Das kommt überraschend! Ein Newcomer war 2023 das schnellste Rennrad im TOUR-Test. Das RCR Dura-Ace Di2 von Van Rysel erzielte im GST-Windkanal in Immenstaad eine Aero-Leistung von 207 Watt. Genauer gesagt von 206,6 Watt bei Tempo 45 km/h. Damit setzte sich das künftige Arbeitsgerät des World-Tour-Teams Decathlon AG2R La Mondiale wirklich hauchdünn vor dem Cannondale SuperSix Evo Hi-Mod 2 und Cube Litening Aero C:68X Race durch, die beide im Zehntelbereich langsamer waren.
Das RCR definiert sich als top-modernes Wettkampfrad, das im Stile eines Allrounders die Symbiose aus Geschwindigkeit, Leichtbau und Komfort erreichen will. Klingt spannend, dachten wir uns im Sommer, und testeten das Bike als erstes Fachmagazin weltweit in Windkanal, Labor und freier Wildbahn. Zum Testzeitpunkt war das RCR noch so frisch, dass Van Rysel nur einen Prototyp aus Lille nach Deutschland schicken konnte. Bis auf das Finish entsprach dieser aber exakt der Version, die ab kommenden Jahr in die Läden kommen soll. Für andere Ausstattungsvarianten nimmt Van Rysel, eine Eigenmarke von Decathlon, bereits seit Herbst Vorbestellungen entgegen.
Das Top-Modell leistet sich kaum nennenswerte Schwächen und wird einige arrivierte Hersteller in den Kerndisziplinen in den Schatten stellen. Mit einem Gesamtgewicht von 6,9 Kilogramm und der Aero-Leistung von 207 Watt setzte das RCR in der Kategorie der Race-Allrounder eine neue Benchmark. Kein anderes Modell war bislang im GST-Windkanal schneller und zugleich leichter als das Van Rysel, das damit zudem unter die Top Ten der schnellsten Räder im TOUR-Test sprang. Das neue Specialized S-Works Tarmac SL8 ist zwar nochmals knapp 300 Gramm leichter, der Fahrer benötigt aber zwei Watt mehr, um den Luftwiderstand des Renners zu überwinden. Die genannten Cannondale und Cube sind bis zu 800 Gramm schwerer.
Auf der Waage profitiert das RCR neben dem leichten, in Vietnam gefertigten Rahmen-Set von der hochwertigen Ausstattung. Bei der Aero-Performance trägt die Kooperation mit der französischen Luft- und Raumfahrtbehörde Früchte, in deren Windkanal in Lille Rohrformen sowie Anbauteile optimiert wurden und – gemessen an flächigen Aero-Modellen – das Ganze in einem zurückhaltendem Design mündete. Am ehesten sticht noch das extrem schmale One-Piece-Cockpit hervor, das knapp über dem erlaubten UCI-Mindestmaß von 350 Millimetern Breite liegt und dem Fahrtwind wenig Angriffsfläche bietet.
Auf der Straße präsentiert sich die Neuheit entsprechend agil und meistert die verschiedenen Fahrsituationen, als ob es nie etwas anderes gemacht hätte. Zwei kleine Dämpfer gibt’s dennoch: Durch den Leichtbau ist das Fahrwerk nicht superfahrstabil – für ausgezehrte Profis weniger ein Problem als für schwerere Fahrer. Zudem ist die Sattelstütze relativ unnachgiebig. Das Van Rysel lässt somit bei der Gesamtnote zwei Zehntel liegen und landet knapp hinter den besten Profirädern: das Specialized S-Works Tarmac SL8 (1,3), Canyon Aeroad CFR Disc MVDP (1,4), Giant Propel Advanced SL (1,4) und Scott Foil RC Ultimate (1,4).
Wir haben viele Menschen zum Radsport gebracht, ab einem bestimmten Niveau sind diese aber zu anderen Marken abgewandert. Wir wollen mit Van Rysel die Menschen bei uns behalten. - Marketingchef Maxime Delabre
Mit dem RCR läutet die Decathlon-Eigenmarke auch in der Preispolitik eine Zeitenwende ein und forciert den eigenen Anspruch, im umkämpften Markt als sportlich-ambitionierte Marke wahrgenommen zu werden. “Wir haben viele Menschen zum Radsport gebracht, ab einem bestimmten Niveau sind diese aber zu anderen Marken abgewandert”, so Marketing-Chef Maxime Delabre: “Wir wollen mit Van Rysel die Menschen bei uns behalten.”
Das getestete RCR mit elektronischer Dura-Ace, Swiss-Side-Laufrädern und gedrucktem Sattel von Fizik soll ab kommendem Jahr für 9000 Euro erhältlich sein. Auf der Website von Decathlon waren zum Jahresende fünf Ausstattungsvarianten zwischen 4199 und 8499 Euro vorbestellbar.