiter: Sieg bei der Clasica San Sebastian, Europameister und Vize-Weltmeister im Einzelzeitfahren - mit gerade mal 19 Jahren. Der Absturz folgte 2020: Bei der Lombardei-Rundfahrt in der Abfahrt von der Colma di Sormano verschätzte er sich in einer engen Kurve und stürzte mehrere Meter tief von einer Brücke - Beckenbruch, achtmonatige Rennpause.

Es hätte schlimmer kommen können. Sein Comeback war gleich seine erste Grand-Tour: Beim Giro d’Italia 2021 ging ihm früh die Puste aus - Schotterstraßen, Monte Zoncolan, Dolomitenpässe zermürbten ihn - schließlich Aufgabe nach Sturz. Zur Vuelta 2022 kehrte er als “Remco Evenepoel 2.0” (Teamchef Lefevere) als Klassementfahrer zurück - etwas schwerer, aber zäher und im Kopf gereift. Trotz eines nicht herausragenden Teams gewann er am Ende souverän - als erster Belgier seit Freddy Maertens 1977 die Spanien-Rundfahrt.

Belgien stand kopf - schließlich hatte kein Landsmann seit 1978 irgendeine Grand-Tour gewonnen. Evenepoel, gerademal 22 Jahre alt, stark im Einzelzeitfahren und am Berg, gilt nun als künftiger Herausforder von Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard im Kampf um den Gesamtsieg bei der Tour de France. Ein ausführliches Porträt des Siegers gibt es in TOUR 10/2022.

Remco Evenepoel gewann das Einzelzeitfahren auf der 10. EtappeFoto: Getty Velo
Remco Evenepoel gewann das Einzelzeitfahren auf der 10. Etappe

Marco Brenner - Talentprobe bei der Premiere

Erster Start bei einem dreiwöchigen Etappenrennen: Marco Brenner ist bei seinem Grand-Tour-Debüt gleich mehrfach in Ausreißergruppen, belegt bei der Bergankunft in den Penas Blancas (12. Etappe) Rang fünf, nur 34 Sekunden hinter Tagessieger Richard Carapaz.

Der Auftritt war ein Ausrufezeichen. Zimmergenosse und DSM-Teamkollege John Degenkolb lehrt den Youngster zudem drei Wochen lang das Einmaleins des Grand-Tour-Fahrens. Hinter dem drittplatzierten Spanier Juan Ayuso (20 Tage später geboren) ist Brenner zweitjüngster Teilnehmer der Vuelta 2022 (siehe Interview in der Printausgabe von TOUR 10/2022).

Marco Brenner bestritt bei der Spanien-Rundfahrt seine erste Grand TourFoto: Getty Velo
Marco Brenner bestritt bei der Spanien-Rundfahrt seine erste Grand Tour

Der schnellste Mann der Vuelta 2022: Mads Pedersen

Der Weltmeister von 2019 füllt das Vakuum, dass Sam Bennett durch sein coronabedingtes Ausschieden hinterlässt. Wenige weitere Topsprinter stehen am Start - Tim Merlier und Pascal Ackermann fehlte bei dieser Vuelta die Maximalgeschwindigkeit, um den Dänen in Diensten des Teams Trek-Segafredo zu bezwingen. Pedersen gewinnt drei Etappen (13., 16. und 19.) und am Ende auch das Grüne Trikot des Punktbesten - mit riesigem Vorsprung.

Mads Pedersen fuhr bei der Vuelta 2022 dreimal als Erster über den ZielstrichFoto: Getty Velo
Mads Pedersen fuhr bei der Vuelta 2022 dreimal als Erster über den Zielstrich

Bruchpilot: Primoz Roglic

In den vergangenen drei Jahren konnte niemand Primoz Roglic in Spanien folgen. Der 32-jährige Slowene gewann die Vuelta dreimal in Serie und galt auch diesmal als Topfavorit. Doch schon früh entwischt ihm Newcomer Remco Evenepoel am Berg und auch im Einzelzeitfahren. Bei den schweren Bergankünften in der Sierra de la Pandera und der Sierra Nevada drehte der Jumbo-Profi den Spieß um, gewann Zeit zurück.

Auch auf der 16. Etappe der Vuelta 2022 entwischte er dem Rivalen am kurzen Anstieg Richtung Ziel - doch im Sprint einer Fünfergruppe kollidierte er mit Bahrain-Profi Fred Wright und schlägt hart auf den Asphalt. Wieder einmal hat sich Roglic durch einen Sturz um seine Chancen gebracht - zur nächsten Etappe tritt er nicht mehr an. Der Weg für Evenepoel ist endgültig frei.

Primoz Roglic nach seinem Sturz kurz vor dem Ziel der 16. EtappeFoto: Getty Velo
Primoz Roglic nach seinem Sturz kurz vor dem Ziel der 16. Etappe

Freeclimber Richard Carapaz

Vor dem Vuelta-Start gilt der Olympiasieger und Gewinner des Giro d’Italia 2019 neben Primoz Roglic als Topfavorit auf den Gesamtsieg. Doch der 29-jährige Ecuadorianer verliert auf den ersten Etappen viel Zeit - ehe er sich richtig warmgefahren hat: Der Profi vom Team Ineos Grenadiers nutzt die Freiheiten, die ihm das Peloton gewährte, gewann aus Ausreißergruppen drei Bergetappen bei der Vuelta 2022 und das blau gepunktete Trikot für den besten Kletterer.

Richard Carapaz im Trikot des Führenden in der BergwertungFoto: Getty Velo
Richard Carapaz im Trikot des Führenden in der Bergwertung

Juan Ayuso - Teenager auf dem Podium der Vuelta 2022

Die Entdeckung dieser Vuelta: Juan Ayuso galt schon als Junior als herausragendes Rundfahrttalent, weshalb sich das UAE Team Emirates von Tadej Pogacar früh die Dienstes des Spaniers sicherte. Am Ende profitiert der Spanier als Gesamtdritter hinter Landsmann Enric Mas auch vom Sturz-Aus des besser platzierten Primoz Roglic.

