Julian Schultz
· 25.04.2023
Canyon vs. Rose: Welcher der beiden größten deutschen Hersteller und Versandhändler baut die besseren Rennräder? Das TOUR-Test-Duell gibt die Antwort: sechs Bestseller aus den Kategorien Wettkampf, Marathon und Gravel im Vergleich.
Rennräder von Canyon und Rose zählen seit Jahren zu den Besten in TOUR-Tests. Die sechs Wettkampf-, Gravel- bzw. Marathonräder in diesem Vergleich unterstreichen dies mit TOUR-Noten zwischen 1,6 und 1,8. Am Ende werden wohl Details oder Markentreue über den Kauf entscheiden.
Es ist das ewige Duell. Wer baut die besseren Rennräder? Bei welchem der beiden größten deutschen Hersteller und Versandhändler bekommt man mehr fürs Geld? Canyon oder Rose? Die Frage beschäftigt viele – auf Ausfahrten, in der TOUR-Leserschaft und im Netz. Sie hat das Potenzial für lange Abende am Stammtisch. Die Antwort ist für viele Radsportler fast ein Glaubensbekenntnis. Doch TOUR wollte es dann doch genauer wissen. Kommen die besseren Räder nun aus Koblenz oder aus Bocholt?
Also baten wir Canyon und Rose, aus jeder Kategorie jeweils ihr meistverkauftes – und verfügbares – Rad zu schicken: also je ein Wettkampf-, Marathon- und Gravelbike. Schon auf den ersten Blick interessant: Die Bestseller gleichen sich in Konzeption, Ausstattung und teilweise auch im Preis. Nur die Enduranceräder unterscheiden sich in der Ausstattung minimal. Ein enger Schlagabtausch in Labor, Windkanal und auf Asphalt respektive Schotter ist zu erwarten.
Seit vielen Jahren zählen die beiden Direktvertreiber zu den beliebtesten Rennradmarken in Deutschland. So gab etwa jeder vierte Teilnehmer der TOUR-Leserumfrage im vergangenen Jahr an, dass er auf einem Canyon oder Rose unterwegs ist. Mit 17,4 Prozent ist der Versender aus Koblenz über alle Gattungen hinweg der unangefochtene Branchenführer und nicht nur dem Konkurrenten aus Bocholt enteilt.
Vor allem bei Wettkampfrädern gibt Canyon den Ton an, bei Marathonrädern und speziell Gravelbikes kann Rose den Rückstand etwas kleiner halten. Verschwiegen werden soll aber auch nicht, dass Storck als jüngst zum Versandhandel konvertierter Hersteller in puncto Kaufabsicht der TOUR-Leser Rose bereits ordentlich auf die Pelle rückt.
Indes: Allein die schiere Anzahl an Modellen und Ausstattungsvarianten bringt Canyon einen Wettbewerbsvorteil. Das Angebot an Wettkampf-, Marathon- und Gravelbikes ist mehr als 1,5-mal so groß wie bei Rose (Stand: Ende Februar). Modelle mit Breitreifen nehmen bei beiden Marken eine prominente Rolle ein. “Gravelbikes entwickeln sich zum absoluten Lifestyle-Produkt und zu unserem Wachstumstreiber Nummer eins”, sagt Rose-Geschäftsführer Thorsten Heckrath-Rose.
Bereits jedes zweite angebotene Modell der Bocholter hört auf den Namen Backroad, ist damit für den Offroad-Einsatz geeignet und gleichzeitig die meistverkaufte Plattform, wie ein Unternehmenssprecher versicherte. Bei Canyon besetzen die Modelle Grizl und Grail etwas mehr als ein Drittel der Produktpalette. Auch hier nimmt das Grizl einen vorderen Platz in der Verkaufsstatistik ein, laut Hersteller liegt das Marathonmodell Endurace bei Canyon-Kunden ebenfalls hoch im Kurs.
Die große Beliebtheit und hohe Marktdurchdringung beider Hersteller ist nicht zuletzt an deren attraktiven Preisen festzumachen. Durch den Direktvertrieb fallen keine Margen für Zwischen- oder Fachhändler an. Die Folge sind Räder, die bei gleichwertiger Ausstattung deutlich günstiger sein können als die von Fachhandelsmarken. Die Betonung liegt auf “können”: Es gibt Fachhandelsmarken, die den Versendern bei Preis und Ausstattung inzwischen Paroli bieten. Cube beispielsweise – auch ein deutscher Hersteller – gehört dazu.
