Andreas Kublik
· 10.12.2022
Nico Denz wechselt zur Saison 2023 zu Bora-Hansgrohe. Im TOUR-Interview steht der deutsche Radprofi Rede und Antwort.
Rückblick: Nico Denz lieferte einen der großen deutschen Erfolge im Radsportjahr 2022. Der 28-Jährige gewann am 17. Juni die Bergankunft in Moosalp bei der Tour de Suisse - im Fotofinish nach 177 Kilometern mit 4200 Höhenmetern. Bei seinem größten Sieg musste er bange Minuten warten, bis er sich richtig freuen konnte. Vor vier Jahren hatte er beim Giro d’Italia einen Etappensieg im Kampf gegen Matej Mohoric knapp verpasst. Zur neuen Saison wechselt er vom Team DSM zu Bora-Hansgrohe.
Interview: Andreas Kublik
Nationalität: Deutscher
Geburtsdatum: 15. Februar 1994 in Waldshut-Tiengen
Größe: 1,83 Meter; 71 kg
Wohnort: Albbruck
Profi seit: 2015
Teams: Chambery Cyclisme Formation (2013-2015), AG2R La Mondiale (2015-2019), Sunweb/DSM (2020-2022), Bora-Hansgrohe (ab 2023)
Wichtige Erfolge: Tour de Vendee (2018), Etappensieg Slowakei-Rundfahrt (2020), Etappensieg Tour de Suisse (2022)
TOUR: Nico, Sie sind viele Jahre als Mannschaftshelfer bei den Teams AG2R und Sunweb beziehungsweise DSM gefahren. Was bedeutet der 17. Juni für Sie?
Denz: Es war definitiv der größte Sieg meiner Karriere - mit Abstand. Ich habe mein Können ab und zu mal aufblitzen lassen. Ich hatte vor vielen Jahren bei der Tour de l’Avenir (wichtigstes Etappenrennen in der U23-Klasse; Anm. d. Red.) nach der ersten Bergankunft das Gelbe Trikot und so in der Vergangenheit gezeigt, dass ich auch Bergauffahren kann. Aber, klar, der Sieg bei der Tour de Suisse war nochmal eine ganz andere Hausnummer.
TOUR: Für einen Wasserträger, Mannschaftshelfer wie Sie muss vieles zusammenkommen, damit so ein Erfolg überhaupt möglich wird ...
Denz: Ich war ganz klar als Helfer zur Tour de Suisse gekommen. Aber dann waren im Laufe des Rennens ganz viele Leute wegen Covid raus - auch die, denen ich bei uns im Team hätte helfen sollen (unter anderem Klassementfahrer Thymen Arensman und Sprinter Cees Bol; Anm. d. Red.). Wir waren bei DSM nur noch zu dritt im Rennen. Ich habe mir gesagt: Geh noch einmal in die Gruppe - das ist ein guter Effort, den ich für die Saison mitnehmen kann. Ich bin aus dem Feld zur Ausreißergruppe hingefahren und habe dabei gemerkt, dass ich richtig gute Beine hatte. Ich bin dann einfach mitgeschwommen, ich musste keine Verantwortung übernehmen, weil ich nicht der Favorit auf den Tagessieg war. Die Umstände sind mir entgegengekommen: Gegenwind im Anstieg, ein paar Flachpassagen im Schlussanstieg, an denen ich durchatmen konnte, und oben wurde es flach. Ich habe einfach den Tag meines Lebens gehabt.
Ich bin nur noch gegen mich selbst gefahren.
TOUR: Sie waren sicher nicht der stärkste Bergfahrer in der Gruppe, angesichts des langen Schlussanstiegs auf über 2000 Meter Höhe. Was ging in Ihrem Kopf vor - im TV sah es nach großem Kampf aus?
Denz: Ich bin nur noch gegen mich selbst gefahren. Ich weiß nicht mehr, was ich gedacht habe. Ich war im Rhythmus, habe alles aus mir rausgeholt, um dabeizubleiben. Ich hatte auf meinen Wahoo (Radcomputer; Anm. d. Red.) das Höhenprofil für die nächsten Kilometer draufgelegt - mit den Steigungsprozenten in verschiedenenen Farben. Ich habe zu mir gesagt: Bis zum zum nächsten Gelb. Oder da wird’s wieder grün. Ich bin nur noch in kleinen Segmenten gefahren, habe ich mich in kleinen Steps hochgekämpft. Und irgendwann war der Berg vorbei.
TOUR: Das Wasser und der Schweiß liefen Ihnen in Strömen vom Kopf - es war ein extremer Tag ...
Denz: Es war ultraheiß. Aber ich hatte super Unterstützung vom Sportlichen Leiter. Ich hatte immer nur eine Flasche am Rad, um jedes Gramm zu sparen. Ich habe mir frische Flaschen am Auto geholt, immer eine über den Kopf geschüttet und mich mit frischem Eis weiter gekühlt. Das war ausschlaggebend im Finale.
TOUR: Es gab dann - ungewöhnlich für eine Bergankunft - ein packendes Sprintfinish einer fünfköpfigen Gruppe.
Denz: Eigentlich war ich mir sicher, dass ich gewinnen würde, weil ich der Schnellste war. Aber dann hätte ich es in der letzten Kurve beinahe verdummbeutelt. Ich dachte schon: Das war‘s wieder: Story of my life. Ganz nah dran - aber wieder nix.
