Robert Kühnen
, Konstantin Rohé
· 10.11.2022
Gravelbike-Reifen! Sie entscheiden darüber, ob das Rad wirklich auf der Straße und im Gelände überzeugt. Wir hatten 12 Tubeless-Reifen im Labor- und Praxistest.
Reifen haben bei Gravelbikes einen schwierigen Job. Sie sollen auf der Straße leicht, sicher und geschmeidig rollen und abseits des Asphalts guten Grip bieten. Für die Straße wäre eigentlich ein Slick optimal, für losen oder rutschigen Grund hingegen ein Reifen mit ausgeprägten Stollen. Wie aber verheiratet man beide Welten so, dass man ohne spürbare Defizite von Asphalt auf Schotter, Erde und wieder zurück wechseln kann? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, haben wir die Reifenhersteller gebeten, uns ihren jeweils schnellsten Gravelbike-Reifen sowie den besten Allrounder zu schicken. Im Fahrversuch und Labor haben wir uns die sechs Reifenpaare für den Graveleinsatz dann ausgiebig vorgenommen, um Stärken und Schwächen der verschiedenen Gummis zu beleuchten.
Die erste Frage, die sich dabei stellt: Wie viel Luft muss eigentlich in den Reifen? Die Angaben der Hersteller schwanken, von mindestens 2 bis höchstens 3,5 Bar (Kenda) bis mindestens 3 und höchstens 6 Bar (Vittoria). Unsere Fahrversuche ergaben: 2 Bar sind ideal im Gelände, 4 Bar machen einen 40 Millimeter breiten Reifen knallhart. Sobald der Untergrund uneben wird, muss der Druck runter, sonst springt der Reifen. Nichts bringt so viel Sicherheit im Gelände wie ein angepasster, möglichst niedriger Druck. Egal ob Schotter oder Waldweg: Mit weniger Luft im Gummi gelingt einfach alles besser. Rutschige Kurven werden beherrschbar, bergauf wie bergab greifen die Reifen besser.
Kenda liegt mit seiner Empfehlung nach unserer Einschätzung daher richtig. 3 Bar sind mit Schlauch ein Kompromiss, besser gefahren sind wir mit 1,9/ 2,2 Bar vorne/hinten und ohne Schlauch (bei einem 70 Kilogramm schweren Fahrer). Hintergrund: Der Schlauch geht bei niedrigem Druck leicht kaputt, wenn er am Felgenhorn eingezwickt wird. Der Mantel ist stabiler und kann ohne Schlauch („tubeless“) auch mit weniger Luft sicher gefahren werden. Alle Reifen im Test sind ohne Schlauch fahrbar. Dazu müssen Ventile direkt in die gedichteten Felgen geschraubt und die Reifen mit Dichtmilch montiert werden. Die Erstmontage ist nicht immer ganz einfach, ein Profi macht das aber in wenigen Minuten, fragen Sie im Zweifel Ihren Händler. Danach muss man nur noch gelegentlich nachpumpen und jedes halbe Jahr Dichtmilch nachgießen.
Erst derart gerüstet offenbart sich das wahre Spaßpotenzial der Gravelbike-Reifen, die zudem besser vor Pannen geschützt sind. Die besten Allrounder rollen auf Asphalt makellos, gut steuerbar und greifen erstaunlich gut im Gelände. Allen voran Continentals Modell Terra Speed. Dessen Stollen sind auf der Straße kaum zu spüren, beißen im Gelände aber kräftig zu. Die schnelle Gummimischung lässt den Reifen dabei rollen wie einen Rennradreifen – und das auch mit wenig Luft. Der Rollwiderstand auf der Straße steigt nur um magere 3 Watt beim Absenken des Drucks von 3 auf 2 Bar. Im Gelände hat der niedrige Druck nur Vorteile. Im Wiegetritt auf der Straße fühlen sich 2 Bar eher zu plüschig an, und die Zielsicherheit beim Einlenken in Kurven leidet. Hier muss jeder für sich herausfinden, was für den persönlichen Stil und Streckenmix am besten passt.
