Marcel Bücker fasste 2019 den Entschluss, die Erfahrungen aus seiner Arbeitswelt mit seiner Leidenschaft zu verflechten. Bücker forschte damals am Leibniz-Institut für Verbundwerkstoffe der Universität Kaiserslautern und entwickelte Leichtbauteile für Maschinenbau und Medizintechnik. Der passionierte Radsportler erkannte: Mit der richtigen Technologie müssten sich Laufräder viel einfacher als mit Stahlspeichen bauen lassen und viel billiger als bis dahin zwar konkurrenzlos leichte, aber aufwendig und teuer herzustellende Vollcarbonlaufräder.
“Ich bin kein großer Fan von monolithischen Laufrädern, weil sie teuer und nicht reparabel sind und schlecht konstruiert. Die geklebten Verbindungen sind immer Schwachstellen”, meint Bücker. Gemeinsam mit zwei Mitstreitern und mithilfe eines Förderprogramms gründete er die Evolime GmbH, die heute unter der Marke One-K Rennrad-Laufräder anbietet. Deren Speichengefüge ist ein Faserverbund, der automatisiert gewickelt und von einer Maschine zu einer Art Stern geformt wird. Mit einer speziellen Nabe und selbst entwickelten Kleinteilen entsteht ein Laufrad, das die Rennradwelt so noch nicht gesehen hat.
Etwa zur gleichen Zeit, aber am anderen Ende der Welt, stellte Jon Partington auf einer Handmade-Messe in Australien seine Version eines neuen Laufradsatzes aus, der ebenfalls ziemlich einzigartig ist. Der gebürtige Engländer beschäftigte sich im Motorsport mit Verbundwerkstoffen, sein heutiges Produkt nahm die klassische Garagen- beziehungsweise in diesem Fall Küchen-Karriere: Der erste Prototyp entstand mithilfe des heimischen Backofens und war mehr oder weniger eine Lightweight-Kopie. Bis zum heutigen Laufrad hat sich viel getan, inzwischen hat das Unternehmen 20 Mitarbeiter und ist dabei, sein Angebot auf den weltweiten Markt auszudehnen.
Bücker und Partington eint die Idee, dass sich aus dem Gesamtsystem Laufrad noch einiges herausholen lässt, wenn man neu darüber nachdenkt – sei es über einzelne Komponenten oder das System als Ganzes – und Dinge anders macht. Beide stört, dass der Markt hochwertiger Rennrad-Laufräder, von sehr wenigen Exoten abgesehen, ein Einerlei aus fast identischen Komponenten ist. Das Durchschnittslaufrad mit mittelhoher Carbonfelge und Stahlspeichen ist um 1500 Gramm schwer, auch bei Aerodynamik und Steifigkeit betragen die Unterschiede nur Nuancen.
Je nach Hersteller, es gibt Hunderte, kann man für einen Satz 1000 oder 3000 Euro bezahlen, unterschieden von Feinheiten: Keramiklager, matte oder glänzende Oberflächen und ein mehr oder weniger renommierter Aufkleber trennen die Teuren von den Günstigen, aber in der Performance nehmen sich die Wettbewerber nicht mehr viel. “Ausentwickelt” nennt man so etwas, das stellen wir auch bei unseren Laufrad-Vergleichstests fest.
Wie man sich davon absetzen kann, darüber gehen die Meinungen von Bücker und Partington zumindest leicht auseinander. One-K will mit einer automatisierten, potenziell weit hochskalierbaren Fertigungsmethode und bewährten Zulieferern exklusive Leichtbau-Laufräder günstiger anbieten und ist auf der Suche nach den richtigen Kompromissen. Partington dagegen ist Perfektionist bis ins Detail, koste es, was es wolle. Dafür macht er vom Carbonfaden bis zu den Lagersitzen fast alles im eigenen Haus.
“Wir achten auf alles: Aerodynamik, Steifigkeit, Gewicht, Reifenbestückung, Nabenarchitektur, Ratscheneingriff, Komfort, Fahrgeräusch. Auch Ästhetik, Wertschätzung für die Technik oder eine andere Herstellungsweise machen Nutzern Spaß”, sagt Jon Partington. Seine Zielgruppe sucht das Besondere, Einzigartige. Das drückt sich schon im Preis für seine Laufräder aus. Die Chance, sich mit neuen Technologien vom Einerlei abzusetzen, sehen jedoch nicht nur kleine Individualisten.
Auch Cadex und Syncros, Marken der Branchen-Schwergewichte Giant und Scott, drücken mit viel Carbon-Know-how und fortschrittlichen Fertigungsmethoden in den Markt für High-End-Laufräder. Dass die Produkte eigenständige Entwicklungen sind und nicht von irgendeinem Zulieferer kommen, ist schon von Weitem sichtbar. Damit wollen die Hersteller nicht nur ihre eigenen Rennräder noch besser, heißt vor allem: leichter und aerodynamischer machen. Cadex und Syncros haben als erklärtes Ziel auch Kundschaft im Blick, die kein Giant oder Scott fährt.
