Tour de France 202212 Momente & Menschen der Frankreich-Rundfahrt

Andreas Kublik

 · 12.09.2022

Tour de France 2022: 12 Momente & Menschen der Frankreich-RundfahrtFoto: Getty Velo

Die Tour de France 2022 hatte viel zu bieten. TOUR lässt die Frankreich-Rundfahrt Revue passieren und blickt auf 12 Erkenntnisse der Frankreich-Rundfahrt.

Wer kann Pogacar schlagen?

Vor dem Start der 109. Auflage der Tour de France gab es eine große Frage: Wer soll die Siegesserie des frühreifen Tadej Pogacar beenden? Der Slowene trat beim Grand Départ in Kopenhagen als zweimaliger Sieger des wichtigsten Radrennens der Welt an - und das im zarten Alter von 23 Jahren. Am Ende der drei Wochen hatte er im Dänen Jonas Vingegaard seinen Meister gefunden, der den vermeintlichen Unschlagbaren auf zwei Bergetappen deutlich distanzierte - als Schlusspunkt stürmte der neue Mann in Gelb zum Etappensieg bei der letzten Bergankunft in Hautacam (siehe Foto).

Jonas Vingegaard auf dem Weg nach HautacamFoto: Getty Velo
Jonas Vingegaard auf dem Weg nach Hautacam

Dänemark feiert & begeistert bei der Tour de France 2022

Die drei Tage zum Auftakt der Tour begeisterten: In Dänemark standen die Radsportfans in dichten Reihen entlang der Strecke - und Magnus Cort Nielsen liefert eine One-Man-Show für seine Landsleute. Auf den welligen Straßen Dänemarks sammelte der Radprofi vom Team EF Education-EasyPost mit langen Ausreißversuchen emsig Bergpunkte.

Und er stellte einen Rekord auf: Erstmals gewann ein Radprofi elf Bergwertungen in Folge - auch wenn sie alle nur zur niedrigsten, der vierten, Kategorie zählten. Das Bergtrikot musste er nach der 9. Etappe an Simon Geschke abgeben. Später gewann Cort Nielsen aber noch die Bergetappe nach Megève im Sprint einer Ausreißergruppe.

Magnus Cort Nielsen bei der Fahrt durch das dänische FahnenmeerFoto: Getty Velo
Magnus Cort Nielsen bei der Fahrt durch das dänische Fahnenmeer

Schlechte Karten für die Sprinter

Hier bin ich: Fabio Jakobsen (Team Quick-Step-Alpha Vinyl) holte sich bei seiner ersten Tour-Teilnahme den Sieg im ersten Massensprint in Nyborg/Dänemark. Der 25-jährige Niederländer hatte bei einem schweren Sturz bei der Polen-Rundfahrt 2020 lebensgefährliche Verletzungen erlitten und sich zurück ins Profi-Peloton gekämpft. Auf der 17. Etappe durch die Pyrenäen erreichte Jakobsen als Letzter das Ziel - ganze 15 Sekunden vor dem Zeitlinit.

Für die Sprinter gab es bei dieser Tour wenig zu feiern - insgesamt endeten bei dieser Grande Boucle nur vier Tagesabschnitte in einem echten Massensprint. Nach Jakobsen war zweimal der Belgier Jasper Philipsen (Alpecin-Deceuninck) der Schnellste, einmal der Niederländer Dylan Groenewegen (BikeExchange-Jayco). Mark Cavendish, im Vorjahr mit vier Etappensiegen herausragend, wurde von seinem Team Quick-Step nicht berücksichtigt. Damit hatte der 37-jährige Brite keine Chance, seinen eigenen Rekord von 34 Tagessiegen zu verbessern - er teilt sich die Marke weiterhin mit Eddy Merckx.

Fabio Jakobsen bei seinem Sieg auf der 2. EtappeFoto: Getty Velo
Fabio Jakobsen bei seinem Sieg auf der 2. Etappe

Pechvogel Lennard Kämna

Kämpferisch: Nach seinem Tagessieg beim Giro d’Italia im Mai ging Lennard Kämna auch bei der Frankreich-Rundfahrt auf Etappenjagd. Am siebten Renntag erreichte er als Ausreißer die letzte Rampe auf dem Weg zum Ziel auf dem Super Planche des Belles Filles als Erster. Doch auf dem geschotterten und bis zu 24 Prozent steilen Abschnitt bei der Bergankunft in den Vogesen stürmte Tadej Pogacar vorbei und schnappte dem Bremer den Etappensieg um 14 Sekunden weg.

