Andreas Kublik
· 24.09.2022
Jens Voigt fuhr als Radprofi 17-mal die Tour de France und achtmal das Straßenrennen bei einer WM. Der 51-jährige kommentiert als Experte beim TV-Sender Eurosport das Straßenrennen der Rad-WM in Australien (25. September 2022). Hier stellt er für die TOUR-Leser seine fünf Top-Favoriten vor. Desto mehr Sterne, desto höher ist der Fahrer einzuschätzen.
30 Jahre, Frankreich
Er ist schon zweimal Weltmeister (2020, 2021) gewesen - er ist ein Champion und kann mit Druck umgehen. Bei der Vuelta ist er nach seinem Sturz ausgeschieden. Das sah sehr schmerzhaft aus. Er hätte natürlich die Vuelta durchfahren sollen, um viele harte Rennkilometer zu bekommen, die er nach seiner langen Pause nach einem schweren Sturz im Frühjahr bei Lüttich-Bastogne-Lüttich gebraucht hätte.
Andererseits: Vielleicht wäre die komplette Vuelta für ihn aber auch zu viel gewesen, weil er dort auch viel für Evenepoel arbeiten musste. Er konnte früher zur Rad-WM in Australien anreisen und hat daher keine Jetlag-Probleme. Er zählt zu meinem erweiterten Favoritenkreis. Als amtierender Weltmeister reist er nicht nach Australien, um 15. zu werden. Er traut sich also selbst zu, gut zu fahren. Ich persönlich liebe es, ihm zuzuschauen: Er fährt wie ein Jungspund: Er will einfach immer gewinnen.
24 Jahre, Großbritannien
Er ist noch ganz jung, aber er war schon zweimal britischer Zeitfahrmeister, ist endschnell und tempohart. 2022 war er über das ganze Jahr erfolgreich - mit zwei Etappensiegen bei der Tour de Romandie und dem Gesamtsieg bei der Polen-Rundfahrt.
Hoffentlich ist er nach einer Corona-Infektion und dem Ausstieg bei der Vuelta wieder richtig gesundet. Er ist in Wollongong auf jeden Fall ein Kandidat für die Plätze drei bis sechs. Er kann auch gewinnen, wenn alles optimal läuft.
24 Jahre, Slowenien
Er hat Anfang September in Kanada das Eintagesrennen GP Montreal in großartiger Art und Weise gewonnen - dort ging es über einen ähnlichen Rundkurs wie bei der Rad-WM. Für mich ist er der größte Herausforderer der beiden Belgier. Er wird im Sprint nicht gegen Wout van Aert gewinnen und wird früh in die Offensive gehen müssen und wollen - das wird das Rennen für uns Zuschauer schön machen.
Meine Vermutung: Er hat in diesem Jahr die Tour de France nicht gewonnen, ist daher noch hungrig und will daher bei der WM das Jahr mit einem Knaller abschließen. Er hat die Vuelta weggelassen, um sich vorzubereiten.
22 Jahre, Belgien
Belgien ist gut aufgestellt, mit zwei superstarken und gleichberechtigten Kapitänen. Neben van Aert wird Remco Evenepoel die Mannschaft anführen - er ist mein zweiter Topfavorit. Er ist der kommende Superstar des Radsports. Bei der Vuelta hat er eindrucksvoll abgeliefert. Auch von einem Sturz hat er sich dort nicht aus der Ruhe bringen lassen. Für mich war beeindruckend, wie abgeklärt, gelassen, selbstsicher er agiert.
Die Belgier werden sich vernünftig absprechen und einen Plan haben, damit das funktioniert - und dürften aus den Fehlern von der vergangenen Rad-WM gelernt haben, als es Diskussionen um die Fahrweise von Evenepoel gab.
28 Jahre, Belgien
Er ist ein Weltklassefahrer, ist immer annähernd bei 100 Prozent seiner Form und hat keinen Schwachpunkt als Radsportler - außer vielleicht, dass er im Hochgebirge nicht drei Tage am Stück mit den Besten mithalten kann.
Mit dem Sieg beim GP Ouest France Plouay vier Wochen vor der Rad-WM hat er seine Topform unter Beweis gestellt. Er ist tempohart und im Sprint einer Gruppe der Schnellste. Er könnte allerdings ein Opfer seines eigenen Ruhms und Erfolgs werden. Jeder wird sagen: Der ist so verdammt schnell, mit dem fahre ich nicht in einer Gruppe.