Den Abstand zum Durchschnitt sucht auch die Marke Scope. Die Niederländer begannen einst genau dort, als klassische Laufradbauer mit preiswerten Komplettpaketen aus Standardkomponenten. Weil die Wachstumschancen auf einem Markt mit zahllosen Anbietern beschränkt sind, sollen technische Neuerungen mehr Eigenständigkeit und Marktanteile bringen. Dafür holte man sich unter anderem Unterstützung vom deutschen Aerodynamik-Experten Lars Teutenberg. Mit 3-D-Drucknaben, Carbonspeichen und einer Felge im Fischschuppen-Design sollen Laufräder auf ein neues Leistungsniveau gehoben werden, um nicht mehr als eines unter vielen wahrgenommen zu werden.
Was alle Kandidaten eint, ist der Einsatz von viel Carbon. Das führt dazu, dass sie nicht so leicht zu reparieren sind wie konventionell gespeichte Laufräder, aber leichter kaputtgehen. Alle Hersteller bieten deshalb sogenannte Crash-Replacement-Programme an, die im Schadensfall Rabatte einräumen – mal mehr (Partington), mal weniger großzügig (Syncros).
Aber was bringen die teils exaltiert wirkenden Konstruktionen auf der Straße, im Rennen, im Kampf um Sekunden? Wir haben uns die fünf Kandidaten mit ihren alternativen Konzepten näher angeschaut und ordnen ein, was sie gegenüber einem modernen, guten Aero-Laufrad in klassischer Bauweise besser können. Unsere Referenz ist ein Zipp 404, ein konventionelles, schnelles Aero-Laufrad, wie es vergleichbar auch von Profis gefahren wird. In den Disziplinen Gewicht, Aerodynamik und Steifigkeit repräsentiert es den Durchschnitt oder, positiv ausgedrückt, den Stand der Technik.
Der Vergleich zeigt, dass sich vor allem beim Gewicht der Laufräder viel herausholen lässt. Viele Kandidaten können auch deutlich seitensteifer sein, wobei sich je nach Ansprüchen diskutieren lässt, wie sinnvoll das ist. Wenig bis keine Fortschritte gibt es dagegen bei der Aerodynamik; signifikant schneller als die Referenz wird keines. Weil die Kandidaten sehr unterschiedlich sind und es nicht immer einheitliche Messungen gibt – die Vergleichsmessungen mit dem Zipp fanden zum Teil in unterschiedlichen Rädern statt –, vergeben wir in diesem Vergleich keine Noten. In den Steckbriefen wird aber auf den ersten Blick sichtbar, wo die Laufräder ihre Stärken und gegebenenfalls auch Schwächen haben.
Die Giant-Marke erregte in jüngeren Jahren mit progressiven Produkten Aufsehen. So war Cadex einer der ersten Anbieter, der konsequent auf hakenlose Felgenprofile am Rennrad setzte. Der mit dem Leichtbau-Rennrad TCR entwickelte Max 40 ist die jüngste Evolutionsstufe und das bisher leichteste Laufrad. Statt wie bislang klassisch gefädelt, sind die ultraflachen und messerscharfen Speichen hier fest in den Nabenflansch einlaminiert. Austauschen lassen sie sich nicht mehr, das Laufrad kann durch den Felgenboden aber noch zentriert bzw. gespannt werden.
32 Speichen und der große Flansch an der Antriebsseite bilden ein extrem stabiles Hinterrad, das Vorderrad ist mit 16 Speichen durchschnittlich steif. Beim Gewicht kommen die neuen Cadex an das Niveau von Lightweight-Laufrädern heran, sind aber aerodynamisch besser: Im TCR ergab sich im Windkanalversuch trotz deutlich flacherer Felge kein messbarer Unterschied zur schnellen Referenz Zipp 404. Der weiße Schriftzug ist Markenzeichen des Profi-Teams Jayco-AlUla, serienmäßig kommen die Felgen mit dezenten schwarzen Decals.
Die Newcomer aus Rheinland-Pfalz stellten mit dem RD Ultimate seit dem Test in TOUR 2/22 den mit Abstand leichtesten Laufradsatz, den wir aktuell kennen: 950 Gramm, für beide Räder. Der RD-S ist identisch aufgebaut, mit einer robusteren Felge 183 Gramm schwerer, dafür deutlich seitensteifer und für bis zu üppige 120 Kilogramm Fahrergewicht freigegeben. Die Vorteile des markanten Speichengeflechts sind laut Hersteller eine belastungsgerechte Anbindung, weil die Fasern nicht geklebt, sondern in Schlaufen gelegt werden.
