Robert Kühnen
· 22.09.2021
Kaufberatung Rennradgruppen: Schaltung und Bremsen stammen fast ausschließlich von drei Herstellern, die ihre Produkte in verschiedenen Qualitätsstufen anbieten. Das Ensemble aus Schaltung und Bremsen prägt als „Gruppe“ den Charakter des Rennrads maßgeblich. Shimano, SRAM und Campagnolo im Vergleich.
Die Marktanteile sind klar verteilt. Das japanische Unternehmen Shimano produziert und verkauft mit großem Abstand die meisten Fahrradteile weltweit. Auf den Plätzen folgen SRAM (USA) und Campagnolo (Italien). SRAM ist ein Innovationstreiber, zum Beispiel mit Funkschaltungen. Die Amerikaner sind gut darin, Dinge auch mal ganz anders anzugehen. Mit aggressivem Marketing jagen sie Shimano bisweilen Marktanteile ab – zuletzt vor allem beim Mountainbike, an dem sie den Einfach-Antrieb ohne vorderen Umwerfer als neuen Standard durchsetzen konnten. Die Traditionsmarke Campagnolo fertigt ausschließlich Rennrad- bzw. in jüngster Zeit auch Gravelbike-Komponenten; die Teile finden sich aber kaum mehr an Serienrädern, was mehr an Preis- und Vertriebsstrukturen liegt als an der Funktion und Qualität der Produkte. Die Marktanteile spiegeln auch wider, wie kosteneffizient die Hersteller produzieren können. Shimano hat starke Wurzeln in der Fertigungstechnik, unterhält zahlreiche Werke in vielen Ländern und forciert die Automatisierung. So lässt sich sogar im Hochpreisland Japan konkurrenzfähig produzieren.
Schalten und Bremsen klappt mit allen Gruppen gut, das Qualitätsniveau ist insgesamt sehr hoch. Die Abstufungen zwischen den Gruppen sind in der Funktion kaum auszumachen, das gilt insbesondere für die elektrischen Schaltungen. Auch die vergleichsweise günstigen Elektroschaltungen Shimano GRX Di2 und SRAM Rival AXS sind klasse. Teurere Teile sind vor allem leichter, aufwendiger designt und manchmal auch haltbarer.
Der Übergang zwischen Komponenten fürs Gravelbike und fürs Straßenrennrad ist fließend. Bei Gravelbikes tendieren viele Hersteller zu Kurbeln mit nur einem Kettenblatt, aber Shimano bietet mit der vielseitigen Gravel-Gruppe GRX auch die Option, zwei Blätter zu fahren. Das kommt Sportlern entgegen, deren Graveltouren viel über Asphalt oder überwiegend flache Strecken führen.
Konfigurieren nach Wunsch
Durch geschicktes Zusammenstellen von Teilen aus verschiedenen Gruppen eines Herstellers lässt sich die Wunschkonfiguration erzielen, weil die Komponenten einer Marke mit gleich vielen Gängen, gleicher Betätigung (elektrisch, mechanisch) und gleichem Bremssystem meist kompatibel sind. Beachten muss man aber die Kapazitätsgrenzen von Schaltwerken. Dazu sind zwei Angaben wichtig: das größte Ritzel, das die Schaltung bewältigen kann und die Kapazität des Schaltwerks, Kettenlängenunterschiede aufzunehmen. Dazu addiert man die Zahndifferenzen der Ritzel und der vorderen Blätter. 50/36 ergibt zum Beispiel eine Differenz von 14 Zähnen; eine 11-28-Kassette fügt 17 Zähne Differenz hinzu, macht zusammen31 Zähne Kapazität.
Die Entscheidung für eine bestimmte Komponentenmarke wirkt lange nach. Denn die Teile verschiedener Marken lassen sich untereinander kaum austauschen oder kombinieren.
