Jens Klötzer
· 11.10.2022
Filippo Gannas Stundenweltrekord ist ein Fall für die Geschichtsbücher. Doch nicht nur die Leistung des Italieners wird in Erinnerung bleiben - auch das Rad ist ein absolutes Novum: Pinarello präsentierte mit dem Bolide F HR 3D das erste (ernstzunehmende) Rennrad aus dem 3D-Drucker.
Rahmen, Lenker und Sattelstütze des Pinarello Bolide F HR 3D, mit dem Filippo Ganna den Stundenweltrekord knackte, bestehen aus einer Aluminiumlegierung mit Magnesium- und Scandiumanteilen, das in seiner Ursprungsform als feines Pulver vorliegt. Ein Laser erhitzt eine hauchdünne Schicht des Pulvers auf hundertstel Millimeter genau und lässt die Körnchen miteinander verbacken. Schicht für Schicht entsteht so ein Bauteil, dessen Festigkeit mittlerweile an klassisch verarbeitete Metallkonstruktionen herankommt.
Für Konstrukteure hat diese Fertigungsweise unschätzbare Vorteile. Das Design muss keine Rücksicht auf Backformen oder Schweißnähte mehr nehmen, nahezu beliebige Formen lassen sich realisieren, selbst in den Hohlräumen sind versteifende Strukturen möglich. Jedes Bauteil ist ein Einzelstück und vor allem: Statt Wochen beträgt die Fertigungszeit nur Stunden.
Ganna kam mit dem Pinarello Bolide F HR 3D in den Genuss eines Maßrahmens, dessen Armauflagen Abdrücke seines eigenen Körpers sind. In Sachen Aerodynamik und Steifigkeit soll das Rad alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen, Pinarello spricht gar vom Beginn eines neuen Zeitalters der Fertigungstechnik. Denn die Italiener sehen in dem Pinarello Bolide F HR 3D nur einen Vorläufer noch viel größerer Ambitionen: Die Technologie soll in Zukunft auch einem breiteren Publikum zur Verfügung stehen, der Fokus der Forschung liegt jetzt auf Wegen, den Prozess günstiger zu machen.
Für den Zweck des F HR 3D lag der Fokus ganz entschieden auf der Aerodynamik. In aufwendigen Simulationen und Windkanal-Versuchen identifizierte Pinarello das Sitzrohr als wesentlichen Verursacher des Luftwiderstands unter den Rahmenrohren. Fast ein Drittel geht hier verloren. Der Grund sind die rotierenden Beine des Fahrers, die den Luftstrom stetig stören und die Strömung am Sitzrohr immer wieder abreißen lassen. Zusammen mit der Sattelstütze können laut Pinarello in manchen Situationen 40 Prozent zusammenkommen, erst mit 22 Prozent folgt die Gabel, 15 Prozent verursachen die Kettenstreben:
Für Verbesserungen nahm man also die wichtigsten Teile in den Blick. Sitzrohr und Sattelstütze bekamen an der Front eine Struktur, die den Flossen von Buckelwalen ähnelt. Der Kniff ist ein Patent von Forschern der Universität in Adelaide, eine ähnliche Form haben auch die Felgen der Aero-Spezialisten Zipp. Die in Windrichtung sanft auslaufenden Höcker sollen helfen, den Luftstrom am Sitzrohr zu halten.
Darüber hinaus profitierte Pinarello von der Abschaffung der UCI 3:1-Regel, welche die Abmessungen der Rohrquerschnitte vorschreibt, sowie einer Reduzierung der gesamten Frontfläche: Die Naben sind vorn 69 und hinten 89 Millimeter schmal, das Tretlager misst gerade mal 54 Millimeter.
Den Beweis seines Könnens konnte das F HR 3D bereits am 19. August diesen Jahres liefern: Der Performance-Ingenieur vom Team Ineos Dan Bigham konnte mit einem baugleichen Rad schon einen neuen Stundenweltrekord aufstellen. Glaubt man Pinarello, hat die Technologie des F HR 3D also einen nicht unwichtigen Anteil an der neuen Bestmarke. Ganna jedenfalls pulverisierte mit seinem Rekord alle Zeiten vor ihm - mit einem Rad, das aus Pulver entstand.