Tour: Sie spielen auf den Giro d’Italia 2018 an. Damals haben Sie nach einer langen Flucht knapp den Zweier-Sprint gegen Matej Mohoric um den Sieg auf einer sehr schweren, 244 Kilometer langen Etappe verloren. Was war diesmal der Fehler?
Denz: Ich wollte gleich nach rechts auf die Innenbahn. Aber ich war etwas zu spät dran. Und dann ist Champoussin in die Ideallinie gefahren. Ich habe nicht aufgegeben, bin erst den langen Weg gefahren. Dankenswerterweise hat mir Champoussin die Tür aufgemacht und ich konnte wieder auf die kürzeste Linie und kam mit viel mehr Geschwindigkeit. Zu meinem Vorteil war die Ziellinie schräg.
TOUR: Es dauerte, bis das Zielfoto ausgewertet war. Wann wussten Sie, dass Sie gewonnen haben?
Denz: Ich stand im Ziel mit meinem Betreuer. Dann kam der Chaperon und sagte, ich müsse zur Dopingkontrolle. Da habe ich gefragt: Also habe ich gewonnen? Und er sagte: Ja, ja, Sie haben gewonnen. Das war emotional echt krass! Dann fiel die ganze Anspannung ab - es war einfach nur pure Freude.
TOUR: Andere Rennfahrerkollegen werden an der Zahl ihrer Siege pro Saison gemessen. Für jemanden wie Sie, mit Ihrer Rolle im Profi-Radsport, sind Siege selten: Es war der dritte in acht Jahren als Profi. Was hat dieser Sieg für Sie verändert?
Denz: Ich habe endlich zeigen können, dass ich Rennen gewinnen kann - wenn ich die Chance bekomme. Vielleicht hat mir dieser Sieg die Tür für den Wechsel zu Bora-Hansgrohe aufgestoßen - auch wenn ich nicht weiß, ob das ausschlaggebend war. Für mich selbst war dieser Sieg enorm wichtig, nach deiner schwierigen Zeit: 2021 hatte ich viel Pech, gefühlt alle Stürze meiner Karriere. Und im vergangenen Frühjahr bin ich an Covid erkrankt.
Wenn es Arbeit zu erledigen gibt, bin ich mir für nichts zu schade.
TOUR: Apropos Chancen: Sie haben im vergangenen September in Australien zum dritten Mal in Ihrer Karriere eine Straßen-WM im Nationaltrikot bestritten. Sie haben dort gemeinsam mit dem Teamkollegen Miguel Heidemann aufopferungsvoll eine Spitzengruppe gejagt, die die deutsche Mannschaft verpasst hatte, bis Sie mit Ihren Kräften am Ende waren. Das ist Ihre typische Rolle als Radprofi?
Denz: Auf jeden Fall. Wenn es Arbeit zu erledigen gibt, bin ich mir für nichts zu schade. Wenn mir etwas gesagt wird, dann mache ich das auch. Rolf Aldag (Sportchef von Bora-Hansgrohe; Anm. d. Red.) hat zu mir gesagt: Sie haben mich nicht geholt, um zehn Rennen im Jahr zu gewinnen, eher um die Support-Riege aufzubessern. Aber es gibt immer Situationen, in denen ein Mann aus taktischen Gründen nach vorne in eine Spitzengruppe geschickt wird. Und ich habe jetzt gezeigt: Ich kann auch selber performen, wenn alles zusammenpasst.
TOUR: Was sind konkret Ihre Ziele - für 2023 und darüber hinaus?
Denz: Kurzfristig will ich mich gut ins Team integrieren und auf hohem Niveau abliefern. Mein großer Traum: bei einem Grand-Tour-Sieg dabei zu sein und meinen Teil dazu beizutragen.
TOUR: Sie fahren erstmals für einen Rennstall, der in Deutschland beheimatet ist. Sie sind in Frankreich bei Chambery Cyclisme Formation groß geworden, dem Nachwuchsteam von AG2R La Mondiale. Wie kam es dazu?
Denz: Ich hatte damals einen Trainer aus der Schweiz, der bei den französischen Teams angefragt hat, ob noch ein Platz für mich frei ist. Ich wohne ja im Süden Deutschlands am Hochrhein - das war also nicht weiter entfernt als deutsche Teams. Bei der Junioren-WM in Valkenburg (2012) habe ich mich mit Teamchef Louis Varnet getroffen. Meinen Eltern war damals auch wichtig, dass es in Chambéry das “double projet” gibt, also eine zweigleisige Laufbahn, nicht nur Radsport. Ich habe mir gesagt: Das ist das Nachwuchsteam einer Profimannschaft - das ist meine Chance, das muss ich machen. Ich hab mein Auto vollgeladen und bin nach Frankreich gefahren.
TOUR: Klingt einfach ...
Denz: Die Risiken habe ich ausgeblendet. Ich habe kein Wort Französisch gesprochen, bin mit 18 zuhause ausgezogen. Ich habe vieles gelernt - auch Sachen fürs Leben: Ich habe alleine gelebt, habe meine Wäsche selber gemacht, die Wohnung selber geputzt. Ich habe wunderbare Leute kennengelernt. Das war eine geile Zeit. Ich spreche jetzt fließend Französisch. Es war definitiv die richtige Entscheidung.