Tour Magazin
· 18.04.2018
Die TOUR-Testnote eines Rennrads setzt sich aus zahlreichen Einzelnoten zusammen. Hier zeigen wir, mit welchen Testmethoden und Prüfsystemen wir seit Jahren branchenweit Standards beim Rennrad-Test setzen.
Die Grundlage der Beurteilungen und Noten der TOUR Rennrad-Tests sind standardisierte und reproduzierbare Testverfahren, die wir in Zusammenarbeit mit externen Fachleuten entwickelt haben und seit mehr als zwanzig Jahren konsequent verbessern. Bis heute setzt das TOUR-Testverfahren von Rennrädern Maßstäbe, es gibt keine bessere Methode, um Rahmen-Sets und Bauteile von Rennrädern und Gravelbikes objektiv und vergleichend zu bewerten. Hier zeigen wir unsere Methoden, Bewertungen und Prüfsysteme im Überblick.
Der Schwerpunkt der TOUR Rennrad-Tests liegt auf dem Komplettrad, das zunehmend als komplettes Fahrzeug, mit integrierten Lösungen wie aerodynamisch optimierten Cockpits, integrierten Bremsen und speziell abgestimmten Laufrädern entworfen wird. Dabei wird stärker nach Einsatzzweck des Rennrads unterschieden: die Klassen der Wettkampf-Rennräder, Marathon-Rennräder, Zeitfahrräder, Cyclocross-Räder und Gravelbikes werden jeweils anders bewertet. Bei Wettkampf-Rennrädern werden Aerodynamik und Gewicht des kompletten Rennrads besonders hoch gewichtet, da diese beiden Punkte sich unmittelbar auf die Fahrleistung auswirken. Bei Marathon-Rennrädern sind Komfortwerte oder einfache Wartung/Einstellung wichtiger, während die Aerodynamik keine Rolle spielt.
Die TOUR-Testnote setzt sich aus Einzelbewertungen in verschiedenen Disziplinen zusammen, welche wir sinnvoll gewichten. Doch nicht jedes Kriterium ist für alle Fahrer gleich wichtig. Unsere Gewichtungen der Einzelnoten beim TOUR Rennrad-Test finden Sie in der folgenden Tabelle.
Auf dem TOUR Geometrie-Prüfstand werden alle relevanten Rahmenmaße unabhängig von Herstellerangaben nach einer einheitlichen Messmethode ermittelt. So werden unterschiedliche Rahmen und Geometrien miteinander vergleichbar. Das Rahmen-Set wird dazu in der Haltevorrichtung fixiert. Anschließend wird eine Reihe definierter Messpunkte an Rahmen und Gabel mit einem Laserpointer angefahren. Aus den horizontalen und vertikalen Koordinaten errechnet TOUR die Maße und Winkel, die in der Geometriedarstellung erscheinen, den Grundstock für den Stack to Reach (STR) bilden.
Für die Bewertung zählt das im TOUR-Labor gemessene Komplettradgewicht in der einheitlichen Testradgröße. Zur Orientierung werden aber auch die Rahmen- und Gabelgewichte ausgewiesen, außerdem die Laufradgewichte. Die Notenskala ist so gelegt, dass bei einem mittleren Streckenprofil von 1.000 Höhenmetern pro 100 Kilometern die physikalische Wirkung von Gewicht und Aerodynamik für die Durchschnittsgeschwindigkeit vergleichbar ist. Zur Orientierung: Die aerodynamische Optimierung des Rades kann auf solch einer Strecke bis zu knapp vier Kilogramm Gewicht kompensieren.
Gleichzeitige Bestnoten in Gewicht und Aerodynamik schließen sich aus, aber es gibt Räder, die einen sehr guten Kompromiss finden. Ist die Strecke bergiger als unsere Referenzstrecke, nimmt die Bedeutung des Gewichts zu, ist die Strecke flacher, wird die Aerodynamik wichtiger.