Die einzelnen Teile einer Marke lassen sich innerhalb gewisser Grenzen miteinander kombinieren. Das kann interessant sein, um beispielsweise Verschleißteile wie Kette oder Ritzel aus einer preiswerteren Gruppe mit einer höherwertigen Schaltung zu nutzen. Ein Tausch zwischen den Marken klappt nur vereinzelt; Zehn- und Elffach-Ritzel von Shimano lassen sich etwa mit den Zehn/Elffach-Schaltungen von SRAM kombinieren. Die Schalt- und Bremsgriffe von Shimano, SRAM und Campagnolo kann man jedoch nicht tauschen. Verschieden sind auch die Rotoren, auf die die Ritzel aufgesteckt werden. Shimanos Rennrad-Komponenten verwenden, auch für die neue Zwölffach-Abstufung, den HG-Standard mit einzeln bzw. in kleinen Gruppen aufgesteckten Ritzeln. Der XD-Road-Rotor von SRAM ist damit nicht kompatibel. Campagnolo-Rotoren gibt es in zwei Breiten; der schmalere Rotor der Gravelbike-Gruppe Ekar harmoniert auch mit älteren Rennradgruppen von Campa. Außerhalb der Campagnolo-Welt sind die Rotoren selten. Shimano- und SRAM-Rotoren finden sich hingegen an vielen Laufrädern. Sie lassen sich oft einfach durch Umstecken wechseln.
Ersatzteile
Rennräder werden meistens über viele Jahre und noch mehr Kilometer gefahren. Deshalb ist es wichtig, für möglichst lange Zeit Ersatzteile kaufen zu können:
Drei Hersteller, drei verschiedene Arten zu schalten – und das klassisch mechanisch oder elektrisch:
Der Bowdenzug ist eine bewährte, günstige und zuverlässige Technik, um Signale oder Kräfte zu übertragen – aber auch empfindlich und Verschleiß unterworfen. Elektronische Schaltungen machen für Hersteller, Mechaniker und Rennradler vieles einfacher und sicherer, weshalb sie unaufhaltsam Marktanteile gewinnen. Bei den Top-Gruppen bietet nur noch Campagnolo die Option, mit Handkraft zu schalten. Shimano will zumindest die mechanische Elffach-Ultegra nach Einführung der elektronischen Zwölffach-Ultegra weiter anbieten, solange Nachfrage besteht.
Elektroschaltungen lassen sich einfacher bedienen, das ist ihr größter Vorteil für den Nutzer. Über Tipptasten wechseln die Gänge narrensicher, da schleift und reibt nichts und längt sich kein Schaltseil. Einmal richtig eingestellt, funktioniert die Schaltung dauerhaft präzise – oder gar nicht, digital eben. Der Umwerfer schaltet mit Servomotor zudem knackiger und zuverlässiger als eine noch so routinierte Hand das kann. Weitere Vorteile: Man kann zusätzliche Schaltknöpfe an nahezu beliebigen Stellen des Lenkers anbringen und sie individuell programmieren. Bei modernen Rahmen mit innen verlegten Kabeln sind elektronische Schaltungen (und hydraulische Bremsen) nahezu ein Muss. Bowdenzüge müssten so verwinkelt verlegt werden, dass ihre Funktion leiden würde. Die Stromversorgung der Komponenten ist solide und reicht meist für viele hundert bis tausende Kilometer. Der zentrale Akku von Shimano hält doppelt so lange durch wie die dezentralen Akkus von SRAM.
SRAM funkt die Schaltbefehle direkt zur Schaltung, Shimano funkt sie bei der neuen Dura-Ace von den Griffen zum zentralen Akku, der mit den Schaltwerken verkabelt ist. Campa verkabelt durchgängig. Vorteil des Funks ist die unkomplizierte Montage der Einzelteile. Außerdem fällt das Kabel als potenzielle Schwachstelle bei Sturz und Transport weg. Lästig ist bei Campagnolo die Stand-by-Entladung des Akkus, die aber mit einem Magnet-Straps ums Sitzrohr unterbunden werden kann.
Der Umwerfer
Shimano und Campagnolo haben das Schalten mit dem elektrischen Umwerfer stark vereinfacht: Die Gangwechsler gehen energisch und zuverlässig zur Sache. Die Umwerfer von SRAM können das auch, sind im Vergleich aber deutlich komplizierter einzustellen. Insbesondere der Force-AXS-Umwerfer ist ohne spezielle Kenntnisse kaum zufriedenstellend zu justieren. Konsequenz: Geräusche oder Kettenabwürfe.
Kostenfalle?