Außerdem ist die Konstruktion dank wenig Handarbeit kostengünstiger als Vollcarbonräder und recht leicht zu reparieren: Für den Austausch eines beschädigten Speichensterns werden günstige 150 Euro veranschlagt, die Felge ist ein Großserienprodukt von Duke, eine Crash-Replacement-Regelung gibt es auch. Bei Gewicht und Beschleunigung ist der RD-S weiterhin herausragend und setzt sich auch in diesem elitären Feld knapp vor Partington an die Spitze. Mit der Steifigkeit können Fahrer um 80 Kilogramm gut leben, Aerodynamik können andere besser. Wer hauptsächlich ein leichtes Rad sucht und beim Preis nicht in Ohnmacht fallen will, ist bei One-K richtig.
Nicht nur ein schwindelerregender Preis macht deutlich, dass es sich bei Partington-Laufrädern um absolute Premiumprodukte handelt. Bei näherer Betrachtung fallen die Detailverliebtheit und eine völlig makellose Verarbeitung auf. Hochglänzende Carbonspeichen, die in ihrem Verlauf den Querschnitt ändern, kommen nach eigener Aussage bereits so aus der Form. Für den Halt an der Nabe wickeln sie sich um den Nabenkörper; in der auf einen Schaumkern laminierten Felge sind Anker aus Carbon fixiert, in die die Enden dann eingeklebt werden.
Das Felgenbett der mit 21 Millimeter recht schmalen Felge wird anschließend verschlossen, Zentrieren ist unmöglich und laut Hersteller auch unnötig, eine Reparatur in der Regel zu aufwendig. Dafür gibt es großzügig Ersatz bei Unfällen: In den ersten zwei Jahren kostenlos, danach gestaffelten Rabatt. Schon die gezeigte Version ist beim Gewicht ganz vorne mit dabei, mit flacherer 31-Millimeter-Felge soll der Satz weitere 100 Gramm leichter sein. Die Steifigkeiten sind hoch, auch aerodynamisch bleibt nur wenig Potenzial. In Summe der Eigenschaften überzeugend, aber extrem teuer. Angeblich sollen bereits Profis angeklopft haben, die entgegen ihren Sponsorenverträge die Laufräder bei der Tour de France fahren wollen.
Für die neue Artech-Serie nutzt das Team aus Eindhoven in den Niederlanden seine jahrelange Erfahrung aus dem klassischen Laufradbau und optimiert die Einzelkomponenten. Besonders auffällig ist die Felge mit Schuppenrelief; sie soll schneller sein und spurstabiler bei Seitenwind. Unter der besonderen Oberfläche wurde mit geringerer Wandstärke bei verstärkten Speichenlöchern Gewicht gespart; die breiten, flachen Speichen bestehen aus Carbon. Erst bei genauerem Hinschauen erschließt sich eine weitere Besonderheit: Die Nabenflansche halten die Speichenköpfe in einer grazilen, organisch anmutenden Struktur, wie sie sich mit Bohr- und Fräsmaschinen gar nicht herstellen ließe.
Die Nabenkörper entstehen im 3-D-Druckverfahren, was sie ausgesprochen leicht macht. Dazu kommen Feinheiten wie ein Zahnscheiben-Freilauf aus Titan. Beim Gewicht kann das Artech punkten, fast 250 Gramm weniger als ein klassisches Stahlspeichen-Laufrad mit vergleichbarer Felgenhöhe sind ein Erfolg, zumal sich die Einzelkomponenten im Schadensfall tauschen lassen. Die Steifigkeiten sind noch okay, aber kein Fortschritt. Ob die mit flacheren Felgen noch leichteren Versionen in diesem Punkt möglicherweise Schwächen offenbaren, müssen Tests dieser Modelle zeigen.
Die Capital-SL-Laufräder sind streng genommen nicht ganz neu, das Silverton SL gibt es bereits als ähnlich gefertigte MTB-Variante. Prägend ist der Verbund aus Felge und Speichen, der als zusammenhängendes Carbonteil in einer Form gebacken wird. Mit Carbon-Filamenten verstärkte Speichenkreuzungen und um den Nabenkörper verlaufende Speichen sollen ein extrem stabiles und gleichzeitig extrem leichtes Laufrad ergeben. Die Nabe mit DT-Swiss-Innenleben wird erst zum Schluss formschlüssig in das Monocoque gesetzt und zusätzlich verklebt.
Über die Steifigkeiten der Konstruktion können auch schwere Piloten nicht meckern. Die gezeigte 60-Millimeter-Felge war in einem Scott Foil, das in der Top-Version ab diesem Modelljahr serienmäßig damit ausgeliefert wird, aerodynamisch mit der Referenz Zipp 404 auf Augenhöhe, dabei aber gut 200 Gramm leichter. Eine flachere (und zwei Millimeter breitere) Variante spart noch mal 120 Gramm, wird aber vier Watt langsamer. Ein nicht unwichtiger Hinweis: Die Hookless-Felge, Stand 2024, ist nur mit einer überschaubaren Anzahl von Reifen kompatibel, mit manchen erst ab 30 Millimetern Breite.