Robert Kühnen
, Julian Schultz
· 02.11.2022
Auf der Stelle treten und trotzdem viel erleben – Rollentrainer-Software ermöglicht es, drinnen virtuelle Strecken nachzufahren und kurzweilig zu trainieren. Bei unzähligen Testfahrten haben wir folgende Programme und Apps getestet: Bkool, IC Trainer, MyWhoosh, Rouvy, VirtuPro, Wahoo RGT, Wahoo SYSTM und Zwift.
Nicht jeder ist so hart wie Graeme Obree. Der Schotte, der die Radsportwelt und insbesondere die Wächter der Regeln durch immer neue Vorstöße in Regellücken herausforderte und in den 1990er-Jahren zeitweilig den Stundenweltrekord hielt, absolvierte Indoortraining der härtesten Art: ohne Ablenkung – so hat er es jedenfalls selbst geschildert. Vor der weißen Zimmerwand hart zu treten, erfordert aber enormen Willen. Normalsportlern fällt das Training auf der Stelle deutlich leichter, wenn das Hirn Futter bekommt: Video, Animation und Ton helfen, die Aufmerksamkeit wegzulenken von schmerzenden Beinen und anderen Zipperlein, hin zu Action oder zumindest interessanter Unterhaltung. So wird Trainieren zu Hause erträglich bis kurzweilig. Software-Entwickler haben dafür verschiedenste Lösungen geschaffen. Im Kern steuert die Software die Bremse des Smarttrainers und regelt den Fahrwiderstand passend zu dem, was auf dem Bildschirm passiert – entweder werden virtuelle Strecken nachgefahren oder Intervalltrainings visuell aufbereitet.
Im besten Fall vergisst man, dass man zu Hause im Wohnzimmer sitzt und vor dem Bildschirm kurbelt. Die Täuschung kann sogar so weit gehen, dass das Gleichgewichtsorgan auf einer virtuellen Achterbahn Probleme bekommt.
Radsport ist auf diesem Wege auch zu einem E-Sport geworden, mit regelmäßigen Rennen und Meisterschaften. Und mancher Fahrer verdient dort schon besser als auf der Straße. Die E-Sport-Programme werden als Abo angeboten und sind mit den meisten Laptops, Tablets und Smartphones kompatibel. Die Tücke kann aber im Detail stecken, da Trainer (und dessen Software), Computer und die Software der virtuellen Welt für ein ruckelfreies Erlebnis zusammenarbeiten müssen. Das klappt meistens, aber nicht immer. Die kostenlose Testphase in der virtuellen Welt sollte deshalb dazu genutzt werden, das Zusammenspiel der heimischen Konfiguration zu prüfen. Denn so motivierend das Onlinetraining sein kann: Nichts ist demotivierender als technische Defekte auf dem Wohnzimmerteppich – um dann am Ball zu bleiben, muss man noch härter sein als Graeme Obree.
Damit Sie, werte Leserschaft, nicht jede einzelne Trainingssoftware und App ausprobieren müssen, um das geeignete Programm für Ihr Rollentraining zu finden, haben wir in vielen Stunden Testfahrten und mit jeder Menge Schweißeinsatz die folgende Software und Apps für smarte Rollentrainer ausprobiert, ein Klick auf den Link führt Sie direkt zum entsprechenden Abschnitt:
Nur in den 3D-Welten radelt man an der Seite von Avataren
Der „realistischste Simulator auf dem Markt“, so Bkool, punktet vor allem mit einer schieren Flut an Strecken: Mehr als acht Millionen (!) sollen es nach Angaben des spanischen Herstellers sein, die als Videos, 3D-Animationen oder Landkarten bereitgestellt werden – und täglich kommen neue hinzu, da jeder Nutzer (Video-)Routen hochladen kann. Auch Workouts können selbst erstellt werden, rund 120 Einheiten sind voreingestellt. Für spezielle Spinningkurse wird zusätzlich die App „Bkool Fitness“ benötigt. Die Personalisierung ist ein nettes Feature, allerdings etwas umständlich, da man dafür die App verlassen und den Video-Editor oder die Homepage besuchen muss. Auch für die Teilnahme an Events muss man den Umweg über die Homepage gehen. Insgesamt wirkt die Menüführung deshalb etwas unübersichtlich. Wer die nötige Geduld aufbringt, dem bietet die App aber alle Funktionen einer modernen Trainingssoftware. Speziell die Videoansicht lenkt gut vom Treten in den eigenen vier Wänden ab, die 3D-Animation zeigt hingegen zu wenig Details. Und für das Nachfahren einer Landkarte muss die eigene Schmerzgrenze schon sehr niedrig liegen; bei unseren Tests war auf diesen Strecken auch sehr wenig los.
