Jens Klötzer
· 15.10.2022
Scotts Aero-Renner Foil gehörte nie zu den schnellsten seiner Klasse. Mit der spektakulär designten vierten Auflage ändert sich das. Dass das Scott Foil RC Ultimate mehr kann als nur windschnittig zu sein, zeigt unser Test.
Erster Eindruck: Rakete! Scotts jüngste Interpretation des Aero-Rennrades Foil sieht aus wie ein Überschallflugzeug auf Rädern. Der extrem flächige Rahmen, parallel zur Fahrbahn verlaufende, scharfe Kanten an Steuerrohr und Tretlager, ein keilförmiger Vorbau und die fast senkrecht aus dem Rahmen ragende, tragflächenartige Sattelstütze prägen das seitliche Erscheinungsbild.
Von vorne wirkt das Rad dagegen fast zierlich: Lenker, Gabelscheiden, Sitzstreben und Sattelstütze sind so platt gedrückt, dass man kaum glaubt, dass sie noch aus Rohren bestehen. Die Schweizer reizen die neuen Freiheiten des UCI-Reglements bei diesem Modell bis an die Grenzen aus - seit 2021 dürfen bestimmte Rohre an Rennrädern flacher und ausladender gestaltet werden als vorher. Eine so strikt aero-optimierte Rahmenform wie beim Scott Foil RC wäre vor zwei Jahren noch verboten gewesen.
Bislang verfolgte Scott bei den Vorgängermodellen die Idee, nicht alles rigoros der windschnittigen Form unterzuordnen. Mit der ersten Variante des Aero-Renners leistete der Hersteller vor zehn Jahren Pionierarbeit, seinerzeit noch mit Felgenbremsen, außen am Lenker verlaufenden Leitungen und nur angedeuteten Aero-Profilen. Der Rahmen nahm das Design heutiger Leichtbaurenner vorweg. Die nachfolgenden Generationen sind vor allem mit überdurchschnittlich guten Komfortwerten in Erinnerung - mit aerodynamischer Kompetenz verband man bisher andere Marken. Die mittlerweile vierte Generation, zur Tour de France im Juli vorgestellt, soll das nun ändern.
Gespannt waren wir daher vor allem auf die Aero-Performance, die wir schon mit einem Prototypen im Windkanal überprüfen konnten. Mit 206 Watt Tretleistung bei 45 km/h verbessert sich das Scott Foil RC zum Vorgänger um fast 10 Watt und befindet sich damit in exklusiver Gesellschaft: Prominente Konkurrenten wie Cervélo S5, Cannondale SystemSix, Canyon Aeroad oder Pinarello Dogma F liegen auf vergleichbarem Level. Damit gehört das Foil tatsächlich zu den derzeit zehn schnellsten Rädern, die TOUR bislang gemessen hat. Ein Rekordbrecher ist es nicht, das noch radikaler designte Simplon Pride II schaffte Anfang des Jahres mit vergleichbaren Laufrädern 202 Watt – ist aber etwa 500 Gramm schwerer.
Kompromisslos das schnellste Rad der Welt zu bauen, würde dem Anspruch der Marke Scott ohnehin nicht gerecht. Dass nicht allein die Aerodynamik oberste Priorität bei der Entwicklung hatte, merkt man allerdings erst, wenn man sich mit dem Rad näher beschäftigt.
Sinnbildlich für den erweiterten Fokus der Entwickler könnte die Sattelstütze des Rades stehen. Die besteht aus insgesamt drei Teilen - und nur der vordere, etwa einen Quadratzentimeter kleine Querschnitt trägt die Last des Fahrers. Dadurch ist die Stütze viel nachgiebiger, als es die Optik suggeriert; der Federkomfort des Rades ist extrem gut und stellt manchen Marathonrenner in den Schatten. Der Rest des Sitzrohrs wird ausgefüllt von einem Carbonformteil, das mit eingeklemmt wird und außer der aerodynamischen Form keine weitere Funktion hat. Darüber integrierten die Konstrukteure noch ein leistungsstarkes Rücklicht, dessen Sitz an unserem ersten Testrad allerdings etwas wackelig war.