Unsere Analyse der beiden Flotten ergibt, dass Canyon tendenziell der teurere Anbieter ist. Für die auf der Homepage gelisteten Modelle mit Renn-Lenker ergibt sich ein Durchschnittspreis von 4560 Euro. Die Preisspanne reicht von 999 Euro (Endurace 6 RB) bis 10999 Euro (Ultimate CFR eTap). Die Bikes von Rose bewegen sich zwischen 1299 Euro (Pro SL 105) sowie 8199 Euro (XLite 06 Red AXS) und liegen im Mittel bei 3925 Euro.
Das Familienunternehmen mit Stammsitz in Bocholt hat Ende vergangenen Jahres allerdings die Preise um durchschnittlich 15 Prozent gesenkt. Zudem verzerrt der Durchschnittspreis das Bild ein wenig, da Canyon mit Alpecin-Deceuninck und Movistar zwei World-Tour-Teams ausstattet und entsprechend auch hochpreisige Profiräder im Sortiment hat. Rose ist als Ausrüster aktuell beim Frauen-Continental-Team Maxx-Solar vertreten.
Nicht zuletzt durch Canyons Engagement auf der großen Bühne des Radsports genießen die Koblenzer in der Branche den Ruf als Innovationstreiber. Die “Big Player” aus den USA oder Taiwan schielen längst in die Karl-Tesche-Straße, von wo aus seit 2008 die Geschicke gelenkt werden und regelmäßig Modelle aus den Fabrikhallen rollen, die in Tests Bestnoten einheimsen.
Das Unternehmen hat längst nichts mehr mit den Anfängen zu tun, als die Brüder Franc und Roman Arnold 1985 in einem kleinen Laden Räder aufbauten – damals schon als Direktvertrieb, was ungewöhnlich war für die Zeit. Ein Rad gab’s nur, wenn man es über den Katalog bestellte. 2002 wurde aus Rad-Sport-Arnold Canyon Bicycles, seit 2003 können Räder über die Website bestellt werden. Canyon ist inzwischen eine Weltmarke mit Vertretungen in Europa und den USA, beschäftigt 1400 Mitarbeiter und erzielte 2020 einen Umsatz von 416 Millionen Euro.
Dagegen wirkt die Firmenphilosophie von Rose deutlich bescheidener. Das Familienunternehmen, das seine Wurzeln 1907 in dem Fahrradladen von Heinrich Rose hat, sucht nicht das Rampenlicht bei der Tour de France, sondern unterstützt lieber Nachwuchsrennfahrer und -teams. Dabei waren die Bocholter jahrelang die Versandhandelsmarke. Der Rose-Katalog – den ersten gab’s 1982 – avancierte unter Rennradlern zum bibelähnlichen Nachschlagewerk.
Schon 1996 ging der erste Shop online, damals noch mit Modellen der Marke Red Bull. Seit 2011 werden Räder unter Rose-Label nach ganz Europa verkauft. Im vergangenen Geschäftsjahr erwirtschaftete der Versender und Hersteller, der 480 Mitarbeiter zählt, einen Umsatz von 174 Millionen.
Trotz der unterschiedlichen Firmenausrichtungen teilen sich Canyon und Rose einen Nachteil gegenüber Fachhandelsmarken: den Service. Schnell mal zum Händler um die Ecke fahren und ein Rennrad ausprobieren, ist bei den Versendern nicht drin. Zwar forciert vor allem Rose seit einigen Jahren den Ausbau von Ladengeschäften, an 15 Standorten in Deutschland und der Schweiz sind Testfahrten möglich.
Ein weiterer sogenannter Flagship-Store in Basel soll demnächst eröffnen. Das ist jedoch kein Vergleich zu einem dichten Händlernetz, wie es beispielsweise Cube vorweisen kann. Canyon bietet hierzulande sogar nur zwei Möglichkeiten, in Koblenz und Hamburg, um die Räder auch mal in die Hand nehmen und nicht nur am flimmernden Bildschirm anschauen zu können.