Das war Enttäuschung Nummer eins. Auf der 10. Etappe wartete Kämna, Teil einer Ausreißergruppe, im Ziel fast neun Minuten auf die Ankunft des Feldes mit den Favoriten um Tadej Pogacar und wurde wieder enttäuscht: Elf Sekunden fehlten, um ins Gelbe Trikot zu schlüpfen. “Ich bin der Meinung, dass ich da ins Gelbe Trikot hätte fahren können, wenn ich alles richtig gemacht hätte. Aber es gab ein paar taktische Fehler, das tut dann am Ende ganz schön weh”, sagte Kämna mit Abstand in einem Interview mit Radio Bremen. Vor der 16. Etappe musste er wegen einer Erkältung aufgeben.

Lennard Kämna wurde auf dem Weg zur Super Planche des Belles Filles kurz vor dem Ziel eingeholtFoto: Getty Velo
Lennard Kämna wurde auf dem Weg zur Super Planche des Belles Filles kurz vor dem Ziel eingeholt

Offensiv & vielseitig: Team Jumbo-Visma bei der Tour de France 2022

Großangriff: Das Team Jumbo-Visma nahm Titelverteidiger Pogacar auf der 11. Etappe von Albertville zum Col du Granon in die Zange. Abwechselnd attackierten Primoz Roglic und Teamkollege Jonas Vingegaard (im Vordergrund) schon sehr früh bei der Fahrt über Col de Télégraphe und Col du Galibier den Mann im Gelben Trikot, der jedoch nicht abzuschütteln war. Zunächst.

Am Schlussanstieg zum Col du Granon, an dem einst Bernard Hinault die Tour de France 1986 gegen Greg Lemond verlor, brach Pogacar ein - zuviel Kraft hatte er als Einzelkämpfer gegen die Jumbo-Übermacht investieren müssen. Vingegaard stürmte zum Etappensieg und ins Gelbe Trikot.

Die Attacken von Team Jumbo-Visma auf der 11. Etappe setzten Tadej Pogacar zuFoto: Getty Velo
Die Attacken von Team Jumbo-Visma auf der 11. Etappe setzten Tadej Pogacar zu

Alleskönner Pidcock siegt in Alpe d’Huez

Akrobatisch und riskant: Tom Pidcock, Mountainbike-Olympiasieger und amtierender Cyclocross-Weltmeister, beherrscht auch die Fahrtechnik auf schmäleren Reifen. Der Radprofi vom Team Ineos Grenadiers attackierte in der Abfahrt vom Col du Galibier, stürmte aus dem Feld mit den Favoriten nach vorne zu einer Spitzengruppe. Am Ende der Königsetappe der Tour de France 2022 kletterte der 23-jährige Engländer zu seinem ersten Tour-Etappensieg - und das gleich in Alpe d’Huez.

Tom Pidcock in der Abfahrt von GalibierFoto: Getty Velo
Tom Pidcock in der Abfahrt von Galibier

Heiße Party entlang der Kehren

Hitze und Menschenmassen - das prägte die Fahrt nach Alpe d’Huez, wo sich die Rennfahrer den Weg durch eine schmale Gasse im Fanspalier bahnen mussten. Holländer-Kurve und Norweger-Kurve sind längst weltberühmt, als Schauplätze von Open-Air-Parties am Streckenrand der Tour de France. Beide liegen an der Bergstraße nach Alpe d’Huez und deren - laut offizieller Zählweise - 21 Kehren. Im dritten Jahr der Pandemie wurde wieder ausgelassen gefeiert. Der Ausschluss der Zuschauer stand anders als in den Vorjahren nicht mehr zur Debatte.

Auf der 12. Etappe ging es nach Alpe d’HuezFoto: Getty Velo
Auf der 12. Etappe ging es nach Alpe d’Huez

Geschke kämpft - vergeblich

Verbissen kämpfte Simon Geschke Tage um das gepunktete Trikot des besten Kletterers - vergeblich. Am Schluss ging dem 36-jährigen Freiburger die Kraft aus. Zwar durfte der das Leibchen als erster Deutscher bis Paris tragen - aber am Ende nur noch stellvertretend für Jonas Vingegaard, der sich neben der Gesamt- auch die Bergwertung dieser Tour sicherte. Geschke schaffte neun Tage im gepunkteten Leibchen - das ist deutscher Rekord. Aber es bleibt dabei: Noch nie hat ein Deutscher die Bergwertung bei der Tour de France gewonnen.