Ein sehr guter Allrounder ist auch Schwalbes G-One Allround. Der gröber profilierte G-One Bite ist der bessere Kompromiss, wenn mehr Gelände unter die Reifen kommt. Im Gelände packt Kendas Boost Pro am besten zu – dafür wechselt er auf der Straße sehr unharmonisch von Geradeausfahrt in Schräglage über und rollt auch schlecht. Das Gros der Reifen liegt zwischen diesen Extremen. Bei allen Modellen sichern Stollen auf den Reifenschultern den Grip in Schräglage; mit wenig Luft ist auch die Traktion beim Klettern und Bremsen gut. In der Reifenmitte ist das Profil mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Der Rollwiderstand hängt aber mehr von der Gummimischung ab: Die schnellsten Reifen im Test haben sogar ein durchgängiges Profil in der Reifenmitte. In der Tabelle auf den nächsten Seiten finden Sie in komprimierter Form alle Details zu den Reifen und können sich Ihren Favoriten für Ihr Nutzungsprofil herauspicken.
Diese 12 Gravelbike-Modelle der führenden Reifenhersteller haben wir getestet.
TOUR hat alle Tests unabhängig von den Prüfeinrichtungen der Reifenhersteller im eigenen Labor vorgenommen. Als einziges Magazin messen wir Rollwiderstände mit eigenem Equipment. Die Rollwiderstände haben wir praxisnah auf Schotter und Straßenbelag mit einem oszillierenden Pendel und bei verschiedenen Reifendrücken erprobt. Daraus lässt sich die Qualität der Gummimischungen und Profile ablesen.
Gravelbike-Reifen sollten auch bei niedrigem Druck möglichst geringen Rollwiderstand aufweisen. Die Schnittfestigkeit als Maß für den Pannenschutz haben wir gesondert für Reifenmitte und Reifenflanke ermittelt, indem wir eine Metallklinge durch die Reifen getrieben und die dazu nötigen Kräfte gemessen haben. Im Praxistest sind wir die Reifen auf verschiedenen Untergründen gefahren: Asphalt, Pflaster, Schotter und Waldwege wechselten sich ab.
Dimension Breite x Höhe: 40 x 37 Millimeter
Gewicht: 400 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 23,3 / 24,8 / 27,7 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 35,0 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 503 / 204 Newton
Gesamtnote (100 %) 1,4
Der Testsieger in diesem Vergleichstest von Gravelbike-Reifen! Vereint vorbildlich guten Grip mit sehr niedrigem Rollwiderstand. Sehr leicht, trotzdem guter Pannenschutz. Die zarten Stollen verschleißen vermutlich relativ schnell.
Dimension Breite x Höhe: 40 x 37 Millimeter
Gewicht: 457 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 32,9 / 34,2 / 38,7 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 45,9 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 501 / 207 Newton
Gesamtnote (100%) 2,3
Der Terra Trail Gravelbike-Reifen von Continental packt zu wie ein Crossreifen und fährt sich auf der Straße noch angenehm. Rollt gut für einen Reifen dieser Klasse. Gut, wenn Gelände überwiegt.
Dimension Breite x Höhe: 43 x 41 Millimeter
Gewicht: 515 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 31,8 / 34,8 / 41,9 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 47,2 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 415 / 216 Newton
Gesamtnote (100%) 2,6
Der Kenda-Reifen ist erstaunlich geländegängig. Die Schulterstollen beißen in allen Fahrlagen herzhaft zu. Gutes Straßengefühl. Tubelessmontage schwierig, der Reifen ist sehr weit.
Dimension Breite x Höhe: 38 x 38 Millimeter
Gewicht: 433 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 38,1 / 41,7 / 48,2 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 52,8 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 370 / 201 Newton
Gesamtnote (100%) 3,2
Gravelbike-Spaßreifen mit ultimativem Geländegrip, aber grenzwertig auf Asphalt. Beißt sich überall durch, auch in weichen Böden. Der Kenda-Reifen ist ebenfalls zu weit.
