Von der Geschwindigkeit eines Raumschiffs ist das Madone SLR natürlich Galaxien entfernt. Dennoch bezeichnet Top-Sprinter Mads Pedersen vom World-Tour-Team Lidl-Trek (bisher Trek-Segafredo) sein Arbeitsgerät als solches. Ganz abwegig ist das nicht. Zumindest ist das Rad mit dem futuristisch anmutenden Rahmen ein Hingucker auf dem Markt; durch den charakteristischen Sitzknoten sticht das US-Bike aus der Menge der auch nicht gerade zurückhaltend designten Aero-Boliden noch hervor. Erlaubt ist, was gefällt. Ein spektakuläres Design ist das eine. Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, ob die extravagante Gestaltung des neuen Flaggschiffs aus Waterloo auch Vorteile bringt, denn dass die Radprofis diesbezüglich Wünsche hatten, ist kein Geheimnis. „Wir haben Trek angetrieben, es leichter zu machen“, sagt Pedersen lächelnd. Nun soll die siebente Generation des Race-Klassikers das leichteste und schnellste Madone in der fast 50-jährigen Firmengeschichte sein und ein geeigneter Untersatz ebenso auf Flachetappen wie auch in hügeligem Terrain.
Die Kritik des dänischen Ex-Weltmeisters bezieht sich auf das Gesamtgewicht des Vorgängers von 7,7 Kilo, womit es im Kreis der World-Tour-Renner ein eher schweres Rad war. Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass das Rad über die integrierte Isospeed-Federung verfügte, was es zum Komfortwunder unter den Wettkampfrennern machte. 300 Gramm leichter soll das neue SLR nun sein, was für einen ausgereiften High-End-Boliden wie das Madone ein Quantensprung wäre. Der Konjunktiv verrät bereits: Unsere Messungen geben das nicht ganz her. Zwar ist das SLR9 AXS zum vergleichbaren Vorgänger (siehe TOUR 1/2019) knapp 200 Gramm leichter geworden. Das gelingt den US-Amerikanern allerdings nicht durch ein leichteres Chassis, sondern durch leichtere Anbauteile wie eine neue Lenker-Vorbau-Kombi. Der babyblau lackierte Rahmen bringt sogar rund 130 Gramm mehr auf die Waage. Unter den jüngsten Aero-Racern zählt das Madone somit weiter zu den eher schweren Kandidaten. Vergleichbare Spezialisten wie das Canyon Aeroad CFR oder Scott Foil RC Ultimate unterbieten beim Rahmengewicht die Ein-Kilo-Marke. Allrounder wie das Giant Propel Advanced SL oder Specialized S-Works Tarmac SL 7 liegen unter 900 Gramm.
Das Ergebnis überrascht auch deswegen, weil sich Trek von der vergleichsweise schweren Isospeed-Federung verabschiedet hat und die Bereitstellung von Federkomfort am Sattel in erster Linie dem jetzt „Isoflow“ genannten Design des Sitzrohrs aufbürdet, das allerdings in erster Linie die Aerodynamik des Rahmens verbessern soll: Der Luftstrom wird dabei durch die Carbonskulptur am Hinterbau gelenkt, wodurch weniger Verwirbelungen entstehen sollen. Verbesserte Kammtail-Profile und ein voluminöses Tretlagergehäuse, das mit den Trinkflaschen zusammen eine Art Segel ergibt, machen das Madone ebenfalls schneller. Bis zu 19 Watt nennt Trek für das Gesamtsystem aus Fahrer und Rad bei Tempo 45 km/h im Vergleich zum alten Modell. Mit dem TOUR-Beindummy verbessert sich das Madone im GST-Windkanal um 5 Watt auf 207 Watt und stößt damit in den Kreis der schnellsten Serienräder der Welt vor. Zur Spitze im World-Tour-Peloton, die Canyons Aeroad CFR und das Cervélo S5 (je 202 Watt) anführen, fehlen dem Trek aber noch ein paar Watt.
Durch die Abkehr von der Heckfederung büßt das SLR etwas von dem beeindruckenden Fahrkomfort ein. Für einen reinrassigen Racer bügelt das Madone Unebenheiten im Fahrbahnbelag zwar ordentlich weg, an den Federkomfort des Vorgängers kommt es jedoch nicht mehr heran. Da Trek die Reifenbreite auf 28 Millimeter begrenzt und die montierten Pneus nicht schlauchlos gefahren werden können, lässt sich der Federkomfort kaum verbessern. Gleichwohl passen nach unserer Einschätzung auch 30-Millimeter-Pneus durch Rahmen und Gabel.
Bei der Rahmengeometrie setzt die US-Marke weiter auf die eine Variante H1.5, wodurch man rennorientiert im Sattel sitzt. Bei hohem Tempo flitzt das Madone fast spielerisch über den Asphalt und steuert präzise um Kurven. Die Schwächen bei den Steifigkeitswerten, vor allem die relativ weiche Gabel, könnten schwereren Fahrern jedoch etwas an Fahrspaß nehmen.
Sofern man sich das Flaggschiff überhaupt leisten kann. Denn mit Preisen von 8.199 bis 15.699 Euro ist das in acht Größen erhältliche Madone SLR nicht nur die schnellste, sondern auch teuerste Plattform der US-Amerikaner. Eine Variante mit Felgenbremsen ist, anders als beim Vorgängermodell, nicht mehr im Angebot. Über den Project-One-Konfigurator schnellt der Preis für ein individualisiertes Exemplar endgültig in astronomische Höhen: Bis zu 17.584 Euro werden für ein SLR9 AXS mit Speziallackierung und Keramiklager fällig. Exklusiver geht’s kaum. Doch dadurch wird das „Raumschiff“ – außerhalb des Profi-Pelotons – vermutlich einsam seine Kreise ziehen und auf den Straßen dieser Welt eher selten zu sehen sein.
*Gewogene Gewichte
**Herstellerangabe Testgröße fett.
***Stack/Reach projiziertes senkrechtes/waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerrohr; STR (Stack to Reach) 1,36 bedeutet eine sehr gestreckte, 1,60 eine aufrechte Sitzposition.
****Laufradgewichte inklusive Bereifung, Kassette, Schnellspanner/Steckachsen und ggf. Bremsscheiben.
*****Einzelnoten, die unterschiedlich gewichtet in die Gesamtnote einfließen, drucken wir aus Platzgründen nur zum Teil ab. Die Noten werden bis zur Endnote mit allen Nachkommastellen gerechnet; zur besseren Übersichtlichkeit geben wir aber alle Noten mit gerundeter Nachkommastelle an.
******Aerodynamik theoretisch benötigte Tretleistung, um den Luftwiderstand bei 45 km/h zu überwinden, gemessen im Windkanal mit einem tretenden Bein.