Simon Geschke im Bergtrikot der Tour de FranceFoto: Getty Velo
Simon Geschke im Bergtrikot der Tour de France

Corona dezimiert das Peloton bei der Tour de France 2022

Der einst beste Rundfahrtspezialist im Peloton kämpft noch immer um sein Comeback: Chris Froome, Tour-Sieger in den Jahren 2013, 2015, 2016 und 2017, hat nach einem schweren Trainingssturz im Jahr 2019 mit komplizierten Knochenbrüchen sein altes Niveau nicht wieder erreicht. In Alpe d’Huez wurde er nach großem Kampf Tages-Dritter und sendete ein sportliches Lebenszeichen.

Danach folgte ein Rückschlag: Der mittlerweile 37-jährige Radprofi vom Team Israel-Premier Tech musste das Rennen nach einem positiven Corona-Test vor der 18. Etappe verlassen. Er war einer von 17 Teilnehmern, die wegen dieser Virus-Infektion die Tour nicht beenden konnten. Ebenfalls vom Virus zur Strecke gebracht: Enric Mas und Max Walscheid. 135 Rennfahrer erreichten Paris - so wenige wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr.

Chris Froome auf dem Weg nach Alpe d’HuezFoto: Getty Velo
Chris Froome auf dem Weg nach Alpe d’Huez

Grün bedeutet Vielseitigkeit

Das Grüne Trikot hatte viele Jahre lang den Ruf, die Auszeichnung für den besten Sprinter der Tour zu sein. Doch genaugenommen werden nicht unbedingt Sprintfähigkeiten in dieser Punktwertung belohnt. Es geht auch um Vielseitigkeit - gerade bei der diesjährigen Tour, deren Strecke wenige Chancen für die Topsprinter ließ. Wout van Aert war verdienter Sieger dieser Wertung.

Der Belgier darf aktuell als bester Allrounder im Straßenradsport gelten. Während der Tour gewann er einmal als Ausreißer im Finale nach Calais (4. Etappe), einmal im Sprint in Lausanne und dazu das 40,7 Kilometer lange Einzelzeitfahren auf der 20. Etappe (im Bild). Und fast nebenbei leistete er für Teamkollege Jonas Vingegaard wertvolle Hilfe. Als er auf der letzten Bergetappe im Schlussanstieg die Tempoarbeit für den Mann in Gelb lieferte, war das Tempo selbst für Pogacar zu hoch, der abreißen lassen musste. Der Belgier beendete die Bergankunft in Hautacam als Tagesdritter. Van Aert hat aus dem Kampf um Grün eine Vielseitigkeitsprüfung gemacht.

Wout van Aert stellte auch im Einzelzeitfahren seine Klasse unter BeweisFoto: Getty Velo
Wout van Aert stellte auch im Einzelzeitfahren seine Klasse unter Beweis

Erfolgstrio feiert in Paris

Die Klassenbesten der Tour 2022 in Paris: Gesamtsieger Jonas Vingegaard gewann neben Gelb auch das gepunktete Trikot des besten Kletterers, das daher bei der Siegerehrung mit einem Torso als Träger vorliebnehmen musste. Wout van Aert schnappte sich als zweiter herausragender Vertreter des vielseitigen und angriffslustigen Teams Jumbo-Visma erstmals das Grüne Trikot - Vorjahressieger Pogacar musste mit dem Gewinn des Weißen Trikots des besten Nachwuchsfahrers unter 25 Jahren vorliebnehmen.

Vingegaard gegen Pogacar - das könnte das Duell um den Gesamtsieg bei der Tour in den kommenden Jahren sein. Beide sind herausragende Kletterer und starke Zeitfahrspezialisten. Die Mannschaftswertung ging an Ineos Grenadiers um den Gesamtdritten Geraint Thomas.