+ extrem viele Strecken
- unübersichtliches Menü, holperige Fahrdynamik
Kostenlose Rollentrainer-Software, die mit lukrativen Rennen lockt
Seit drei Jahren ist MyWhoosh auf dem Markt, in Europa fliegt das Programm aber etwas unter dem Radar. Ein möglicher Grund: Die Spielwelten beschränkten sich auf trostlose Wüstenlandschaften in den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem Sitz des Herstellers. Mit Australien gibt es seit Sommer eine dritte Welt, weitere sollen folgen. Insgesamt stehen aktuell 675 Kilometer auf 30 Kursen zur Verfügung. Das Fahrverhalten ist dank Windschatteneffekt realitätsnah. Das Programm, das (bis auf MacOS) auf allen gängigen Systemen läuft, lockt nicht nur mit einem kostenlosen Zugang, sondern auch mit lukrativen Rennen. Beim „Sunday Race Club“ wird monatlich ein Preisgeld von 96.000 US-Dollar (ca. 100.000 Euro) vergeben – eine Anfrage nach dem Finanzierungsmodell blieb unbeantwortet. Die Hürden für die Teilnahme liegen hoch: Neben der technischen Ausstattung – unter anderem wird ein zweiter Leistungsmesser verlangt – muss die aufgezeichnete FIT-Datei zur Verifizierung übermittelt werden. Für die Anmeldung fordert MyWhoosh zudem ein Video, das den Radsportler beim Wiegen zeigt. Einfacher gelöst ist der Zugang zum Trainingsangebot. Die mehr als 700 Workouts – entwickelt vom ehemaligen Profi-Coach Kevin Poulton – lassen kaum Wünsche übrig. Wenn doch, können eigene Pläne erstellt werden.
+ kostenlos, großes Trainingsangebot
- monotone Spielwelten, nur in englischer Sprache
Kein Schnickschnack: Trainingsangebot mit abgefilmten Straßen oder Video-Streaming im Hintergrund
„Just train, no game“ – hiermit wirbt die deutsche Softwareschmiede. Geboten wird Intervalltraining, unterlegt mit Videos und Musik. Das Videomaterial besteht aus abgefilmten Radausfahrten auf Mallorca, den Kanaren und weiteren Orten, darunter Klassiker wie der lange La-Calobra-Anstieg auf Mallorca. Einige Besonderheiten unterscheiden den IC Trainer von anderen Angeboten: Nach dem Download einer Trainingseinheit kann man damit auch offline trainieren, außerdem lassen sich zwei Smarttrainer parallel mit einer Lizenz steuern. Hinzu kommt ein Jahres-Abo, das weniger kostet als zwei Monate bei Zwift und anderen Mitbewerbern. 165 Workouts sind vorgefertigt, selbst erstellte lassen sich hinzufügen. Die Trainingsoberfläche lässt sich minimieren, sodass im Hintergrund auch anderes Videomaterial geschaut werden kann – idealerweise auf größeren Bildschirmen. Auf kleineren Geräten wie Tablets ist die Nutzeroberfläche schnell überfrachtet und die Schaltflächen werden winzig. Der Animationseffekt ist gering, aber der praktische Nutzen hoch. Auch der Support stimmt, nach einem Absturz der Software kam gleich eine Nachfrage.
