Manuel Jekel
, Kristian Bauer
· 14.09.2022
Ob auf Asphalt, Feld- oder Waldwegen: Das Gravelbike ist das Rennrad für alle Fälle und damit gerade schwer angesagt. Was ist beim Kauf zu beachten? Worauf kommt es beim Rahmen an? Was ist bei der Gravelbike-Ausstattung wichtig? Wir geben Tipps.
Was genau ein Gravelbike ist, ist nirgends geregelt. Einig sind sich die Fahrradhersteller nur darüber, dass Gravelbikes einen typischen Rennradlenker, breitere Reifen (ab 37 Millimeter), Scheibenbremsen und eine Schaltung haben, die auch leichte Gänge für steile Anstiege im Gelände bereithält. Die Sitzpositionen und der von den Herstellern anvisierte Einsatzbereich sind jedoch sehr unterschiedlich. Von ihrem Urahn, dem klassischen Cyclocross-Rennrad, haben sich viele Gravelbikes inzwischen weit entfernt.
Der Reiz der Fahrradgattung der Gravelbikes liegt darin, dass sie sich auf keinen Einsatzzweck richtig festlegen lässt. Als Trainingsgerät für die flotte Feierabendrunde ist das Gravelbike genauso geeignet wie fürs Pendeln zur Arbeit, kurze Wochenend-Trips, lange Radreisen und Bikepacking-Abenteuer. Dieser Universalansatz trifft ganz offensichtlich einen Nerv und überzeugt viele beim Radkauf, zu einem Gravelbike zu greifen.
Weil sich der Werkstoff frei formen lässt, kann ein Gravelbike-Rahmen aus Carbon komfortabler abgestimmt werden als einer aus Aluminium. Für einen Alu-Rahmen wiederum spricht neben dem Preisvorteil: Er ist vor allem robuster. Ein Sturz oder Kettenklemmer verursacht maximal eine Beule im Rohr oder einen Kratzer im Gravelbike-Rahmen – bei einem Carbonrahmen kann es im ungünstigen Fall zum Totalschaden führen.
Im Prinzip sind Straßen-Rennradgruppen wie die Shimano 105 auch für Gravelbikes und Fahrräder, die nicht ausschließlich auf Asphalt gefahren werden, eine prima Wahl. Ihre Scheibenbremsen sind super, die Schaltung ist präzise und leichtgängig. Weil die Shimano 105-Schaltung serienmäßig keine extrem leichten Gänge erlaubt, die bei steilen Anstiegen im Gelände sinnvoll sein können, kombinieren viele Hersteller die Rennrad-Schaltung mit Kurbeln von anderen Herstellern als Shimano. Damit sind im ersten Gang auch kleinere als 1:1-Übersetzungen möglich.
Shimanos GRX ist eine spezielle Schaltgruppe für Gravelbikes. Die Shimano GRX-Schaltung ist für ein breites Übersetzungsspektrum inklusive leichter Berggänge ausgelegt. Die Versionen für 2 x 11-Antriebe sind mit den Kettenblattabstufungen 48/31 und 46/30 Zähne lieferbar. In Verbindung mit einer Kassette mit 11 bis 36 Zähnen ist damit sogar eine extreme Untersetzung möglich. Kompliziert ist es die Qualität der Shimano GRX einzuordnen, weil die Gruppe etliche unterschiedliche Varianten unterschiedlicher Qualität bietet. Einfach gesagt zeigt die höhere Zahl die gehobenere Variante an. Beispiel: die Kurbel FC-RX810 ist leichter und doppelt so teuer wie die Kurbel FC-RX600. Auch die Schalthebel ST-RX810 sind teurer als die ST-RX600.
SRAM bietet mit der eTap AXS eine elektronische Gruppe an, die an hochwertigen Gravelbikes zu finden ist. Die 12-fach-Schaltung bietet ein großes Übersetzungsspektrum. Parallel zur Variante mit Scheibenbremsen ist die Force eTap AXS auch mit Felgenbremsen, wahlweise mit klassischer oder Direct-Mount-Befestigung, erhältlich. Die Gruppe ist sowohl für 2-fach-Antriebe als auch für 1-fach-Antriebe konzipiert.
Seit 2022 bietet SRAM auch eine neue Serie von speziellen 1x12 Schaltungen für Gravelbikes an. Die neueren SRAM XPLR-eTap-AXS-Schaltgruppen gibt es in den Qualitätsstufen Red, Force und Rival. Sie zeichnen sich durch Kassetten mit 10-44 Zähnen aus.
Eine Schaltgruppe, speziell für Gravelbikes, mit 13 mechanisch geschalteten Gängen. Damit setzen sich die Italiener an die Spitze der Entwicklung hin zu Antrieben mit nur einem Kettenblatt, denn: Mehr Ritzel bedeuten kleinere, harmonischere Sprünge zwischen den Gängen, ohne dass die Übersetzungsbandbreite leidet. Zur Wahl stehen drei Abstufungen mit 9-36, 9-42 und 10-44 Zähnen. Den rechten Ergopower-Schaltbremshebel kennzeichnet ein neu designter und aus allen Griffpositionen sehr gut erreichbarer Daumenschalter. Rauf können bei der Campagnolo Ekar bis zu drei Gänge auf einmal geschaltet werden, runter geht’s Gang für Gang.