Ein kaputter Bowdenzug lässt sich in der Regel einfach und für wenig Geld ersetzen. Wenn die Elektroschaltung spinnt, muss meistens die Werkstatt ran – was langwierig und teuer werden kann. Shimanos Di2 ist nach unserer Beobachtung robust und war dies von Anfang an. Ausfälle sind ziemlich selten. Bei SRAM ist das Bild schlechter. Die erste Generation der eTap hatte häufig Aussetzer, viele Schaltwerke mussten getauscht werden. Die zweite Generation (eTap AXS) scheint zuverlässiger, ist aber noch relativ jung. Campagnolos elektronische EPS-Schaltung funktioniert nach unserer Erfahrung zuverlässig. Dennoch gilt: Insgesamt sind die Anschaffungs- und Folgekosten für Elektroteile deutlich höher als für mechanische Komponenten. Wird eine elektrische Baureihe nicht mehr fortgesetzt, kann die Ersatzteillage schnell prekär werden.
Scheibenbremsen – der neue Standard: Die Scheibenbremse ist unter Rennradfahrern immer noch ein heißes Eisen – viel kritisiert wegen des Mehrgewichts von mindestens einem Pfund und der als aufwendiger empfundenen Wartung und Pflege.
Die Hersteller forcieren Scheibenbremsen, viele neue Radmodelle sind nur noch mit Discs erhältlich. Shimano bietet mit der neuen Dura-Ace aber weiterhin die Möglichkeit, die Felgenbremsen der vorangegangenen Generation weiter zu nutzen – ein Abschied auf Raten. Im Prinzip arbeiten hydraulische Scheibenbremsen alle ähnlich. Die Geber- Zylinder sind in den Schaltgriffen eingebaut, gebremst wird meist mit Scheiben von 160 Millimeter Durchmesser, manchmal auch mit 180-Millimeter-Scheiben, die Hitze besser vertragen, selten mit 140er-Scheiben, die auch beim Rennrad als unterdimensioniert gelten müssen. Campagnolo und Shimano verwenden Hydrauliköl als Medium, SRAM setzt Dot-Bremsflüssigkeit ein.
In der Praxis haben uns die Campagnolo-Bremsen bislang am besten gefallen, sie gehen leise und kraftvoll zur Sache und sind einfach einzustellen. Shimanos leichte Ice-Tech-Scheiben haben zwei Gesichter: top bei niedrigen bis mittleren Geschwindigkeiten, problematisch bei extremen Belastungen. Die Scheiben können nach härteren Bremsungen schleifen und klingeln, und sie können sich durch die beim Bremsen entstehende Hitze vereinzelt irreversibel verformen. Die Bremsbeläge stehen sehr dicht an der Scheibe, was die Einstellung schwierig macht. (Bei der neuen Dura-Ace wurde der Abstand vergrößert). Die Entlüftungsprozedur ist fummelig und aufwendig, die Vielfalt unterschiedlicher Beläge und Scheiben, die das Bremsverhalten beeinflussen, schwer überschaubar. Die Profis verwenden oft steifere Mountainbike-Bremsscheiben, um die Probleme zu reduzieren. Diese wurden nun in die neue Dura-Ace integriert. SRAMs Bremsscheibe ist hitzebeständig, quietscht aber oft bei Nässe; die Beläge verschleißen sehr schnell und neigen im Neuzustand zum hitzebedingten Verlust an Bremskraft (Fading). Das Entlüften funktioniert dafür recht einfach. Bei Laufrädern mit Carbonfelgen sind Discs den Felgenbremsen klar überlegen, gegenüber Alu-Felgen ist der Vorsprung weniger deutlich. Diese besitzen im Zweifel sogar eine höhere thermische Stabilität als die recht kleinen Bremsscheiben am Rennrad. Dafür sind mit der Disc Reifenplatzer durch Überhitzung passé.
TIPP: Wer sein Rad selbst aufbaut, kommt per Felgenbremse zum leichteren und günstigeren Rad.
TIPP: Gravelbikes, die viel in schwerem und steilem Terrain eingesetzt werden sollen, sollten unbedingt über Bremsscheiben mit 180 Millimeter Durchmesser verfügen!
Ein oder zwei Kettenblätter? Eng gestufte Gänge fürs flüssige Pedalieren oder Riesenritzel für krasse Anstiege? Moderne Rennrad-Antriebe können vieles – die perfekte Übersetzung für alles und jeden gibt’s aber leider immer noch nicht.