+ preiswert, Offline-Modus, Paar-Training
- überfrachtete Oberfläche
Dank vieler Rennen und „Familienzugang“ eine interessante Alternative für Rennrad-Clubs
Mit seinem Avatar den Mont Ventoux oder das Stilfser Joch erklimmen: Das tschechische Unternehmen Rouvy macht’s möglich – dank hochauflösender Videos und ansprechender Fahrdynamik auch ziemlich realitätsnah. Die Anzeige der Steigungsprozente oder Geschwindigkeit fällt dagegen etwas klein aus. Sehr gut funktioniert das Windschatten-Feature, bei dem man spürbar weniger treten muss. Neben Rennrad-Klassikern stehen unzählige (unbekannte) Strecken zur Auswahl, insgesamt lassen sich mehr als 15.000 Kilometer nachfahren – alleine oder in der Gruppe. Im Testzeitraum war die Plattform jedoch schlecht besucht. Das große Angebot an Rennen überzeugt, unter anderem kann die Vuelta virtuell nachgefahren werden. Die Software ist jedoch nicht besonders intuitiv. So erschließt sich nicht sofort, welche Funktion in der App oder auf der Website zur Verfügung steht. Bei den Trainingsprogrammen sind 120 Workouts voreingestellt; wie die Gruppenausfahrten und Rennen lassen sie sich auch selbst erstellen oder importieren. Großer Pluspunkt ist der „Familienzugang“: Drei Personen können sich das Abo auf bis zu fünf unterschiedlichen Geräten teilen und damit Kosten sparen.
+ unterhaltsam, Offline-Modus, Familienzugang
- virtuelle Strecken, meist menschenleer (jedenfalls in unserem Testzeitraum)
Sich einmal mit (virtuellen) Profis messen
Einmal Mark Cavendish absprinten? Die Tour de France gewinnen? Die Software VirtuPro, basierend auf der Grafik des Spiels „Radsport Manager“, macht’s möglich. Die wichtigsten Profirennen, von eintägigen Frühjahrsklassikern bis zu den dreiwöchigen Rundfahrten, sind im Maßstab 1:5 nachempfunden. Die virtuelle Renndynamik überzeugt mit Ausnahme gelegentlicher Tempoverschärfungen zur Mitte des Rennens, die Einteilung in Leistungsgruppen erlaubt es in VirtuPro, die passende Stärke des Pelotons auszuwählen. Zukünftig soll es auch eine begleitende App (Sidekick) geben, die allerdings noch nicht verfügbar ist.
Mit den Übernahmen von der Trainingsplattform The Sufferfest und der virtuellen Radfahrsoftware RGT Cycling hat Wahoo beides in ein gemeinsames Abo fürs Indoor Cycling gesteckt. Mit Wahoo X bekommen Smarttrainer-Nutzer Zugang zu beiden Softwares. Mehr zu Wahoo RGT und Wahoo SYSTM lesen Sie in den nachfolgenden Abschnitten.
Avatare und Bots fahren in animierter Landschaft – zum Spaß oder um die Wette
Die RGT-Welt ist wie Systm (siehe unten) Teil des Wahoo-Universums und im Abo-Preis für Systm inklusive. Der Schwerpunkt hier liegt auf animierten Welten mit Avataren. Zwölf berühmte Straßen, wie den Anstieg nach Alpe d’Huez oder die Runde zum Cap Formentor auf Mallorca, hat RGT realitätsnah animiert. Das bedeutet: Sehr realistische Fahrdynamik mit geschmeidigen Bewegungen des Avatars sowie gut kalkulierten Windschatten- und Bremseffekten. Hier kann man frei fahren oder Intervalle trainieren. Spannend ist aber vor allem die Möglichkeit, das Profil eines hochgeladenen GPX-Tracks nachfahren zu können. So lassen sich Rennstrecken nachfahren oder vorab trainieren. Eigene Strecken kann man solo fahren oder als Events, mit Freunden, Bots (programmiert auf das gewünschte Leistungsniveau) oder auch öffentlich ausgeschrieben. Mit einigen Klicks bastelt man sich seine eigene Veranstaltung, die als gemeinsame Ausfahrt gestaltet werden kann, aber auch als Rennen. Die eigenen Strecken werden nach dem Zufallsprinzip animiert, Steigungen und Kurven entsprechen der GPX-Vorlage, die Landschaft dazu malt RGT. Inmitten des Feldes selbst generierter Bots könnte man glatt vergessen, dass man im Grunde gegen sich selbst fährt.