Die innovative Getriebe-Schaltung des belgischen Start-ups Classified will das Beste aus zwei Welten verbinden: Die vielen, eng gestuften Gänge einer Zweifach-Kettenschaltung mit der Robustheit und einfachen Bedienung eines Einfach-Antriebs bzw. einer Getriebenabe. Die clevere Kombination aus Ketten- und Nabenschaltung bietet 22 Gänge – mit nur einem Kettenblatt. Das zweistufige Planetengetriebe in der Hinterradnabe wird per Bluetooth-Signal aus dem Schalthebel betätigt. Das elektromechanische Meisterstück feierte in Ridleys Gravelrenner Kanzo Fast Premiere, inzwischen rüstet beispielsweise auch Rose sein Gravelbike Backroad mit dem Antrieb aus.
Ob ein Einfach-Antrieb ausreicht (also eine Schaltung ohne Umwerfer - mit nur einem Kettenblatt an der Kurbel), hängt vom Fahrertyp und vom Einsatzgebiet des Gravelbikes ab. Ein Vorteil liegt darin, dass man nur noch einen Schalthebel (rechts) bedienen muss. Zudem fällt der Umwerfer als potenzielle Störquelle weg. Der Nachteil von Einfach-Schaltungen ist, dass die Übersetzungssprünge zwischen den Gängen bei 11-fach-Antrieben relativ groß ausfallen. Bei 12- oder 13-fach Gravelbike-Schaltungen (wie z.B. SRAM eTap XPLR AXS und Campagnolo Ekar) sind diese Sprünge deutlich kleiner.
Grundsätzlich fährt sich ein Fahrrad mit leichten Laufrädern agiler und beschleunigt flotter. Deutlich stärker wirken sich aber die Reifen auf die Fahreigenschaften aus. Deshalb haben leichtere Carbon-Laufräder auch am Gravelbike ihre Berechtigung. Günstige Gravelbikes sind oft mit schweren Alu-Laufrädern ausgestattet. Hier kann sich ein Upgrade auf leichtere Laufräder sehr positiv auf die Beschleunigung und ein spritziges Fahrverhalten auswirken.
Eine allgemeine Empfehlung ist schwierig, weil man den Reifen je nach Terrain wählen sollte, auf dem man das Gravelbike überwiegend bewegt: Reifen mit feinem Diamantprofil funktionieren am besten auf Asphalt, während Reifen mit ausgeprägtem Stollenprofil sich auf weicheren Böden wohlfühlen. Ein breiterer Reifen bietet mehr Komfort. An den meisten Gravelbikes finden sich derzeit 37 bis 40 Millimeter breite Reifen. Mittelfristig dürfte der Trend bei Gravelbikes sogar zu noch breiteren Pneus gehen.
Eine Überlegung kann es sein, mit Tubeless-Reifen zu fahren. Tubeless-Reifen werden, wie man das von Autos kennt, ohne Schlauch gefahren. Sie erfordern spezielle Felgen, die an allen Gravelbikes montiert sind. Gerade am Gravelbike bietet die Tubeless-Technologie große Vorteile: weniger Gewicht, besserer Pannenschutz, mehr Komfort und mehr Haftung. Außerdem reduziert die fehlende Reibung zwischen Schlauch und Reifenwand den Rollwiderstand. Dem steht zwar eine kompliziertere Erstmontage gegenüber. Die Vorteile sind jedoch speziell bei Fahrten im Gelände so deutlich spürbar, dass es sich unbedingt lohnt, Tubeless-Reifen auszuprobieren.
Respekt vor der Tubeless-Montage? Kein Problem: Mit unserer How-to-Videoanleitung können auch Einsteiger auf Tubeless wechseln.
Kaufe ich mein Rad im Fachhandel? Oder bestelle ich es bei einem Internetanbieter wie Canyon, Radon oder Rose? Bei Fachhändlern kann man meist verschiedene Modelle und Marken Probe fahren. Sie beraten bei der Größe, bieten manchmal Bikefitting und sind erster Ansprechpartner für Service und Reparaturen. Internetmarken wie Canyon, Rose und Storck sind dagegen Hersteller und Händler in einem. Daher können sie ihre Gravelbikes meist günstiger anbieten als Fachhandelsmarken. Dafür müssen sich Käufer um vieles selbst kümmern, etwa die richtige Größe herauszufinden oder ihr Bike nach Lieferung selbst zusammenzubauen und einzustellen. Ein weiteres Problem: Manche Händler lehnen es ab, Räder von Versandmarken zu reparieren. Wer sich nicht zutraut, sein Gravelbike selbst zu warten, sollte sich nach einem Händler in seiner Nähe umschauen, der auch Fahrräder von Versandmarken zum Service annimmt.