Unbestritten ist die hohe Produktqualität bei beiden Herstellern. Das zeigen vergangene TOUR-Tests, in denen Canyon und Rose in steter Regelmäßigkeit zu den Besten gehörten und die Testsieger-Krone abräumten. Das zeigt aber auch der Vergleich der sechs Bestseller (Canyon Ultimate CF SL 8 Aero vs. Rose XLite 06 Ultegra Di2 / Canyon Endurace CF SL 8 Di2 vs. Rose Reveal Four Disc Ultegra / Canyon Grizl CF SL 7 eTap vs. Rose Backroad Rival eTap)
>> Kein Rad erhielt eine schlechtere Endnote als 1,8. Das schaffen andere Hersteller selbst mit deutlich teureren Modellen nicht.
Letztlich geht Canyon als knapper Sieger aus dem Wettstreit hervor. In den Kategorien Wettkampf und Marathon landen das Ultimate CF SL 8 Aero und Endurace CF SL 8 Di2 knapp vor dem XLite 06 Ultegra Di2 und Reveal Four Disc Ultegra von Rose. In beiden Duellen lässt der Federkomfort das Pendel auf die Seite von Canyon ausschlagen.
Bei den Gravelbikes hat dagegen Rose, die in diesem Segment den Anspruch des Marktführers erheben, mit dem Backroad Rival eTap dank des geringeren Gewichts knapp die Nase vor dem Canyon Grizl CF SL 7 eTap.
Als Resümee bleibt festzuhalten, dass man weder bei Canyon noch bei Rose viel falsch machen kann. Die getesteten Räder sind top-aktuell, gehören in ihren Klassen zu den Besten und sind im Vergleich zu manchem Fachhandelsrad aus Italien oder den USA mit einem moderaten Preisschild ausgestattet.
Beim Service (siehe unten “Fragen & Antworten”) nehmen sich beide Konkurrenten zudem nicht viel. Rose beispielsweise kann ein größeres Netzwerk an stationären Servicepartnern bieten, Canyon führt dafür eine längere Garantie ins Feld.
Die Glaubensfrage ist damit natürlich nicht beantwortet. Zumal neben den harten Fakten wie Aero-Leistung, Gewicht, Komfort oder Steifigkeitswerten auch noch subjektive Meinungen wie Design oder Markenauftritt eine erhebliche Rolle spielen, ob man eher Canyon, Rose oder eben keine der beiden Marken wählt. Für die nächste Diskussion – ob am Stammtisch oder bei einer Ausfahrt – dürfte das ultimative Duell aber genügend Futter liefern.
Der Service steht bei den Versandhändlern Canyon und Rose immer wieder in der Kritik durch Kunden. TOUR gibt eine Übersicht über Versandbedingungen, Werkstätten und Garantieleistungen.
Knapp 50 Euro kommen bei Canyon zum Verkaufspreis hinzu. Neben den Versandkosten von 29,90 Euro verlangen die Koblenzer für den “Bike Guard” eine Pauschale von 19,90 Euro; in dem stabilen Versandkarton befindet sich neben dem vormontierten Bike ein Werkzeug-Set mit einfachem Drehmomentschlüssel und Montagepaste. Lieferungen nach Österreich kosten 59,80 Euro, in die Schweiz 76,80 Franken.
Die Bocholter legen ihrem Spezialkarton kein Werkzeug-Set bei, verschicken ein Rennrad oder Gravelbike dafür etwas günstiger für 39,90 Euro (Deutschland und Österreich). In die Schweiz versendet Rose für 44,85 Franken. Wie beim Konkurrenten aus Koblenz eignet sich der Versandkarton bei der Montage als Fahrradständer oder kann bei einer Reise zum Transportkoffer für den Renner umfunktioniert werden.
Canyon hat in den vergangenen Jahren ein Netzwerk von Servicepartnern aufgebaut. In Deutschland gibt es 66 Werkstätten, die Wartungsarbeiten oder Reparaturen durchführen. Viele konzentrieren sich in und um Ballungszentren. Für Reparaturen an unspezifischen Komponenten wie Schaltung oder Bremsanlage kann das Rad laut Hersteller auch in eine unabhängige Werkstatt gebracht werden. In Österreich (16) und der Schweiz (4) gibt es ebenfalls Partnerwerkstätten.