Foto: Getty Velo

Nachspiel für Quintana

Nachspiel: Nairo Quintana fuhr eine starke Tour de France - wurde bei der Bergankunft am Col du Granon Zweiter und erreichte Paris als Gesamtsechster. Vorläufig. Der 32-jährige Kolumbianer war während der Tour bei Tests zweimal positiv auf das Schmerzmittel Tramadol. Quintana beteuerte, er habe das Mittel nie wissentlich zu sich genommen. Dennoch wurde er nachträglich disqualifiziert, alle Ergebnisse der Tour aberkannt.

Eine Sperre erhält er nicht. Offiziell gilt es nicht als Dopingfall. Tramadol steht nicht auf der Dopingliste der Welt-Antidoping-Agentur WADA (Stand bei Redaktionsschluss) - das medizinische Reglement des Radsport-Weltverbands UCI verbietet aber Tramadol im Renneinsatz, weil unter anderem die Koordination beeinträchtigt wird. Ob Tramadol wirklich nicht zum Doping taugt? Medizinische Studien sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Tramadol durchaus leistungssteigernd bei Radsportlern wirken kann.

Nairo Quintana wurde nachträglich aus der Ergebnisliste der Tour de France 2022 gestrichenFoto: Getty Velo
Nairo Quintana wurde nachträglich aus der Ergebnisliste der Tour de France 2022 gestrichen

Ergebnisse der Tour de France 2022

  • Etappe 1 | Sieger: Yves Lampaert | Gelbes Trikot: Yves Lampaert | Zum Rennbericht
  • Etappe 2 | Sieger: Fabio Jakobsen | Gelbes Trikot: Wout van Aert | Zum Rennbericht
  • Etappe 3 | Sieger: Dylan Groenewegen | Gelbes Trikot: Wout van Aert | Zum Rennbericht
  • Etappe 4 | Sieger: Wout van Aert | Gelbes Trikot: Wout van Aert | Zum Rennbericht
  • Etappe 5 | Sieger: Simon Clarke | Gelbes Trikot: Wout van Aert | Zum Rennbericht
  • Etappe 6 | Sieger: Tadej Pogacar | Gelbes Trikot: Tadej Pogacar | Zum Rennbericht
  • Etappe 7 | Sieger: Tadej Pogacar | Gelbes Trikot: Tadej Pogacar | Zum Rennbericht
  • Etappe 8 | Sieger: Wout van Aert | Gelbes Trikot: Tadej Pogacar | Zum Rennbericht
  • Etappe 9 | Sieger: Bob Jungels | Gelbes Trikot: Tadej Pogacar | Zum Rennbericht
  • Etappe 10 | Sieger: Magnus Cort Nielsen | Gelbes Trikot: Tadej Pogacar | Zum Rennbericht
  • Etappe 11 | Sieger: Jonas Vingegaard | Gelbes Trikot: Jonas Vingegaard | Zum Rennbericht
  • Etappe 12 | Sieger: Thomas Pidcock | Gelbes Trikot: Jonas Vingegaard | Zum Rennbericht
  • Etappe 13 | Sieger: Mads Pedersen | Gelbes Trikot: Jonas Vingegaard | Zum Rennbericht
  • Etappe 14 | Sieger: Michael Matthews | Gelbes Trikot: Jonas Vingegaard | Zum Rennbericht
  • Etappe 15 | Sieger: Jasper Philipsen | Gelbes Trikot: Jonas Vingegaard | Zum Rennbericht
  • Etappe 16 | Sieger: Hugo Houle | Gelbes Trikot: Jonas Vingegaard | Zum Rennbericht
  • Etappe 17 | Sieger: Tadej Pogacar | Gelbes Trikot: Jonas Vingegaard | Zum Rennbericht
  • Etappe 18 | Sieger: Jonas Vingegaard | Gelbes Trikot: Jonas Vingegaard | Zum Rennbericht
  • Etappe 19 | Sieger: Christophe Laporte | Gelbes Trikot: Jonas Vingegaard | Zum Rennbericht
  • Etappe 20 | Sieger: Wout van Aert | Gelbes Trikot: Jonas Vingegaard | Zum Rennbericht
  • Etappe 21 | Sieger: Jasper Philipsen | Gelbes Trikot: Jonas Vingegaard | Zum Rennbericht

Alle Ergebnisse der Tour de France 2022 gibt es auch hier in ausführlicher Form nachzulesen.