Konstantin Rohé
· 25.11.2021
Die Software RGT will mehr Realismus als Zwift bieten und lockte 2021 mit einem großen Relaunch. Seit Frühjahr 2022 gehört RGT zu Wahoo und bekommt einen neuen Namen: Wahoo RGT. Alle Funktionen der virtuellen Trainingsplattform im Test.
Größtmöglicher Realismus ist das erklärte Ziel von RGT Cycling, das 2018 als "Road Grand Tours" vom Software-Developer Alex Serban gegründet wurde. Im Gegensatz zu Zwifts bunter Spielewelt setzt die Software ausschließlich auf reale Strecken und auf eine sehr realistische Fahrdynamik. Die Nutzung der grundlegenden Funktionen seit Beginn der Corona-Krise 2020 kostenfrei anzubieten, war ein cleverer Schritt.
Mit der Übernahme von RGT durch Wahoo im April 2022 ändert sich der Name in Wahoo RGT. Damit wird die Trainingsplattform SYSTM von Wahoo durch virtuelle Trainings- und Rennsimulationen der RGT-Software ergänzt und Wahoo will den Branchenprimus Zwift Konkurrenz machen. Der neue Abo-Dienst von Wahoo heißt Wahoo X, darunter laufen die beiden Plattformen SYSTM und RGT parallel. Die beiden Softwares sind für iOS, Android, Mac und Windows verfügbar. Es gibt einen zweiwöchigen Testzugang. Ein Premiumzugang für Wahoo X kostet pro Monat 14,99 US-Dollar plus landesspezifische Steuern, was etwa 15,50 Euro entspricht. Wer das Wahoo X-Abo für ein Jahr abschließt, zahlt 134 Euro für das Jahresabo.
Knappe zwei Jahre lang war bei der Nutzung von RGT Cycling neben der Desktop-Version auch die Smartphone-App nötig, um sich durchs Menü zu navigieren. Diese unnötige Aufteilung auf zwei Endgeräte haben die Macher mit dem jüngsten Update im November 2021 endlich ein Ende gesetzt. Obendrauf gab's neue Strecken, reichlich mehr Material zur Auswahl - darunter ein Canyon Aeroad - und eine Fülle an Trikotsets, die wohl aufzeigt, dass RGT Cycling den Konkurrenzkampf mit Zwift noch nicht aufgegeben hat. Dazu gibt’s Material von Adidas, Lazer und DT Swiss.
Diese Neuerungen bringen mehr Individualisierungsmöglichkeiten und auch wesentlich mehr Abwechslung, wozu auch die steigende Anzahl an Events beiträgt. Der Eventkalender ist nun analog zu Zwift direkt nach dem Öffnen des Programms übersichtlich eingebunden. Die Rennen selbst können eine wachsende Teilnehmerzahl verzeichnen, wenngleich sie vom Level eines Zwift-Rennens noch weit entfernt sind.
Das ganz große Plus im Zwift-Vergleich: RGT Cycling gibt's auch weiterhin in einer kostenfreien Version. Hier sind zwar die Funktionen eingeschränkt (limitierte Strecken, limitierte Workouts, keine Möglichkeit selbst Events zu erstellen, kein Zugriff auf Magic Roads), aber die Abostruktur erlaubt auch Indoor-Neulingen oder gelegentlichen Indoor-FahrerInnen die Option ins Spiel reinzuschnuppern - sogar im Rahmen von Gruppenfahrten. Das macht RGT Cycling auch für Vereine attraktiv, denn grundsätzlich wäre ein Vereinsmitglied mit Premiumzugang ausreichend, um die digitalen Teamausfahrten zu organisieren; der Rest könnte mit kostenfreiem Zugang teilnehmen.
Die Streckenauswahl ist mittlerweile auf zehn Kurse angewachsen, darunter bekannte Strecken wie die malerische Route zum Cap Formentor auf Mallorca, der Anstieg zum Stelvio, der unverkennbare Mont Ventoux oder Schleife über den Paterberg, einer der Scharfrichter der Flandernrundfahrt.
Optisch sind alle Strecken auf Top-Niveau: Sowohl die Anstiege zum Mount Ventoux und zum Stelvio, als auch der Gravelkurs in der Toskana oder die wellige Route zu Mallorcas Cap Formentor bieten ein atmosphärisches Erlebnis, das dem Indoor Cycling bisher fremd war. Einzig die beiden Kriteriumskurse in London und Berlin werden aufgrund der kurzen Distanz schnell monoton. Auf den langen Strecken gibt es regelmäßigen Abständen Strava-Segmente, das eingeklinkte Leaderboard spornt zu Höchstleistungen an. Von den beiden Rundkursen abgesehen, hat der User die Wahl seine Fahrt an verschiedenen Punkten zu beginnen, sich gerade aktiven Fahrern anzuschließen oder direkt an den Beginn eines Strava-Segments zu springen – ein Feature, das mehr Abwechslung bringt.
Mit dem neuen "Magic Roads"-Feature ist es zudem möglich eigene Strecken zu kreieren. Das geht zwar nicht im Detailreichtum von Computerspiel-Klassikern wie Sims, Rollercoaster-Tycoon oder anderen Strategie-Spielen, aber immerhin verschafft es Abwechslung, wenn die zehn regulären Kurse langweilig zu werden drohen.
Und so funktioniert's: Man lädt ein gpx-File hoch (einzige Voraussetzung: Unter 100 Kilometer - Rundkurse werden automatisch erkannt, wenn Start und Ende nahe beieinander liegen) und kann nur wenige Stunden später auf der originalgetreuen Nachbildung trainieren. Große Atmosphäre liefert die Animation dann zwar nicht, da keine weitere Umgebung dargestellt wird. Dennoch ist das Feature eine gute Möglichkeit sich zielgerichtet auf bestimmte Veranstaltungen oder Rennen vorzubereiten. Und: Man kann per einfachem Klick Events erstellen und auf den "Magic Roads" mit oder gegen andere User fahren.
Während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 wurden zeitweise auch Events der deutschen U23-Radbundesliga auf der Plattform ausgetragen. Ein Indiz, dass die digitale Darstellung hohen Ansprüchen genügt. Denn die Bewegungen des Avatars sind tatsächlich so ausgetüftelt wie bei keiner anderen Software: Ein Sprint unmittelbar vor scharfen Kurven ist nutzlos, da einberechnet wird, dass der Fahrer die Kurven anbremsen muss – die Wattanzeige leuchtet dann rot auf. Je nach Terrain und Geschwindigkeit wechselt der Avatar automatisch die Griffposition und geht in den Wiegetritt. Die Namensanzeige über dem Avatar gibt neben dem aktuellen Power-Output auch an, wie gut man den Windschatten des Vordermannes nutzt. Das macht das Rennerlebnis deutlich realistischer und mehr taktisch geprägt als bei Zwift, wo man auch Steilkurven mit über 40 Kilometern pro Stunde durchfliegt. Auch das von Zwift bekannte "Überlappen" mehrerer Avater gibt es in dieser Form bei RGT nicht. Entsprechend wichtiger werden die Positionskämpfe in der Gruppe. Ein klares Plus, für alle wettkampferprobten Fahrer.
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