Rennräder & Technik bei Paris-RoubaixVisma-Mechaniker plaudert aus dem Nähkästchen

Sebastian Lindner

 · 10.04.2024

Rennräder & Technik bei Paris-Roubaix: Visma-Mechaniker plaudert aus dem NähkästchenFoto: Max Schumann
Dirk van de Ven zählt zu den Mechanikern, die sich bei Paris-Roubaix um die Räder von Visma | Lease a Bike kümmern.
Dirk van de Ven ist bei Paris-Roubaix als Mechaniker des Teams Visma | Lease a Bike dabei. Der Niederländer schildert seine Aufgaben und gibt Einblicke in die Konfiguration der Rennräder.

Nur einmal wird es kurz hektisch am Mannschaftsbus von Visma | Lease a Bike wenige Minuten vor dem Start von Paris-Roubaix in Compiegne. Das schwarz-gelbe Rennrad mit der Startnummer 14 bedarf nochmal kurz einiger Aufmerksamkeit. Mit geschickten Handgriffen tauschen zwei Mechaniker das Hinterrad der Maschine von Christophe Laporte aus. Der Europameister hat offenbar noch kurzfristig einige Änderungswünsche.



Inwiefern sie ihm letztlich geholfen haben, steht allerdings in den Sternen. Der Franzose, der nach schwerwiegenden Magen-Darm-Problemen sein erstes Rennen seit Mailand-Sanremo in Angriff nahm und somit auch nicht hundertprozentig fit ins Rennen ging, musste schon früh auf einer der ersten Kopfsteinpflasterpassagen mit Defekt anhalten. Sein Hinterrad war platt.

Rad-Konfiguration schon Wochen vorher

“Neben einer guten Vorbereitung braucht man bei Paris-Roubaix auch immer eine kleine Portion Glück”, sagt Dirk van de Ven noch am Mannschaftsbus. Und: “Normalerweise müssen wir jetzt” - keine halbe Stunde vor dem Start - “nur noch die Trinkflaschen in die Halterungen stecken.”

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Am Rad von Christophe Laporte wechselt Visma-Mechaniker Simon de Wolf in letzter Minute nochmal das Hinterrad.Foto: Max SchumannAm Rad von Christophe Laporte wechselt Visma-Mechaniker Simon de Wolf in letzter Minute nochmal das Hinterrad.

Völlig entspannt nimmt er sich die Zeit, seine Arbeit und die der Kollegen in Vorbereitung auf das Rennen zu schildern. Van de Ven ist seit 2015 Mechaniker bei Visma | Lease a Bike. Davor arbeitete der Niederländer in einem Fahrradladen, der das veraltete Material der Profis aufkaufte. Darüber kam der Kontakt zum Team zustande. Die Zeit zum Plaudern hat der Niederländer, denn die eigentliche Arbeit zur Vorbereitung der Räder ist da längst erledigt.

“Die Konfiguration für die Räder machen wir schon Wochen vorher, alles ist längst getestet und bereit. Es gibt keinen Grund für last-minute-Aktionen”, so der Niederländer. “Am Donnerstag sind wir damit im Training bei der Streckenerkundung gefahren, danach gab es nur noch ein paar marginale Änderungen.” Die so weit im Voraus mögliche Präparation der Räder ist bei Visma | Lease a Bike auch deshalb möglich, weil das Team nicht mit seiner üblichen Rennmaschine an den Start geht. Sind die Profis standardmäßig mit dem Aerorad Cervelo S5 beziehungsweise dem R5 in den Bergen unterwegs, ist es bei Paris-Roubaix seit zwei Jahren das Soloist.

Nur drei bis vier Bar und 32-Millimeter-Reifen

Im Vergleich zum Gros der restlichen Rennen im Rennkalender ist das Team dazu mit 32 Millimeter breiten Reifen unterwegs anstatt der üblichen 28. Drei bis vier Bar pumpen van de Ven und seine Kollegen in die Schlauchreifen - normalerweise sind es sieben bis acht Bar. Der eine oder andere geht laut van de Ven sogar noch etwas weiter runter. Auch bei Regen wäre es noch etwas weniger gewesen, doch die 2024er Austragung bleibt trocken.

Die 32 Millimeter sind die jüngste Erkenntnis aus den letzten zwei Jahren Paris-Roubaix. “Damit wollen wir in erster Linie mechanisches Versagen vermeiden”, erklärt van de Ven, der die Erfahrung aus etwa 160 Tagen pro Jahr mit dem Team in Rennen oder Trainingslagern mitbringt. “Im Rennen ist es nicht immer möglich, die Ideallinie zu fahren, deswegen müssen wir versuchen, auch über die schwierigen Stellen schadlos zu kommen.” Die Reifen seien nahezu die einzige verbliebene technische Schwachstelle, die noch übrig ist. “Die Spannung auf der Kette zum Beispiel haben wir seit dem Wechsel zu SRAM gut im Griff und eigentlich keine Schwierigkeiten mehr damit.”

