Andreas Kublik
· 16.09.2022
Die Rad-WM 2022 beginnt am 18. September mit den Wettbewerben im Einzelzeitfahren. Jens Voigt, der die Rennen als Experte bei Eurosport kommentiert, stellt seine fünf WM-Favoriten vor und vergibt Sterne. Desto mehr Sterne, desto höher ist der Fahrer einzuschätzen.
Olympiasieger Primoz Roglic lässt die Rad-WM in Australien aus. Wout Van Aert, zuletzt zweimal WM-Zweiter im Kampf gegen die Uhr, konzentriert sich in Wollongong ganz auf das Straßenrennen. Die Deutschen haben im Jahr eins nach dem Rücktritt von Tony Martin keinen Medaillenkandidaten in ihren Reihen.
WM-Achter 2021
An seinem 24. Geburtstag ist der junge Brite für mich mein Außenseiter-Tipp unter den Favoriten der Rad-WM. Er war bereits zweimal britischer Meister im Einzelzeitfahren. Er hat unter anderem den aktuellen Stundenweltrekordler Dan Bigham deutlich geschlagen. Und man darf nicht vergessen: Bigham berät Hayter und Ganna als Mitarbeiter beim Team Ineos Grenadiers in Aerodynamik-Fragen.
Wir hatten Bigham gerade in unserem Podcast (Voigt macht einen Radsportpodcast mit dem einstigen Teamkollegen und Freund Bobby Julich - Titel: “BobbyandJens”; Anm. d. Red.). Ich bin bei meinem Stundenweltrekord 413 Watt im Schnitt gefahren bei Tempo 51. Bigham hat bei uns gesagt, er habe für seine 55,548 km/h nur 355 Watt Durchschnittsleistung gebraucht. Er meint, mit seinem Wissen und Material und meinem Körper wären wir 60 gefahren! Also: Der Ingenieur Bigham ist ein Schlüssel zu den Erfolgen von Hayter und Ganna.
WM-Siebter 2021; Europameister 2022
Ich denke, Stefan Bissegger ist ein Kandidat für Rang drei bei der Rad-WM. Ich halte ihn im Moment für einen Tick besser als seinen Landsmann Stefan Küng. Wenn er nicht gestürzt wäre, wäre er beim Auftaktzeitfahren der Tour de France um den Sieg gefahren. Ich halte ihn für etwas robuster als seinen Landsmann Stefan Küng und daher bei der WM als stärker einzuschätzen.
Aber wenn ich ein Buch über Radsport schreiben würde, dann würde ich ein Foto von Küng nehmen, um zu zeigen, wie man richtig auf einem Zeitfahrrad fährt - sehr ästhetisch! Beide Schweizer sind reine Spezialisten - Schweizer Uhrwerke, bei denen aber kein Sand ins Räderwerk kommen darf.
Je ein Etappensieg im Einzelzeitfahren bei der Tour de France 2020 und 2021
Wir haben den Slowenen im Sommer länger nicht mehr gesehen, aber er wird bei der Rad-WM gut sein. Die Form stimmt, wie sein Sieg beim Eintagesrennen GP Montreal eine Woche vor der WM beweist. Zudem hat Pogacar mehrfach gezeigt, dass er auch aus dem Training heraus wettbewerbsfähig ist. Im Vergleich zu Ganna oder dem Schweizer Stefan Küng (beide 1,93 Meter groß; Anm. d. Red.) ist er so ein kleiner Windhund, der sehr gut Zeitfahren kann, auch bei unangenehmem Wind.
WM-Zweiter 2019; WM-Dritter 2021
Ich hätte bei der Rad-WM eigentlich einen Zweikampf zwischen dem amtierenden König Filippo Ganna und Remco Evenepoel erwartet. Aber nach der Ankündigung des Weltrekordversuchs steht für mich Ganna eine Stufe über dem Belgier. Der ist aber gerade derart im Flow, nachdem er die Vuelta gewonnen und dort im Einzelzeitfahren auch Olympiasieger Primoz Roglic deutlich distanziert hat. Die Leistung in Spanien war für mich beeindruckend.
Weltmeister 2020 und 2021, WM-Dritter 2019
Der Titelverteidiger ist mein Topfavorit für diese Rad-WM. Ihn zeichnet aus, dass er in den großen Momenten nicht versagt - ähnlich wie früher Fabian Cancellara (Olympiasieger 2016, viermaliger Weltmeister im Einzelzeitfahren; Anm. d. Red.). Er hat eine lange Saison gehabt - sein Team Ineos Grenadiers will, dass er im Frühjahr bei den Klassikern in Form ist und im Herbst noch eine WM-Medaille im Einzelzeitfahren holt.
Es deutet allerdings daraufhin, dass er sich sehr gut in Form fühlt: Zwei Tage vor dem Rennen bei der Rad-WM habe ich auf Twitter gelesen, dass er jetzt doch den Stundenweltrekord angreift - am 8. Oktober auf der Bahn in Grenchen (Schweiz). Die aktuelle Bestmarke von 55,548 km/h schlägt man nicht im Vorbeigehen - das hätte er bei meiner Marke noch drei Tage hintereinander geschafft (Voigt fuhr im Jahr 2014 mit 51,115 km/h Weltrekord; Anm. d. Red.).