Thomas Goldmann
· 31.03.2023
Am Sonntag steht die Flandern-Rundfahrt 2023 an. Wer gewinnt das zweite Radsport-Monument der Saison? TOUR nimmt die Favoriten unter die Lupe.
Die Flandern-Rundfahrt 2023 wirft ihre Schatten voraus. Im Vorfeld haben sich die Favoriten bereits bei einigen flämischen Klassikern wie E3 Harelbeke, Gent-Wevelgem oder Quer durch Flandern gezeigt. Herauskristallisiert hat sich dabei eine Zweiklassengesellschaft. Mathieu van der Poel (Alpecin-Deceuninck), Wout van Aert (Jumbo-Visma) und Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) fahren in einer eigenen Liga. Es gibt jedoch einige Fahrer, die dem Trio bei der Flandern-Rundfahrt 2023 an einem außergewöhnlichen Tag einen Strich durch die Rechnung machen könnten. Die Favoriten in der Analyse. TOUR ordnet sie nach Sternen. Je mehr Sterne ein Fahrer bekommt, desto höher ist er einzuschätzen.
***** Mathieu van der Poel, Wout van Aert, Tadej Pogacar
**** Christophe Laporte, Tom Pidcock
*** Matej Mohoric, Tiesj Benoot, Valentin Madouas, Mads Pedersen, Julian Alaphilippe
** Stefan Küng, Sören Kragh Andersen, Alexander Kristoff
* Nils Politt, Kasper Asgreen, Sep Vanmarcke, Biniam Girmay, Neilson Powless, Jasper Stuyven, Matteo Jorgenson, Ivan Garcia Cortina, Tim Wellens, Michael Matthews
Nach mäßigem Saisonstart für sein Team Alpecin-Deceuninck lieferte van der Poel bei Mailand-San Remo eine Galavorstellung ab und triumphierte bei der Classicissima. Seine beiden großen Gegenspieler werden auch am Sonntag Wout van Aert und Tadej Pogacar sein. Der Niederländer ist sprintstärker als Pogacar und war beim E3 Prijs in der Lage, dem Slowenen am Oude Kwaremont zu folgen, während van Aert zwischenzeitlich Probleme bekam. Im Sprint hatte van der Poel zwar das Nachsehen gegen van Aert, ist aber ähnlich stark einzuschätzen, denn bei der Cyclocross-WM hat van der Poel van Aert jüngst erst im Zweiersprint besiegt. Zudem lastet mit zwei Siegen bei der Ronde im Kreuz (2020 und 2022) weniger Druck auf van der Poels Schultern.
Der Erzrivale von van der Poel befindet sich in bestechender Form, wie er mit seinem Sieg bei der E3 Saxo Classic und zwei Tage später bei Gent-Wevelgem, als er Christophe Laporte Platz eins überlies, bewiesen hat. Der Mann aus Herentals hat zudem trotz des Ausfalls von Paris-Roubaix-Sieger Dylan van Baarle die stärkste Mannschaft an seiner Seite, womit er die Konkurrenz unter Druck setzen kann. Es gibt aber das eine oder andere Argument, das gegen seinen Sieg spricht. Van Aert hat als Lokalmatador den größten Druck. Sein Palmares ist zwar bereits beeindruckend, doch die Flandern-Rundfahrt oder Paris-Roubaix hat er noch nicht gewonnen. Der Belgier kann im Sprint siegen, muss das Rennen aber mit seiner Mannschaft offensiv gestalten.
2022 war Pogacar bereits drauf und dran, die Flandern-Rundfahrt zu gewinnen - am Ende Rang vier. Bei der letzten Überfahrt des Paterbergs konnte ihm nur noch der spätere Sieger van der Poel mit großer Mühe folgen. Pogacars Handicap: Er ist im Sprint nicht so stark wie van Aert und van der Poel. Der Slowene muss seine beiden Kontrahenten vorher abhängen. Das geht nur, wenn das Rennen früh möglichst hart ist. Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass es Pogacar wieder mal weit weg vom Ziel probiert.