Aber ein Teenager, der stets in Sichtweite der Besten bleibt, stark am Berg und Sechster im Einzelzeitfahren? Das hat man selten gesehen. Der Katalane, am 16. September 2002 in Barcelona geboren, ist frühreif und dürfte den spanischen Fans noch viel Freude bereiten.

Zum Vergleich: Tadej Pogacar war fast genau ein Jahr älter, als er 2019 bei seinem ersten Grand-Tour-Start als Dritter abschloss. Wer jemals jünger auf dem Podium einer großen Landesrundfahrt stand? Henri Cornet. Der Franzose gewann in fast dem gleichen Alter die Tour de France. Das war im Jahr 1904.

Juan Ayuso war die Entdeckung der VueltaFoto: Getty Velo
Juan Ayuso war die Entdeckung der Vuelta

Alejandro Valverde - letzte Runde

Er könnte der Vater von Vuelta-Sieger Evenepoel sein. Alejandro Valverde ist mittlerweile 42 Jahre alt - 20 Jahre älter als der Belgier. Jetzt ist für den Radprofi Schluss - am Ende der Saison sind seine Tage als Berufsradsportler gezählt. Nach der letzten Etappe der Vuelta 2022 in Madrid ehrten die Organisatoren Spaniens herausragenden Radprofi auf dem Siegerpodium.

Valverde schält sich vor dem Publikum aus Trikots, die von seiner unglaublich erfolgreichen Karriere künden: Goldfarbenes Trikot für den Vuelta-Sieg 2009 (damals trug der Gesamtführende Goldgelb statt Rot), Regenbogentrikot für den WM-Sieg 2018. In Spanien scheint fast vergessen, dass Valverde wegen der Verwicklung in den Fuentes-Dopingskandal zwei Jahre gesperrt war.

Teamkollege und Vuelta-Zimmergenosse Enric Mas spricht eine Laudatio: “Alles was ich gelernt habe, habe ich zu 90 Prozent von Alejandro gerlernt. Er ist Radprofi vom Scheitel bis zur Sohle. Ich kann jedem Jungprofi nur empfehlen, einen Tag mit ihm zu verbringen.”

Alejandro Valverde stand in Madrid ein letztes Mal auf dem Podium der VueltaFoto: Getty Velo
Alejandro Valverde stand in Madrid ein letztes Mal auf dem Podium der Vuelta

Beste Frau: Annemiek van Vleuten

Sie ist nur gut zwei Jahre jünger als Alejandro Valverde. Aber im Frauen-Radsport bleibt Annemiek van Vleuten die Referenz. Nach dem Giro d’Italia und der Neuauflage der Tour de France der Frauen ist sie auch im Frauenrennen der Vuelta eine Klasse für sich.

Wenige Wochen vor ihrem 40. Geburtstag fährt die Niederländerin vom Team Movistar auf der topographisch schwersten Etappe allen Konkurrentinnen auf und davon gewinnt mit mehr als zwei Minuten Vorsprung. In Madrid feiert sie den Gesamtsieg vor Elisa Longo Borghini (Trek-Segafredo) und Demi Vollering (SD Worx).

Was bei den Männern als historischer Triple-Sieg gelten würde, ist bei den Frauen sicher nicht vergleichbar. Statt drei Wochen dauern die Frauen-Rennen der großen Landesrundfahrten zehn Tage (Giro), acht Tage (Tour) und in Spanien gar nur fünf Tage - und das Hochgebirge wurde nur beim Giro durchfahren.

Das Podium der Vuelta der Frauen (von links nach rechts): Elisa Longo Borghini, Annemiek Van Vleuten und Demi VolleringFoto: Getty Velo
Das Podium der Vuelta der Frauen (von links nach rechts): Elisa Longo Borghini, Annemiek Van Vleuten und Demi Vollering

Ergebnisse der Vuelta 2022

  • Etappe 1 | Sieger: Jumbo-Visma | Rotes Trikot: Robert Gesink | Zum Rennbericht
  • Etappe 2 | Sieger: Sam Bennett | Rotes Trikot: Mike Teunissen | Zum Rennbericht
  • Etappe 3 | Sieger: Sam Bennett | Rotes Trikot: Edoardo Affini | Zum Rennbericht
  • Etappe 4 | Sieger: Primoz Roglic | Rotes Trikot: Primoz Roglic | Zum Rennbericht
  • Etappe 5 | Sieger: Marc Soler | Rotes Trikot: Rudy Molard | Zum Rennbericht
  • Etappe 6 | Sieger: Jay Vine | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 7 | Sieger: Jesus Herrada | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 8 | Sieger: Jay Vine | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 9 | Sieger: Louis Meintjes | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 10 | Sieger: Remco Evenepoel | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 11 | Sieger: Kaden Groves | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 12 | Sieger: Richard Carapaz | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 13 | Sieger: Mads Pedersen | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 14 | Sieger: Richard Carapaz | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 15 | Sieger: Thymen Arensman | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 16 | Sieger: Mads Pedersen | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 17 | Sieger: Rigoberto Uran | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 18 | Sieger: Remco Evenepoel | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 19 | Sieger: Mads Pedersen | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 20 | Sieger: Richard Carapaz | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht
  • Etappe 21 | Sieger: Juan Sebastian Molano | Rotes Trikot: Remco Evenepoel | Zum Rennbericht

Alle Ergebnisse der Vuelta 2022 gibt es auch hier nochmal ausführlich in der Übersicht.