Julian Schultz
· 24.03.2022
Das Orca Aero von Orbea fühlt sich im Sattel so schnell an, wie es schon im Stand aussieht – doch der Windkanaltest fördert eine andere Wahrheit zutage.
Von einer Welle mag man in Zeiten der Corona-Pandemie eigentlich gar nichts mehr lesen. Doch auch im Radsport baut sich seit einigen Monaten eine solche auf und wird – davon gehen alle Experten aus – schon bald über den Markt hinwegschwappen. Die Rede ist von einer neuen Aero-Welle, die der Weltverband UCI durch eine Änderung im technischen Reglement angestoßen hat und die beispielsweise das Simplon Pride II und das Storck Aerfast.4 (siehe TOUR 2/22) schon erfasst hat. Das Orbea Orca Aero erweitert diesen elitären Kreis nun.
„Dieses Rad gibt ohne Zögern alles, und zwar jeden Tag. Lange lebe das Rennrad!“ Es klingt schon etwas pathetisch, wie Orbea im Herbst 2021 sein neues Top-Modell ankündigte. Doch Orbea ist mit seiner genossenschaftlichen Organisation auch kein gewöhnlicher Radhersteller. Rund die Hälfte der Firma an der nordspanischen Atlantikküste befindet sich im Besitz der Angestellten. Da darf die Neuvorstellung eines Top-Modells dann auch mal etwas emotionaler ausfallen. Den harten Fakten des TOUR--Tests muss sich das Orca Aero trotzdem stellen.
Über allem steht die Frage: Wie schlägt sich der stolze Spanier im Windkanal? Die kurze Antwort: gut. Mehr aber auch nicht. Denn obwohl Orbea laut eigener Aussage „Hunderte Stunden“ damit verbracht hat, das Rad auf ein neues aero-dynamisches Level zu heben, erfordert die Durchschnittsgeschwindigkeit von 45 km/h immer noch 212 Watt Tretleistung. Das Orca Aero ist damit zweifellos ein schnelles Rad, verpasst allerdings die Top Ten der schnellsten Serienräder im TOUR-Test. Das Ergebnis überrascht auch deshalb, weil sich Orbea, ähnlich wie die Hersteller Simplon und Storck, am neuen UCI-Reglement orientiert. Speziell das Steuerrohr ist in die Länge gezogen und damit zumindest formal auf dem neuesten Stand.
Der Vollständigkeit halber haben wir das Rad ein zweites Mal dem Windstrom ausgesetzt: mit der serienmäßigen Aero- statt der Standard-Trinkflasche, die wir sonst für alle Räder verwenden, sowie mit der Unterrohrbox , die von der UCI allerdings nicht zugelassen ist. Auf diese Weise reduziert sich der Widerstand um 3 auf 209 Watt, womit sich das Rad in unserer Bestenliste knapp hinter Canyon Aeroad CF SL 8 Disc, Pinarello Dogma F und Specialized S-Works Venge (alle 208 Watt) einreihen würde.
Von der Spitze der Wettkampfrenner unterscheidet sich das Orca außerdem durch das recht hohe Gewicht von 8,1 Kilogramm. Der Rahmen liegt deutlich über der Marke von 1.000 Gramm, die serienmäßigen C50-Laufräder von Shimano sind zwar schnell, aber mit 2.841 Gramm vergleichsweise schwer.
Mit seiner ausbalancierten Sitzposition, dem relativ direkten Lenkverhalten und beachtlichem Komfort punktet das Orca Aero allerdings wieder. Ein weiteres Plus ist die zweigeteilte Lenker-Vorbau-Einheit, wodurch sich der Aero-Lenker in der Neigung einstellen lässt. Zudem lässt der Online-Konfigurator kaum Wünsche offen: Lackierung, Laufräder, Vorbaulänge, Lenkerbreite oder Powermeter lassen sich individuell auswählen.
Neben der Aero-Welle wirkt sich allerdings auch die Corona-Welle auf das neue Orbea aus. Wie die Spanier mitteilten, mussten sie aufgrund gestörter Lieferketten und steigender Rohstoff- sowie Transportkosten die Preise erhöhen. Das von uns getestete M10iLTD mit Shimanos neuer Dura-Ace Di2 2x12 wurde im Vergleich zur Markteinführung um 400 Euro teurer, das Top-Modell liegt jetzt bei 9.999 Euro – viel Geld für ein relativ schweres und lediglich gutes Aero-Rad. Die günstigste Möglichkeit, das Orbea Orca zu fahren, beginnt mit dem M20LTD, das mit Shimanos Ultegra-Komponenten und 2x11-Getriebe 4.199 Euro kostet.
Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager* 1.307/454/74 Gramm / Rahmengrößen** 47, 49, 51, 53, 55, 57, 60 / Sitz-/Ober-/Steuerrohr 550/565/149 mm / Stack/Reach/STR*** 558/394 mm/1,41 / Radstand/Nachlauf 990/54 mm
*Gewogene -Gewichte. **Herstellerangabe Testgröße fett. ***
Stack/Reach projiziertes senkrechtes/waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerrohr; STR (Stack to Reach) 1,36 bedeutet eine sehr gestreckte, 1,60 eine aufrechte Sitzposition.
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