+ Animation, gute Fahrdynamik, kurzer Weg zur eigenen Veranstaltung
- wenige ausgestaltete Strecken, nur in Englisch
Ein motivierendes und vielfältiges Programm mit Schwerpunkt videountermaltes Intervalltraining
Vielfältige, systematische Trainings plus motivierendes bis unterhaltendes Videomaterial – das ist die Systm-Formel. Motivation war das Hauptthema von Sufferfest, einer Software, die in Wahoo aufging. Treibende Musik, motivierende Trainer, packende Szenen. Diese Mischung zündet immer noch. Die Ansprache ist motivierend und die Oberfläche sehr gut gemacht: Man ist jederzeit im Bilde, wann das nächste Intervall kommt und wie lange es dauert. Voraussetzung, um das Ganze genießen zu können: gute Englischkenntnisse, denn die Plattform arbeitet bislang ausschließlich mit der englischen Sprache, eine deutsche Übersetzung ist in Arbeit. Highlight: Onboard-Bilder aus Profirennen; das Powerprofil des Rennens wird angepasst an die eigene FTP (funktionelle Schwellenleistung). So fährt man aus der subjektiven Perspektive ein Finale mit, hört den sportlichen Leiter im Funk und tritt härter, als man es eigentlich vorhatte. Es gibt aber auch ruhige Sessions mit Radsportfilmen als Hintergrund. In der Summe sind es 328 Trainingseinheiten. Hinzu kommen Anleitungen zu Yoga, Kraft- und Mentaltraining sowie Schwimmen und Laufen.
+ animierend und umfangreich
- nur auf Englisch
Gaming trifft Sport: Rasen und Punkte sammeln in animierten Fantasiewelten
Die Zwift-Welten entspringen teils der Fantasie von Designern, teils bilden sie reale Strecken nach: Es gibt fantastische Berge, Dschungelstrecken, unermüdlich Lava spuckende Vulkane, eine Prise Wildwest, gläserne Pfade über New York, asiatisch geprägte Strecken und reale Orte wie Salzburg oder London. Die verfügbaren Welten wechseln täglich und bieten eine Spielfläche für freie Fahrten und Rennen. Die Anmutung ist die eines Videospiels. Im nächsten Level kann man sich die Socken aussuchen oder coolere Laufräder ins Rad stecken. Zwift hat viele Mitglieder. Hier tummeln sich täglich Tausende Avatare, hinter denen echte Menschen stecken, bisweilen wird es voll auf den Straßen. Über die Companion-App auf einem zweiten Gerät kann man mit Mitfahrern kommunizieren. Vorspulen geht nicht; wer in entlegene Ecken des Zwift-Reiches fahren will, muss ernsthaft treten. Anreize, härter zu treten, sind zahlreich, die nächste Wertung ist nie weit weg. Trainingsstrukturen bietet Zwift auch, aber der Fokus liegt klar auf dem Gaming. Technisch läuft das meistens glatt.
+ hier ist immer was los
- Software startet langsam
Robert Kühnen, TOUR-Autor: “Die Software ist zugänglicher und bedienbarer geworden. Im besten Fall liegen nur wenige Minuten zwischen Anmeldung und erster Fahrt. Frust-Erlebnisse sind dennoch möglich. Deshalb ohne Zeitdruck installieren, am besten nach einem ausgiebigen Training draußen.”
Julian Schultz, TOUR-Testredakteur: “Indoortraining ist langweilig! Diesen Vorwurf hört man unter Rennradlern immer wieder. Dabei überzeugen viele Programme längst mit animierenden und interaktiven Spielwelten. Und: Um im Winter fit zu bleiben, gibt es kaum ein effektiveres Training als auf der Rolle.”