Die zweite Trumpfkarte vom Team Jumbo-Visma. Laporte hat im Vorfeld der Flandern-Rundfahrt Gent-Wevelgem und Quer durch Flandern gewonnen. Der Franzose ist von der Leistungsfähigkeit nahe dran an van der Poel, van Aert und Pogacar. Bei der Ronde kann er wohl nur gewinnen, wenn es taktisch wird und er mit einer Gruppe wegfährt oder sein Chef van Aert ein Problem hat.
Der 23-jährige Brite ist einer der Alleskönner im Radsport und muss sich in Top-Form nicht vor van der Poel, van Aert oder Pogacar verstecken. Allerdings steht genau dahinter ein Fragezeichen. Pidcock hat zwar in diesem Jahr schon Strade Bianche gewonnen, zog sich aber bei einem Sturz bei Tirreno-Adriatico eine Gehirnerschütterung zu. Sein Comeback bei Quer durch Flandern war mit Platz elf vielversprechend. Für Sonntag ist er eine Wundertüte.
Der Slowene fährt bislang eine gute Klassiker-Kampagne: 21. bei Omloop Het Nieuwsblad, 3. bei Kuurne-Brüssel-Kuurne, 6. bei Strade Bianche, 8. bei Mailand-San Remo und 7. beim E3 Harelbeke. Mohoric verhält sich taktisch schlau, weiß, wann die Post abgeht, es fehlen aber immer ein paar Prozent, um ganz vorne mitzumischen. Zudem stürzte er zuletzt im Finale von Gent-Wevelgem. Es bleibt abzuwarten, ob ihn das bei der Ronde noch beeinträchtigt.
Der dritte Fahrer von Jumbo-Visma, der von der reinen Klasse her ganz vorne landen könnte. Bei Benoot ist die Situation ähnlich wie bei Laporte. Er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit für seinen Chef van Aert arbeiten müssen. Eine Spitzenplatzierung kann er nur erzielen, wenn er mit einer frühen Gruppe wegfährt und diese ankommt.
Der Franzose fliegt oft unter dem Radar. Dabei war er 2022 bereits 3. bei der Flandern-Rundfahrt und dieses Jahr 2. bei Strade Bianche. Gemeinsam mit Stefan Küng bildet er bei Groupama-FDJ ein schlagkräftiges Tandem. Sollte einer der drei Top-Favoriten schwächeln, ist Madouas wieder das Podium zuzutrauen.
Der Straßenweltmeister des Jahres 2019 war dieses Jahr 6. bei Mailand-San Remo, 14. beim E3 Harelbeke, 5. bei Gent-Wevelgem und 5. bei Quer durch Flandern. Ähnlich wie bei Mohoric reicht es aber (noch) nicht fürs Treppchen. Pedersens Plus ist seine Sprintfähigkeit. Kommt eine größere Gruppe an, wird es schwer, den Dänen zu schlagen.
Vor einem Jahr noch hätte man Alaphilippe in einem Atemzug mit van der Poel, van Aert und Pogacar genannt. Das ist jetzt anders. Der 30-Jährige fährt nach seinen Stürzen 2022 seiner Top-Form noch hinterher. Zudem steht sein Team Soudal - Quick Step unter massivem Druck. Die Equipe von Patrick Lefevere dominierte die flämischen Klassiker einst nach Belieben, ist mittlerweile aber chancenlos. Ex-Weltmeister Alaphilippe ist aktuell die beste Option, die die Belgier am Sonntag haben. Bei Quer durch Flandern zeigte er unter der Woche bereits gute Ansätze, ein Podiumsplatz ist aber eher unwahrscheinlich.
Mit dem Schweizer Zeitfahrspezialisten ist bei einem solch schweren Rennen wie der Flandern-Rundfhart immer zu rechnen. Nach Platz sechs beim E3 Harelbeke reichte es bei Gent-Wevelgem und Quer durch Flandern nicht für Spitzenresultate. Das soll sich am Sonntag wieder ändern.