Auch die Front kann federn: Die Enden der einteiligen Lenkerkombi geben bei Stößen spürbar nach, trotzdem fühlt sich der Lenker im Sprint nicht “windelweich” an. Laufräder und Reifen verstärken den Komforteindruck zumindest beim getesteten Top-Modell zusätzlich. Der 28 Millimeter breite Hinterreifen wölbt sich über den hakenlosen Zipp-Felgen auf fast 30 Millimeter und sitzt so stabil im 23 Millimeter breiten Felgenbett, dass der Luftdruck weiter als üblich gesenkt werden kann, ohne dass sich das Rad teigig oder lahm anfühlt.
Zipp empfiehlt für einen 75-Kilo-Fahrer in dieser Konfiguration lediglich vier Bar Druck - klingt unglaublich, aber fühlt sich perfekt an. Die breiten Schlappen rollen zügig über den Asphalt, schlechte Straßen sind für das Rad überhaupt kein Problem.
Auch vom Gewicht sind wir positiv überrascht. Mit 7,2 Kilogramm ist zwar noch gut Luft zum UCI-Gewichtslimit; viel weiter ließe sich die Anzeige der Waage angesichts der elitären Ausstattung und vieler integrierter Teile auch nicht drücken. Auch im Vergleich zum Vorgänger wurde das Rad nur minimal leichter. Aber in der aerodynamisch ebenbürtigen Konkurrenz - siehe oben - zählt das Scott zu den leichteren Kandidaten. Dazu kommen die fabelhaften Komfort- und Steifigkeitswerte - auch das Scott Foil RC räumt im TOUR-Test die Bestnote von 1,4 ab - mit gegenüber dem Giant Propel leicht verschobenen Stärken und Schwächen.
2023 verspricht also schon jetzt, ein starkes Jahr für Rennrad-Fans zu werden ...
Wären da nicht die Preise. Das Scott Foil RC wird vorerst nur in zwei Versionen angeboten, für jeweils eine fünfstellige Summe: Das Foil RC Pro mit kompletter Dura-Ace-Ausstattung kostet 10999 Euro, das getestete Scott Foil RC Ultimate liegt gar bei 13999 Euro.
Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager* 955/464/71 Gramm
Rahmengrößen** XXS, XS, S, M, L, XL, XXL
Sitz-/Ober-/Steuerrohr 545/580/170 mm
Stack/Reach/STR*** 578/394 mm/1,47
Radstand/Nachlauf 1.000/65 mm
Antrieb/Schaltung SRAM Red eTap AXS (2x12, 48/35, 10-33 Z.)
Bremsen SRAM Red (160/140 mm)
Laufräder/Reifen (Gewichte)**** Zipp 454 NSW/Schwalbe Pro One TLE 25/28 mm (1.138/1.479 Gramm)
Gewicht Komplettrad 7,2 Kilo Note: 2,3
Lenkkopfsteifigkeit 99 Nm/° Note: 1,0
Seitensteifigkeit Gabel 53 N/mm Note: 1,0
Tretlagersteifigkeit 61 N/mm Note: 1,0
Federhärte Sattelstütze 128 N/mm Note: 1,3
Aerodynamik****** 206 Watt Note: 1,3
*Gewogene Gewichte.
**Herstellerangabe Testgröße fett.
***Stack/Reach projiziertes senkrechtes/waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerrohr; STR (Stack to Reach) 1,36 bedeutet eine sehr gestreckte, 1,60 eine aufrechte Sitzposition.
****Laufradgewichte inklusive Bereifung, Kassette, Schnellspanner/Steckachsen und ggf. Bremsscheiben.
*****Einzelnoten, die unterschiedlich gewichtet in die Gesamtnote einfließen, drucken wir aus Platzgründen nur zum Teil ab. Die Noten werden bis zur Endnote mit allen Nachkommastellen gerechnet; zur besseren Übersichtlichkeit geben wir aber alle Noten mit gerundeter Nachkommastelle an.
******Aerodynamik theoretisch benötigte Tretleistung, um den Luftwiderstand bei 45 km/h zu überwinden, gemessen im Windkanal mit einem tretenden Beindummy.