Julian Schultz
· 22.02.2023
Nach einer Seuchensaison mit Corona-Erkrankung, Defekten und Abstiegssorgen greift Jonas Rutsch vom Team EF Education EasyPost mit vollem Elan wieder an. Vor dem Start in die Klassikersaison mit Omloop Het Nieuwsblad (25. Februar) sprachen wir mit dem 25-Jährigen über Lehren aus dem vergangenen Jahr und seine Ziele für 2023.
TOUR: Vor fast genau einem Jahr erkrankten Sie mitten in der Saisonvorbereitung an Corona und fanden danach nie richtig in Tritt. Für einen Klassikerspezialisten wie Sie kam die Erkrankung zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Wie groß ist deshalb die Vorfreude auf die Frühjahrsrennen in diesem Jahr?
Jonas Rutsch: Im vergangenen Jahr ist in dem Zeitraum meine Saison die Bachgasse runtergegangen. Ich konnte das Opening-Weekend nicht fahren, obwohl ich gut in die Saison gefunden hatte und gute Werte hatte. Zwei, drei Wochen konnte ich dann gar nichts machen, wodurch ich den für einen Klassikerfahrer wichtigsten Moment der Saison verpasste. Jetzt fängt die wichtigste Vorbereitung für die großen Rennen an, jeder hat seine Hausaufgaben gemacht. Jetzt geht es darum, die Rennen zu sammeln und in den Rennrhythmus zu kommen. Wenn man bei den italienischen Eintagesrennen oder noch später aufschlägt, ist es zu spät.
TOUR: Für Paris-Roubaix wurden Sie dennoch fit. In der Hölle des Nordens ereilte Sie dann aber der nächste Rückschlag …
Rutsch: Ich hatte es einigermaßen hinbekommen, ein ordentliches Level zu haben. Aber nach Arenberg musste ich (wegen eines Defekts, Anm. d. Red.) vier Minuten aufs Begleitfahrzeug warten. Dann war das auch gegessen und der nächste Schlag. Ich habe danach den Resetknopf gedrückt mit einem Höhentrainingslager und einer guten Tour de Suisse.
TOUR: Bei der Sie sich den letzten Startplatz in Ihrem Team für die Tour de France erkämpften.
Rutsch: Aber in Frankreich ging gar nichts mehr. Ich habe gelitten wie nie zuvor in einem Radrennen und von Ruhetag zu Ruhetag gehofft. Wir gehen inzwischen davon aus, dass ich ein zweites Mal Corona hatte, nachdem es in der Schweiz fast das ganze Team eliminiert hatte.
TOUR: Das klingt so, als ob Sie in dieser Saison eine Rechnung begleichen wollen.
Rutsch: Ich will nichts verschreien. Aber ich bin sowohl mental als auch physisch in einer guten Verfassung, hoffe dass ich gesund bleibe und gut in die Klassikersaison reinkomme.
TOUR: Ihr Team EF Education-Easy Post kämpfte in der Vorsaison wie viele andere Mannschaften gegen den World-Tour-Abstieg. Wie sehr hat Sie das Thema mental beschäftigt, nachdem die Beine mitunter schon nicht so wollten, wie Sie es sich vorstellten.
Rutsch: Das war natürlich allgegenwertig. Ich musste erstmal schauen, dass ich als Fahrer meinen Job erledige, weil die Existenz des Teams drangehangen hat. Ich glaube, dass die damalige Situation dem ganzen Team geholfen hat. Jeder weiß, dass er sich auf den anderen verlassen kann und punkten muss. Man braucht sich nur die aktuellen Ergebnisse anschauen.
Ich konnte in den vergangenen drei Jahren schon zeigen, dass man mit mir rechnen kann. Jetzt gilt es, das Ganze in ein Ergebnis umzumünzen.
TOUR: Da hat Ihr Team schon mehr Saisonsiege eingefahren als im gesamten Vorjahr. Welches Ziel haben Sie sich persönlich gesetzt?
Rutsch: Ich will dieses Jahr auch mal ein Radrennen gewinnen (lacht). Ich konnte in den vergangenen drei Jahren schon zeigen, dass man mit mir rechnen kann. Jetzt gilt es, das Ganze in ein Ergebnis umzumünzen. Dafür habe ich hart gearbeitet und freue mich darauf.
TOUR: Jeder Klassikerspezialist will als Erster über den Zielstrich in Roubaix fahren. Mit dem 11. Platz vor zwei Jahren ließen Sie schon mal aufhorchen. Was ist in diesem Jahr drin?
Rutsch: Mein Fokus liegt auf den Frühjahrsrennen. Mit dem Opening-Weekend in Belgien (Omloop Het Nieuwsblat am 25. Februar und Kuurne-Brüssel-Kuurne am 26. Februar, Anm. d. Red.) und Paris-Nizza geht’s dann richtig los. Da ist dann Schluss mit lustig und muss geliefert werden. Paris-Roubaix ist vielleicht ein hochgestecktes Ziel, aber ich habe für das Rennen natürlich schon Ambitionen, weil ich da als Fahrertyp ganz gut hinpasse.
Der 25-Jährige geht in seine vierte Saison als Profi für das US-amerikanische Team EF Education Easy Post. Den bislang größten Erfolg seiner jungen Karriere feierte der gebürtige Odenwälder, der seit vergangenem Jahr in der Nähe des unterfränkischen Miltenberg lebt, mit einem elften Platz bei Paris-Roubaix 2021. Der 1,97 Meter große Schlacks steht kurz vor der Ernennung zum Polizeikommissar. “Mir war immer wichtig, dass ich neben dem Radsport ein zweites Standbein habe”, so Rutsch. Nach dem Auftakt bei der Tour Down Under (Rang 35) startet der Klassikerspezialist am 25. Februar mit dem Omloop Het Nieuwsblad in Belgien in die Saison der Frühjahrsrennen.