Peter Nilges
, Stefan Loibl
· 31.05.2022
Profilierte Breitreifen waren bislang nur der Anfang, um das Gravelbike vom Rennrad abzunabeln. Mit neuen technischen Finessen rücken Komfort und Geländegängigkeit weiter in den Fokus. Wir haben getestet, was neue Federungskonzepte wie Federgabel, gefederter Vorbau oder breite Reifen in der Praxis bringen.
Der Gravelbike-Trend ist schon längst zu einem ordentlichen Boom herangewachsen und wird bereitwillig vom Innovationsgeist der Industrie befeuert. Es gibt nahezu kein Lenkerband, kein Kleidungsstück, keine Tasche, die es nicht speziell für den Gravel-Einsatz zu kaufen gäbe. Auch im Bezug auf die Gravelbikes selbst und die Komponenten geben sich die Hersteller erfinderisch. Unter dem übergeordneten Thema „Komfort“ sprießt geradezu eine Fülle an Anbauteilen, welche die Gelände-Rennräder noch besser für den Einsatz abseits der Straße wappnen sollen. Spezielle Federgabeln, gefederte Vorbauten, Breitreifen, Teleskopsattelstützen oder flexible Carbonfelgen sollen die immer kleiner werdende Lücke zum Mountainbike-Hardtail schließen. Neben den genannten nachrüstbaren Komponenten für den Gravel-Einsatz gibt es natürlich auch Komplettbikes, wie das BMC Urs LT oder das Niner MCR 9 RDO, die sogar auf eine integrierte Federung an Gabel und Hinterbau setzen und so den Einsatzbereich verlagern.
Doch zurück zu den nachrüstbaren Teilen, die dem puristischen Gravelbike mehr Komfort einhauchen sollen. Um das zu überprüfen, was am Mountainbike seit Jahrzehnten funktioniert oder bereits wieder in der Versenkung verschwunden ist, haben wir vier komfortversprechende Produkte im Praxistest gegeneinander gefahren. Unsere Duelle geben dabei nicht nur Aufschluss über die Funktion, sondern auch die Sinnhaftigkeit an einem Gravelbike. Ein Überblick über weitere spannende Teile finden Sie unten.
Im ersten Duell tritt die speziell für den Gravel-Einsatz entwickelte Rockshox-Rudy-Federgabel gegen den Federvorbau von Vecnum aus dem Allgäu an. Beide Nachrüstteile verfügen über 30 Millimeter Federweg und verfolgen trotz unterschiedlicher Herangehensweise das gleiche Ziel: am Vorderrad auftretende Schläge zu minimieren und möglichst wenig davon an den Fahrer weiterzureichen.
Im zweiten Duell dreht es sich im Wortsinn um Reifen bzw. Laufäder. Nach der Einführung der Moto-Felge für Mountainbikes rollt der amerikanische Hersteller Zipp seine Felgen-Technologie auch für Gravelbikes aus. Das Besondere an den Zipp- 101-Laufrädern ist die speziell geformte Carbonfelge, die ohne Hohlkammer auskommt. Dadurch soll die sehr flach bauende Felge besonders flexibel sein und auftretende Erschütterungen herausfiltern können. Als Gegenspieler der Zipp-Laufräder mit 40 Millimeter breiten Reifen tritt das gleiche Reifenmodell in 50 Millimeter Breite und angepasstem Luftdruck an. Wie sich die Duellanten schlagen und dabei das Portemonnaie belasten, lesen Sie in diesem Artikel.
Auf den ersten Blick scheint das Ergebnis dieses Duells eine klare Sache: Was kann schon ein gefederter Vorbau gegen eine richtige Federgabel ausrichten? Bereits in den Anfangsjahren des Mountainbikes hatten die filigranen gefederten Vorbauten keine Chance gegen die langhubigeren Federgabeln. Mit dem parallel geführten Vecnum Freeqence-Vorbau gehen die Tüftler aus dem Allgäu das Thema aber komplett neu an und kitzeln sogar den gleichen Federweg heraus wie die Gravel-Federgabel von Rockshox. Die Rockshox Rudy gibt es allerdings auch mit bis zu 40 Millimeter Hub. Bei der Kompatibilität geht der Punkt an den in drei Längen (90, 105, 120 Millimeter) erhältlichen Vorbau mit einer Schaftklemmung von 1-1/8 Zoll. Denn: Durch die größere Einbaulänge von 425 Millimetern kollidiert die Federgabel (Schaftmaß 1,5 auf 1-1/8 Zoll) aktuell mit den allermeisten Rahmengeometrien.
Abseits der Straße können beide Konzepte überzeugen und vermitteln im Vergleich zum ungefederten Gravelbike ein Aha-Erlebnis. Unebenheiten und Schläge werden viel besser kompensiert und von den Händen des Fahrers ferngehalten. Dadurch steigt nicht nur der Komfort, sondern ganz entscheidend auch die Bike-Kontrolle. Da beide Systeme über den gleichen Federweg verfügen und auch die luftgefederte Rockshox-Gabel ab der Hälfte des Federwegs zusätzlich einen Elastomer komprimiert, fühlen sie sich im direkten Vergleich sehr ähnlich an.
Sowohl die Rockshox-Rudy-Federgabel als auch der Vecnum-Vorbau erhöhen den Fahrkomfort spürbar und sorgen so für mehr Sicherheit und weniger Ermüdung auf rauen Pisten. Preis, Gewicht und Kompatibilität sprechen aber klar für den Vecnum-Vorbau, der somit die smartere Lösung am Gravelbike ist.