Visma | Lease a Bike hat 22 Räder dabei

Nicht mehr ganz so selten ist das einfache Kettenblatt, das Visma | Lease a Bike auf alle Räder seiner Profis, die bei Paris-Roubaix am Start sind, montiert hat. Vor allem bei Zeitfahren und Rennen ohne nennenswerte Höhenmeter ist diese Variante immer häufiger im Peloton vertreten.

Nur wenige Handgriffe, dann ist alles wieder so, wie es sein sollte.Foto: Max SchumannNur wenige Handgriffe, dann ist alles wieder so, wie es sein sollte.

Für den einen oder anderen Fahrer gibt es noch eine zusätzliche Schicht Lenkerband, um die Vibrationen noch etwas mehr zu dämpfen. Doch ansonsten unterscheiden sich die Räder der einzelnen Fahrer, abgesehen von den Einstellungen, die anhand der Körpergröße gemacht werden müssen, gar nicht allzu sehr. “Die Fahrer, die heute am Start sind, sind im Allgemeinen nicht so empfindlich beim Material.” Einer, der ansonsten jede noch so kleine Abweichung spürt, Paris-Roubaix aber wegen seines Sturz bei Dwars door Vlaanderen auslassen muss, ist Wout van Aert. “Er ist sehr genau”, so van de Ven.



22 Räder hat das Team dabei. “Für jeden der sieben Fahrer bereiten wir drei vor, für Christophe Laporte haben wir noch eins extra dabei.” Es fällt auf dem Dach eines Teamwagens besonders auf, unterscheidet es sich in der besonderen Europameister-Lackierung mit viel Weiß und Blau deutlich von den anderen.

Nach dem Rennen ist vor dem Rennen

Konfiguriert ist es aber wie alle anderen Räder auch. “Zwischen den Maschinen, mit denen die Fahrer starten, und denen auf dem Dach der Fahrzeuge gibt es keine Unterschiede”, so van de Ven. Es geht dabei in erster Linie darum, im Fall eines Problems schnell handeln zu können. So können die Teamfahrzeuge, die sich an unterschiedlichen Positionen im Feld befinden, mit einem Rad jedes Fahrers ausgestattet werden.

Die Visma-Mechaniker Simon de Wolf und Dirk van de Ven haben auch kurz vor dem Start von Paris-Roubaix noch gut lachen.Foto: Max SchumannDie Visma-Mechaniker Simon de Wolf und Dirk van de Ven haben auch kurz vor dem Start von Paris-Roubaix noch gut lachen.

Ein Großteil der Räder kommt also im Normalfall gar nicht erst zum Einsatz. Gewaschen werden müssen nach einem Rennen wie Paris-Roubaix aber trotzdem alle, denn wenn es nicht Regen und Schlamm sind, die ihre Spuren auch auf den Ersatzmaschinen hinterlassen, ist es der Staub. Das Reinigen zählt entsprechend zu den zeitaufwendigsten Aufgaben nach dem Rennen. Doch wesentlich wichtiger ist eine andere, sagt van de Ven: “Nach dem Rennen checken wir das gesamte Material, das zum Einsatz kam. Wir prüfen es und wollen die Schwachstellen finden, falls es welche gibt. Das dient dann schon wieder der Vorbereitung auf das nächste Jahr, damit da dann alles noch ein bisschen besser ist.”

Dass Visma | Lease a Bike am Sonntag keinen Fahrer in die Top 10 bekam, lag weniger am Material oder an der Präparation der Räder durch Dirk van de Ven. Die personelle Situation mit den Ausfällen von van Aert und Matteo Jörgenson sowie Dylan van Baarle, der zwar gemeldet war, dann aber doch krankheitsbedingt im Bus blieb, hatte ihren Einfluss. Genau wie die Zurücksetzung von Tim van Dijke, der eigentlich als Achter ins Ziel kam, letztlich aber ans Ende seiner Gruppe auf Rang 16 relegiert wurde. Der junge Niederländer hatte im Velodrom die Cote d’Azur, die blaue Markierung an der Innenseite der Bahn, überfahren, was nach Regeln des Bahnradsports nicht erlaubt ist. Laporte schaffte es nach seinem frühen Defekt noch auf Platz 25.

Meistgelesen in der Rubrik Profi - Radsport