Das Gravelbike ist zweifellos die erfolgreichste Rennrad-Gattung der vergangenen Jahre. Erste Konzepte in den USA schwappten 2014 nach Europa und verdrängten allmählich den Cyclocrosser von den Schotterpisten - bis dahin die einzige geländegängige Plattform mit gebogenem Lenker. Der Siegeszug des Gravelbikes ist seiner Vielseitigkeit zu verdanken. Von der asphaltierten Straße bis zum schmalen Trail nimmt die junge Gattung nahezu jeden Untergrund unter die Reifen. Die Sitzposition fällt in der Regel komfortabel aus und ist mit Endurance-Rennrädern vergleichbar. Der Federkomfort erreicht dank voluminöser Stollenreifen mitunter das Niveau von Hardtail-Mountainbikes. Waren die Urahnen von GT, Salsa oder Specialized noch am sportlichen Cyclocrosser angelehnt, hat sich das Gravelbike längst davon emanzipiert. Neben klassischen Allround-Modellen haben sich Spezialisten entwickelt: schnelle Race-Gravelbikes mit aerodynamisch optimierten Rahmen-Sets, abenteuertaugliche Bikepacking-Räder mit Montagepunkten für Gepäck sowie alltagstaugliche Commuter mit Schutzblechen und Lichtanlage.
Klassische Gravelbikes charakterisieren sich wie Bikepacking- und Commuting-Modelle durch eine langstreckentaugliche Komfortgeometrie. Ein langes Steuerrohr bringt Fahrer oder Fahrerin in eine betont aufrechte Sitzposition, das Verhältnis von Stack (tatsächliche Rahmenhöhe) und Reach (tatsächliche Rahmenlänge) bewegt sich um 1,55. Neben den Breitreifen führen nachgiebige Sattelstützen mit bis zu zwei Zentimetern Federweg und tief ansetzende Sitzstreben zu einer fahrwerksähnlichen Federung. Vereinzelt steckt eine Federgabel im Rahmen oder ist am hinteren Rahmendreieck ein Dämpfungselement verbaut. Schnelle Race-Gravelbikes orientieren sich dagegen am Wettkampfrad: Sowohl was die relativ gestreckte Sitzposition als auch die aerodynamisch optimierten Rohrformen anbelangt.
“Länge läuft”: Der unter Wassersportlern bekannte Spruch trifft auch auf die populäre Rad-Gattung zu. Durch einen langen Radstand (1000 Millimeter und mehr) liegt das Gravelbike satt auf der Schotterpiste. Ein flacher Lenkwinkel (um 70 Grad) und viel Gabelnachlauf (60 Millimeter und mehr) führen ebenfalls zu großer Laufruhe. Speziell geformte Cockpits mit weit ausgestelltem Unterlenker greifen sich auch auf ruppigem Terrain gut und bieten eine bessere Kontrolle als herkömmliche Lenker.
Die ersten Gravel-Road-Bikes, so die ursprüngliche Bezeichnung der aufstrebenden Kategorie, rollten nur auf etwas breiteren Reifen als Cyclocrosser. Inzwischen sind 40-Millimeter-Pneus am weitesten verbreitet und ein Standardmaß. Maximal lassen Rahmen und Gabel bei einigen Modellen Platz für bis zu 50 Millimeter. Dafür müssen meist aber kleinere Laufräder (27,5 Zoll) montiert werden. Die Reifenprofile reichen von glatten, straßenähnlichen Slicks bis hin zu grobstolligen, MTB-ähnlichen Versionen.
Die vom Straßenrad bekannte Zweifach-Kurbel ist am Gravelbike eine Ausnahme. Stattdessen dominieren benutzerfreundliche und wartungsarme Einfach-Antriebe. Das fehlende Kettenblatt kompensieren die Schaltungshersteller mit breit gefächerten Kassetten, die im Extremfall MTB-Dimensionen (bis 52 Zähne) haben können. Nachteil der Einfach-Antriebe: Die Sprünge zwischen den Gängen fallen etwas größer als bei der Zweifach-Variante aus.
Mit Ausnahme der für den Renneinsatz konzipierten Race-Modelle sind die Rahmen-Sets meistens mit Montagepunkten für Schutzbleche und Gepäckträger ausgestattet. Damit lässt sich fast jedes Gravelbike zu einem geländegängigen Pendlerrad umfunktionieren. Die Spezialisten für mehrtägige Abenteuer sind regelrecht mit Gewindeösen für Taschen, Trinkflaschen und Werkzeug durchlöchert. Vereinzelt bieten kleine Staufächer im Unterrohr zudem Platz für Ersatzschlauch und Mini-Tool.
Der Siegeszug des Gravelbikes basiert auch auf dem im Vergleich zu Wettkampf- und Marathonrad günstigeren Preisniveau. Robuste Einsteigermodelle sind schon für weniger als 1000 Euro erhältlich, wegen ihres hohen Gewichts und einfacher Technik aber nur bedingt zu empfehlen. Funktionelle Alu-Bikes bewegen sich um 2000 Euro. Carbon-Räder werden ab etwa 2500 Euro angeboten, mit exklusiver Ausstattung werden wie beim Wettkampf-Rennrad fantastische Preise jenseits der 10.000 Euro fällig.
Robuste Gravelbikes mit einfachen Komponenten und einfachen Alu-Rahmen bewegen sich um die Zehn-Kilo-Marke. Im Vergleich zum Endurance-Rennrad drücken vor allem die breiteren Reifen auf die Waage. Carbon-Modelle sind teils deutlich leichter und gewichtsmäßig auf ähnlichem Niveau wie ein langstreckentaugliches Marathonrad.
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