Der amerikanische Laufrad- und Komponentenhersteller Zipp zählt im Rennradbereich zu einer festen Größe. Mit den innovativen Moto-Felgen hat Zipp seit 2019 sein Engagement auch auf den MTB-Markt ausgedehnt. Um eine besonders flexible Felge zu realisieren, die Schlägen ausweichen und Vibrationen aufnehmen kann, verzichtet Zipp bei der speziellen Carbonfelge auf eine Hohlkammer. Dadurch soll sich die einwandige Felge nicht nur komfortabler fahren, sondern auch die Gefahr von Durchschlägen und damit Reifen- wie Felgendefekten reduzieren. Mit den 101-XPLR-Laufrädern dehnt Zipp seine neue Technologie auf den Gravelbereich aus. Mit einer Innenweite von 28 Millimetern sind die Laufräder sehr breit, kosten im Satz 1839 Euro und wiegen 1688 Gramm. Für unseren Vergleich fuhren wir die Laufräder mit Schwalbes G-One Bite in 40 Millimetern Breite.
Als Konkurrent trat ein G-One Bite in 50 Millimeter Breite auf einem Cadex-AR-35-Carbonlaufrad an. Um dem größeren Volumen des Breitreifens gerecht zu werden, reduzierten wir den Reifendruck um 0,4 auf insgesamt 2,1 Bar. In diesem Setup fiel der Unterschied zwischen Breitreifen und Zipp-Laufrädern sehr gering aus. Erst mit dem Ausreizen des Minimaldrucks (0,7 Bar weniger) konnte sich der breite Gravelbike-Reifen im Gelände von den Zipp-Laufrädern mit schmalen Reifen und mehr Druck absetzen. Traktion und das Dämpfen von Kraftspitzen waren besser.
Im direkten Vergleich macht sich der um zehn Millimeter breitere Reifen mit entsprechend niedrigerem Reifendruck stärker bemerkbar als die flexible Felge der Zipp-Laufräder. Mehr Traktion und Komfort generieren die Breitreifen am Gravelbike. Das Optimum wäre sicherlich die Kombination aus beidem.
Während unserer Testfahrten auf Schotter, Trails und über die Rüttelbretter haben wir unterschiedliche Reifenbreiten getestet und mit diversen Luftdrücken herumexperimentiert. In Summe zeigte sich immer dasselbe Bild: Die breiteren Reifen konnten fast immer überzeugen und bieten deutliche Vorteile. Der Rollwiderstand ist geringer, sie generieren mehr Grip und Traktion und bieten mehr Komfort als die schmaleren Pneus. Das Mehrgewicht hält sich in Grenzen. Es liegt beispielsweise bei einem Schwalbe G-One Bite bei 150 Gramm für einen Satz-Reifen (40 vs. 50 Millimeter). In Sachen Aerodynamik schneidet der breite Reifen minimal schlechter ab. Pro zehn Millimeter mehr Reifenbreite beträgt die Mehrleistung nur 3,6 Watt bei 30 km/h, wie die Schweizer Laufradexperten von Swiss Side bei Windkanaltests ermittelt haben. Mit breiteren Reifen lässt sich auch steifen Gravelbikes mit wenig Rahmen-Federkomfort etwas mehr Fahrkomfort einhauchen. Voraussetzung ist allerdings, dass man sich am Minimal-Luftdruck orientiert, den die Hersteller angeben. Für mehr Pannenschutz bei niedrigen Luftdrücken eignet sich zudem ein Tubeless-Setup. Und am Ende entscheiden die Federgabel und der Hinterbau, ob man an seinem Gravelbike überhaupt breitere Reifen als 40 Millimeter montieren kann. Doch 45 Millimeter Breite sollte sich in den meisten modernen Gravelbikes ausgehen. Dafür bekommt man einen Komfort-Boost für wenig Geld.
Auch diese Teile versprechen mehr Komfort am Gravelbike und lassen sich allesamt nachrüsten. Die Preise für mehr Federweg reichen von knapp 70 Euro bis zu 1259 Euro für eine neue Gravel-Federgabel von Fox.
Als Pendant zur Rockshox Rudy rückt auch die neue Fox 32 Tapercast das Gravelbike noch näher ans Mountainbike heran. Die Fox-Gravelbike-Federgabel gibt es sogar mit bis zu 50 Millimetern Federweg. Achtung: Auch bei Fox fällt die Einbaulänge mit 435 Millimetern größer aus als bei einer Starrgabel.
Der amerikanische Anbieter Redshift hat gleich zwei komfortbringende Komponenten im Programm. Der gefederte Vorbau liefert 20 Millimeter Federweg und kann in positiver wie negativer Ausrichtung montiert werden. Die Stütze stellt ebenfalls zwei Zentimeter Federweg bereit.
Die drahtlos angesteuerte Reverb-AXS-Teleskopstütze von Rockshox schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe und passt dank 27,2 Millimetern Durchmesser in nahezu jedes Bike. Neben der Höhenverstellung federt die Stütze zusätzlich im abgesenkten Zustand.
Das Reifen-Insert ist für eine Reifenbreite von 30 bis 40 Millimeter ausgelegt und soll auch bei niedrigem Luftdruck Durchschläge verhindern, was Reifen und Felge schont. Nur im Tubeless-Setup fahrbar.
Mit Hilfe des Vibrocore-Schaums im Inneren des Alu-Lenkers sollen Vibrationen gefiltert werden, was die Ermüdung beim Fahren reduziert. Es gibt zwei unterschiedlich geformte Lenkermodelle mit dem dämpfenden Schaumkern.
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