Straße: Übersetzungen am Rennrad
Rennradgetriebe sind traditionell fein abgestuft; in den schnellen Gängen strebt man an, dass die nebeneinander liegenden Ritzel um einen Zahn größer bzw. kleiner werden. Damit lässt sich in flotter Fahrt flüssig kurbeln. Andererseits soll das Getriebe Bergfahrten aller Art ermöglichen, was große Ritzel mit vielen Zähnen notwendig macht, mit denen sich das Ideal des Ein-Zahn-Sprungs nicht verwirklichen lässt. Beide Anforderungen unter einen Hut zu bringen, erfordert also Kompromisse, auch wenn heutzutage elf oder gar zwölf Ritzel am Hinterrad Platz finden. Denn nur eine stark gespreizte Kassette bietet echte Berggänge, ist aber automatisch gröber gestuft. Zusätzliche Variable sind die Kettenblätter, die es in diversen Abstufungen gibt, von sehr berggängig (kleine Zähnezahlen) bis hin zur Riesenübersetzung für flache Profirennen. Im Prinzip ist alles möglich. Was für wen am besten passt, ist eine Frage der Leistung und der Strecke. Marathonräder kommen meist mit Kompaktkurbeln und der Kettenblattkombination 50/34, die in Verbindung mit Kassetten von 12-32 Zähnen ein sehr weites Spektrum abdecken und fast eine 1:1-Übersetzung für steile Anstiege bieten. Auch Untersetzungen sind möglich. Für Rennen ist das klassische Getriebe 53/39 (oder 52/36) mit 11-28 Zähnen gedacht, das längere Gänge und feinere Stufen bereithält.
SRAM verkleinert bei seinen AXS-Gruppen Ritzel und Kettenblätter durchgängig. Die Ritzel beginnen mit 10 Zähnen, die Kompakt-Kettenblätter tragen 46/33 Zähne, die Rennübersetzungen 48/35 oder 50/37.
Um das Getriebe optimal abzustimmen, lohnt ein Blick darauf, mit welchem Tempo man am häufigsten unterwegs ist. Oft liegen die fein abgestuften langen Gänge in einem Geschwindigkeitsbereich, in dem man selten fährt. Shimano hat deshalb bei der neuen Zwölffach-Dura-Ace das 16er-Ritzel zum festen Bestandteil gemacht, das in vielen Abstufungen fehlte und für feine Anschlüsse im Bereich zwischen 35 und 40 km/h steht – einem häufigen Rennradtempo im Flachen.
Gelände: Übersetzungen am Gravelbike
Shimano-Fahrer haben im Gelände die Wahl zwischen Zweifach- und Einfach-Kurbeln; die Gravel-Gruppe GRX bietet hier reichlich Varianten. Was besser ist, hängt davon ab, was man mit dem Rad überwiegend machen will. Grob vereinfacht: In anspruchsvollem Gelände besitzt ein Einfach-Getriebe Vorteile, weil alle Gänge in Reihe liegen und unkompliziert zu schalten sind. Das beste Angebot dazu macht Campagnolo mit der 1x13-Gruppe Ekar; die Bandbreite entspricht einem breit gestuften Zweifach-Getriebe, die schnellen Gänge sind fein gestuft. In den Berggängen sind die Sprünge vergleichsweise grob, das kann ein 2x11-Getriebe besser.
SRAM schafft mit den XPLR-Schaltwerken und zugehörigen Kassetten für die Gruppen Red, Force und Rival neue Einfach-Antriebsstränge für Gravelbikes mit Kassetten von 10-36 bzw. 10-44 Zähnen. Die maximale Bandbreite (440 Prozent) bleibt unter jener der MTB-Gruppen, dafür ist das Getriebe feiner gestuft. XPLR-Antriebsstränge sind mit dem XDR-Freilaufkörper kompatibel.
Campagnolo Road
Campagnolo Gravel
Shimano Road
Shimano Gravel
SRAM Road
SRAM Gravel
Legende: M=mechanische Schaltung; E=elektrische Schaltung; F=Felgenbremse; D=Disc/Scheibenbremse
Anmerkungen zu allen Preisen: Bei Shimanos neuer Dura-Ace 9200 und Ultegra 8100 sind die Listenpreise für die Versionen mit Scheibenbremsen zur Markteinführung angegeben. Alle anderen Preise entsprechen den durchschnittlichen Verkaufspreisen der jeweils günstigsten Konfiguration (mechanisch/Felgenbremse, sofern verfügbar) diverser Online-Anbieter (Stand August 2021).