Neben den sieben Flagship-Stores in Berlin, Bocholt, Köln, München, Posthausen sowie Bern und Meilen (beide Schweiz) gibt es zehn Werkstattpartner. Laut Rose kann aber auch jede beliebige Werkstatt für Reparaturen aufgesucht werden. Einzige Einschränkung: Bei Leasing-Rädern müsse darauf geachtet werden, dass der Servicebetrieb mit der jeweiligen Leasing-Gesellschaft kooperiert.
Testbikes stehen in Deutschland nur am Stammsitz in Koblenz sowie beim Partner Rad Race in Hamburg zur Verfügung. In Österreich kooperiert Canyon mit zwei örtlichen Anbietern in Saalbach und Fuschl am See.
An 15 Standorten in Deutschland und der Schweiz sind Probefahrten möglich. Rose arbeitet dabei unter anderem mit dem Modehaus Breuninger oder Outdoor-Händler Globetrotter zusammen – auf sogenannten Shop-in-Shop-Flächen.
Zunächst gewährt Canyon die gesetzliche Gewährleistung. Diese deckt neben Rahmen und Gabel beispielsweise auch Laufräder ab, nicht aber Verschleißteile wie eine Kassette. Innerhalb der Frist von zwei Jahren kann die Gewährleistung auch von Zweitkäufern in Anspruch genommen werden. Im Gewährleistungsfall übernimmt der Hersteller alle Kosten. Zudem räumt Canyon über sechs Jahre eine freiwillige Herstellergarantie auf hauseigene Produkte wie Rahmen oder Cockpit ein. Anspruch haben nur Erstkäufer, der Materialfehler muss bei Auslieferung vorhanden gewesen sein. Die Kosten für Wiederaufbau und Versand muss der Eigentümer tragen.
Seit Januar 2022 bietet Rose nur noch die gesetzlich vorgeschriebene Gewährleistung von zwei Jahren. Zuvor waren es sechs Jahre Garantie, bis Oktober 2014 sogar zehn Jahre. Über die Beweggründe äußerte sich der Versandhändler so: “Über die gesetzliche Gewährleistungspflicht von zwei Jahren hinaus bieten wir unseren Kunden ein Crash-Replacement-Programm an, welches weiterhin sechs Jahre in Anspruch genommen werden kann und sich auf unsere Rahmen und Gabeln bezieht.”
Sie gilt für Erstbesitzer innerhalb von drei Jahren nach Kaufdatum. Das Programm umfasst den Austausch beschädigter Rahmen und Gabeln, beim Gravelbike Grail wird auch das Cockpit getauscht. Falls der gleiche Rahmen nicht verfügbar ist, bietet Canyon ein vergleichbares Modell an. Die Preise für den Service liegen zwischen 160 Euro (Gabel für Endurace) und 2.200 Euro (Rahmen für Ultimate CFR), zudem fallen europaweite Versand- (33 Euro) und Umbaukosten (200 Euro bei Rahmentausch) an.
Sind Rahmen, Gabel oder Laufräder innerhalb von sechs Jahren bei einem Sturz beschädigt worden, greift das Crash-Replacement-Programm. Rose bietet identische oder vergleichbare Produkte aus dem aktuellen Programm zum halben Verkaufspreis an. Für die Montage wird ein Stundensatz von 64 Euro veranschlagt. Zudem fallen Versandkosten (39,95 Euro) an. In den AGB findet sich kein Hinweis, ob nur Erstbesitzer vom Crash Replacement Gebrauch machen können.
Für das Ultimate, Endurace und Grizl aus dem Testduell hielten sich die Lieferzeiten Ende Februar in Grenzen. Das Grizl fand just zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe in allen Größen den Weg ins Lager, die Wartezeit für das Endurace lag bei rund drei Wochen, für das Ultimate bei knapp zehn Wochen.
Für die drei Bestseller in der jeweiligen Rahmengröße, Ausstattung und Lackierung betrug die durchschnittliche Lieferzeit (Stand: Ende Februar) knapp 24 Wochen. Die größte Geduld war bei Backroad (38 Wochen) und XLite (28 Wochen) gefragt. Das Reveal war innerhalb von fünf Wochen verfügbar.
TOUR testet alle Räder und die meisten Bauteile im eigenen Labor, dessen Anfänge bis 1993 zurückreichen. Die Messwerte vieler Tausend Räder aller Kategorien bilden das Rückgrat der Tests, die wir zusammen mit dem Zedler-Institut für Fahrradtechnik und Sicherheit ständig weiterentwickeln.