Nach Startschwierigkeiten hat sich der dänische Neuzugang bei Alpecin-Deceuninck zu einer echten Backup-Option für van der Poel entwickelt. Rang fünf bei Mailand-San Remo und der 9. Platz beim E3 lassen ihn zumindest im Favoritenkreis auftauchen - auch wenn er wohl für van der Poel arbeiten muss.
Der 35-jährige Norweger kann befreit auffahren. Er muss niemandem mehr etwas beweisen. Schließlich hat er die Ronde bereits 2015 gewonnen und zahlreiche weitere große Siege eingefahren. Seine beiden großen Stärken: Er weiß, wie man ein Rennen liest und er ist extrem zäh. Wenn der Oldie früh mit einer Gruppe wegfährt, ist ein Top-Resultat drin.
Der Kölner ist aus deutscher Sicht die vielversprechendste Option für eine gute Platzierung bei der Flandern-Rundfahrt 2023. Der Deutsche Meister hat eine gute Form beisammen. Um ganz vorne mitzufahren, reicht es aber aktuell nicht. Zudem dürfte er eher auf Paris-Roubaix schielen, was dem Klassikerspezialisten wesentlich besser liegt. Bei der Ronde ist ein Top-10-Platz wohl das Maximum für Politt.
Der Däne ist die zweite Option von Soudal - Quick Step. Für ihn gilt Ähnliches wie für Alaphilippe. Er fährt seiner Form hinterher. Der Flandern-Rundfahrt-Sieger von 2021 müsste mit einer frühen Gruppe wegfahren und hoffen, dass diese durchkommt, um ein Spitzenresultat zu erzielen.
Mit 34 Jahren knüpft der Belgier nochmal an seine besten Zeiten an. Der Mann aus Kortrijk wurde überraschend Dritter bei Gent-Wevelgem. Wenn bei ihm alles optimal läuft, ist auch hier ein vorderer Top-10-Platz drin.
Mit seinem Erfolg bei Gent-Wevelgem und dem Etappensieg beim Giro d’Italia war Girmay einer der Newcomer des Jahres 2022. Doch dieses Jahr ist die Form wohl nicht gut genug, um ganz vorne mitzufahren.
Der US-Amerikaner war bislang nicht bekannt als Spezialist für die flämischen Klassiker, ließ aber mit Platz drei bei Quer durch Flandern und Rang sieben bei Mailand-San Remo aufhorchen. Der 26-Jährige kann bei der Ronde befreit auffahren und ist ein Kandidat für eine Überraschung.
Der Belgier ist die zweite Karte, die Trek-Segafredo bei der Ronde spielen kann. In diesem Jahr fehlen dem Mailand-San-Remo-Sieger von 2021 allerdings die nötigen Top-Resultate für mehr als einen Stern.
Movistar hat die flämischen Klassiker für sich entdeckt. Beim E3 Harelbeke wurden die Spanier mit dem US-Amerikaner Jorgenson und seinem spanischen Teamkollegen Ivan Garcia Cortina Vierter und Fünfter. Dort waren sie immer auf der Höhe des Geschehens und haben sich taktisch clever verhalten, was man in der Vergangenheit nicht immer von dieser Mannschaft behaupten konnte. Das Movistar-Tandem hat auch bei der Flandern-Rundfahrt Überraschungspotenzial.
Der Belgier hat mit Tadej Pogacar einen der Top-Favoriten in seinem Team. Von der reinen Klasse her hat er das Potenzial für ein Spitzenergebnis. Das wird Wellens aber nur einfahren, falls Pogacar ein Problem bekommt oder sich der Belgier selbst durch ein taktisches Manöver in einer vielversprechenden Position befindet.
Der sprintstarke Australier war 2019 schon einmal Sechster bei der Ronde. Ein ähnliches Resultat wäre für ihn dieses Jahr wohl das höchste der Gefühle.