Wie gut oder schlecht die Aerodynamik eines Rennrades ist, wird für Wettkampfräder und dynamisch im GST-Windkanal in Immenstaad gemessen. Dabei werden die Laufräder angetrieben, der TOUR-Dummy mit bewegten Beinen simuliert den Einfluss des Fahrers. Aus der gewichteten Messung über einen großen Anströmwinkelbereich geht eine Aerodynamik-Note hervor, die bei Wettkampfrädern zu 20 Prozent in die Gesamtnote einfließt. Alle Infos und Hintergründe zu unseren Windkanal-Tests von Kompletträdern.
Moderne Rennradrahmen sind in aller Regel sehr fahrstabil. Ausgangspunkt des ersten TOUR-Tests vor zwanzig Jahren war indes der Umstand, dass Rennradrahmen damaliger Bauart bei mittleren und hohen Geschwindigkeiten plötzlich ein unerwünschtes Eigenleben entwickelten, das vom Fahrer nur schwer oder gar nicht zu bändigen war. Mitunter reichte schon eine Windböe oder eine leichte Unwucht im Laufrad, um das Rad in Schwingungen zu versetzen.
Das beste Mittel dagegen: Ein Rahmen mit hoher Lenkkopfsteifigkeit. Je höher sie ausfällt, desto höher die Fahrstabilität und Lenkpräzision. Um das Maß für die Lenkkopfsteifigkeit zu ermitteln, wird der Rahmen um 90 Grad auf die Seite gedreht, realitätsgetreu im Prüfstand eingespannt. Anstelle der Gabel wird ein Dummy eingebaut und eine definierte Biegung und Torsion aufgebracht. Eine Messuhr zeigt die Auslenkung an. Aus dem eingeleiteten Torsionsmoment und der Auslenkung berechnet TOUR dann die Lenkkopfsteifigkeit in Newtonmeter pro Grad (Nm/°). Da nicht unendlich steife, sondern ausreichend fahrstabile Rahmen erwünscht sind, werden die Steifigkeitswerte gedeckelt.
Fahrsicherheit, Lenkpräzision und Komfort eines Rennrades hängen nicht nur vom Rahmen, sondern maßgeblich auch von den Eigenschaften der Gabel ab. Je weniger sich die Gabel durch seitlich wirkende Kräfte verformt, desto sicherer lässt sich das Rad durch Kurven lenken. Je mehr die Gabel bei Stößen in Fahrtrichtung einfedert, umso geringer ist die Stoßbelastung an den Händen. Der Gabelprüfstand ermöglicht es, die Ausweichbewegung der Gabel in zwei Belastungsrichtungen zu messen. Die Gabel wird im Prüfstand genauso eingespannt wie im Rennrad. Nacheinander wird in Fahrtrichtung (Komfort) und seitlich dazu die Seitensteifigkeit gemessen. Der Quotient aus Prüfkraft und Auslenkung in Millimetern ergibt die Gabelsteifigkeit in Newton pro Millimeter (N/mm).
Nichts stört Rennradler mehr, als wenn sie ihre Waden-Power statt in Vortrieb in die Verformung des Rahmens investieren. Deshalb ist eine möglichst hohe Tretlagersteifigkeit gefragt, zu deren Messung ein Prüfsystem entwickelt wurde, der den Ernstfall des Wiegetritts simuliert. Für die Messung wird das Rahmen-Set realitätsnah per Schnellspanner auf dem geneigten Prüfstand fixiert und mit einem Kurbel-Dummy bestückt. Durch einen realistischen Hinterradaufstandspunkt mit typischen Freiheitsgraden sind die Rahmenbelastung und die Ausweichbewegung auf dem Prüfstand und auf der Straße annähernd gleich. Das Hinterrad kann sich unter dem Zug der Kette aus der Spur drehen, und die Rahmenneigung (Wiegetritt) bürdet dem Rahmen Seitenkräfte auf, die ihn stark belasten. Gemessen wird, wie weit das Pedal unter Einfluss der Prüfkraft senkrecht und quer zur Fahrtrichtung ausweicht. Aus der Prüfkraft und dem resultierend errechneten Weg ergibt sich die Tretlagersteifigkeit in Newton pro Millimeter (N/mm).