Dimension Breite x Höhe: 41 x 37 Millimeter
Gewicht: 501 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 25,5 / 26,9 / 31,6 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 38,4 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 395 / 196 Newton
Gesamtnote (100%) 2,2
Schneller Minimalist mit sehr gutem Straßengefühl. Geländetraktion in Schräglage überraschend gut, geradeaus stärker limitiert.
Dimension Breite x Höhe: 41 x 40 Millimeter
Gewicht: 514 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 31,4 / 34,5 / 39,3 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 45,7 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 474 / 199 Newton
Gesamtnote (100%) 2,4
Kräftiges, offenes Profil, packt auch in weichen Böden herzhaft zu. Gute Selbstreinigung. Angenehmes Fahrgefühl auf der Straße, rollt befriedigend.
Dimension Breite x Höhe: 38 x 35 Millimeter
Gewicht: 487 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 22,8 / 24,2 / 27,9 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 36,0 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 406 / 211 Newton
Gesamtnote (100%) 1,9
Trendsetter und immer noch der schnellste Gravelbike-Reifen mit perfektem Straßengefühl. Der Schwalbe G One Allround ist ideal, wenn Straße im Mix überwiegt.
Dimension Breite x Höhe: 40 x 37 Millimeter
Gewicht: 494 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 25,4 / 26,9 / 31,3 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 40,4 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 414 / 231 Newton
Gesamtnote (100%) 1,9
Mehr Biss als beim Schwalbe G-One und immer noch überzeugend leicht rollend. Guter Kompromiss, wenn mehr Gelände als Straße zu bewältigen ist.
Dimension Breite x Höhe: 40 x 37 Millimeter
Gewicht: 458 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 29,1 / 30,5 / 34,5 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 40,6 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 430 / 135 Newton
Gesamtnote (100%) 2,4
Fazit: Kippt sportlich dynamisch in Kurven ab. Rollt leise. Schulterstollen packen bei Bedarf kräftig zu. Empfindliche Seitenwand.
Dimension Breite x Höhe: 42 x 41 Millimeter
Gewicht: 491 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 29,3 / 30,4 / 34,5 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 41,2 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 416 / 149 Newton
Gesamtnote (100%) 2,2
Etwas griffiger als der Zero, bei vergleichbar guten Rollwerten – darum der bessere Kompromiss im gemischten Terrain. Empfindliche Seitenwand.
Dimension Breite x Höhe: 38 x 35 Millimeter
Gewicht: 428 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 32 / 34,1 / 40,3 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 45,5 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 403 / 227 Newton
Gesamtnote (100%) 2,8
Testfazit: Rollt leise auf Asphalt, aber nicht wirklich schnell: Die Gummimischung ist demnach nicht auf geringen Rollwiderstand getrimmt. In Schräglage etwas Biss.
Dimension Breite x Höhe: 41 x 37 Millimeter
Gewicht: 525 Gramm
Rollwiderstand Straße bei 4 / 3 / 2 Bar*: 42,7 / 41,3 / 45,5 Watt
Rollwiderstand Schotter bei 2 Bar*: 59,0 Watt
Schnittfestigkeit Lauffläche / Seite: 380 / 170 Newton
Gesamtnote (100%) 3,5
Fazit: Geländespezialist. Das weiche Lamellenprofil walkt spürbar auf der Straße und treibt den Rollwiderstand auf allen Untergründen in die Höhe. Guter Grip.
* Rollwiderstand bezogen auf 30 km/h bei 90 kg Systemgewicht
In einigen unserer Auftritte verwenden wir sogenannte Affiliate Links. Diese sind mit Sternchen gekennzeichnet. Wenn Sie auf so einen Affiliate-Link klicken und über diesen Link einkaufen, erhalten wir von dem betreffenden Online-Shop oder Anbieter (wie z.B. Rose oder Amazon) eine Provision. Für Sie verändert sich der Preis dadurch nicht.