Auf den ersten Blick fragt man sich: Was soll sich an einem Diamantrahmen in vertikaler Richtung schon groß bewegen? Doch dank moderner Werkstoffe wie Carbon und neuer Design-Konzepte wie Sloping-Rahmen mit weit ausgezogenen Sattelstützen, als Federelemente ausgelegten Sattelstützen oder sogar mechanische Federkonzepte gibt es in Sachen Komfort mittlerweile beträchtliche Unterschiede zwischen verschiedenen Rennradrahmen. Mit dem Komfortprüfstand lässt sich der Rahmenkomfort messen und bewerten. Das Rahmen-Set wird an den Ausfallenden senkrecht stehend eingespannt. Rahmen und Gabel können realistische Ausweich- und Einfederbewegungen ausführen.
Gemessen wird der Federweg mit der vom Hersteller gelieferten Stütze oder, falls keine vorhanden ist, mit einer Standardstütze (Ritchey WCS Alu), die bei der Standardrahmenhöhe von 57 Zentimetern auf eine einheitliche Sitzhöhe von 750 Millimetern zwischen Tretlagermitte und Sattelgestellmitte eingestellt wird. Hinter dem Schnittpunkt von Sitzrohr und Sattelgestell greift senkrecht die Prüfkraft an. Parallel dazu wird im gleichen Abstand der Federweg gemessen. Dividiert man die Prüfkraft durch den Weg, ergibt sich die Federhärte des Rahmens.
Was nützt der schönste Lack, wenn er nicht hält? Der TOUR-Lacktest simuliert Steinschlag und erlaubt eine Aussage über die Haltbarkeit der schützenden Deckschicht. Die mechanische Widerstandsfähigkeit des Lacks wird an mehreren Stellen getestet. Damit wird berücksichtigt, dass Rahmenpartien unterschiedlich lackiert sind und dass Rahmen aus mehreren verschiedenen Materialien bestehen können. Beim Lacktest simuliert ein Meißel Steinschlag oder Kettenschlagen. Beginnend bei zehn Zentimetern Höhe, wird um je zehn Zentimeter gesteigert, bis der Lack nachgibt oder die maximale Fallhöhe von 50 Zentimetern erreicht ist.
Schaltung, Bremsen und Reifen benoten wir bei unseren Rennrad-Tests extra, da sie einen wesentlichen Einfluss auf die Funktion des Rades haben. Die Bewertungen begründen sich auf Komponententests, die wir für diese Komponenten regelmäßig durchführen, sowie deren Zusammenspiel am jeweiligen Testrad.
Bewertet wird, wie einfach sich ein Rad warten und einstellen lässt. Notenabzüge gibt es beispielsweise für benötigte Spezialwerkzeuge, besonders aufwendige Detaillösungen oder Wartungsarbeiten, die sich nur in Fachwerkstätten durchführen lassen.
Prüfstände und Laboreinrichtung sind in Planung und Ausführung fast ausschließlich in enger Zusammenarbeit mit dem Zedler-Institut für Fahrradtechnik und -Sicherheit GmbH entstanden. Geschäftsführer Dirk Zedler ist Diplom-Ingenieur für Fahrzeugtechnik sowie öffentlich bestellter und vereidigter Fahrrad-Sachverständiger. Der aktive Rennradler und fünfmalige Transalp-Finisher arbeitet seit Anfang 1994 für TOUR. Neben der Rubrik “Werkstatt" stammen viele wegweisende Artikel zur Rennradtechnik und –sicherheit von ihm. Mehr Info finden Sie hier: www.zedler.de
Von TOUR eingesetzte moderne Fahrradprüftechnik hat anerkanntermaßen in den vergangenen 20 Jahren Maßstäbe gesetzt und das Rennrad positiv verändert. Begriffe wie der Stiffness-to-Weight-Factor (STW) sind durch die Arbeit von TOUR weltweites Kommunikationsmittel der gesamten Fahrradindustrie geworden. Hersteller, die ihre Rahmen und Bauteile vor Markteinführung optimieren wollen, können diese im Labor des Zedler-Instituts testen lassen. Bei größeren Volumina können die Prüfsysteme auch erworben werden, um im eigenen Labor zu testen.