Marc Strucken
· 10.11.2022
Das Jersey Giant von Huhn Cycles ist ein Gravelbike der unkonventionellen Art. Das Offroad-Fahrgerät von Ralf Holleis, dem Mann hinter den Hühnern, wurde mittels 3D-Druckverfahren gefertigt und fährt auf riesigen Rädern.
Eigentlich sind alle Project-Bikes von Huhn Cycles Versuche, die Fahrradindustrie herauszufordern: Was geht mit neuen Produktionsverfahren? Wie verhalten sich neue Verfahren? Aber auch, wie kann man nachhaltiger, lokaler produzieren? Und dieses Austesten, was geht, hat Ralf auch bei seinem jüngsten und dicksten Huhn versucht: der Jersey Giant, benannt nach einer der größten Hühnerrassen. Ein Bike, das zwischen Gravel und Hardtail-MTB liegt, Bikepacking liebt und auf unfassbaren 36-Zoll-Laufrädern steht. Das geniale ist hier schon: Ohne Relation sieht man es dem Jersey Giant nicht an - die Proportionen sind perfekt abgestimmt.
Das Gravelbike ist ein Kunden-Projekt für Tim Ahnsorge, Gründer der Bike-Möbel- Firma 44-elf. Tim ist 2,06 Meter groß, daher die Idee für die riesigen Laufräder. Zudem war Ralfs und Tims Plan, dabei die Möglichkeiten der heutigen 3D-Druck Technologie zu nutzen. Premiere feierte das Huhn-Bike bei der diesjährigen Bespoked.cc Messe.
Schon bei den Huhn Serien-Bikes - wobei hier Serie nur heißt, dass das Produkt zwar grundsätzlich gleich ist, meist aber auf Wunsch produziert wird - arbeitet Ralf schon mit Verbindungsstellen aus dem 3D-Drucker, die in einem Prozess namens Cold Metal Fusion entstehen. Ohne zu sehr in die Tiefe des Prozesses zu gehen: Vereinfacht gesagt, wird eine 3D-Form gespritzt, die aus einem Trägermaterial und dem gewünschten Metall besteht. Die Muffen für den Jersey Giant wurden mit einem Ultimaker Desktop Printer aus BASF Forward AM Ultrafuse 17-4PH Material hergestellt.
Ultrafuse 17-4PH kann mit handelsüblichen 3D-Druckern, wie man sie auch für Zuhause kaufen kann, verwendet werden. Das Material wird für die Herstellung von Teilen aus 17-4 Edelstahl verwendet und kann mit sogenannten Fused Filament Fabrication (FFF) Druckern verarbeitet werden. Es hat einen Metallgehalt von über 80 Prozent, ist äußerst belastbar und fester als 316L-Edelstahl. Durch weitere Verfahren entsteht aus der Drucker-Mischung dann das finale Bauteil, das sich in den Materialeigenschaften kaum von massiven Bauteilen unterscheidet - aber viel freier gestaltet werden kann, weil es zuvor gedruckt und nicht gegossen, geschmiedet oder geschweißt wird. Hier arbeitet Huhn aus dem Fichtelgebirge mit einem Würzburger Spezialisten zusammen: Headmade Materials.
Auch beim Jersey Giant Gravel-Hardtail, das einen Stahlrahmen hat, stecken die Reynolds 853 Rohre in solchen gedruckten Verbindungen. Die Wahl fiel hier auf die britischen Produzenten, weil deren Rahmenrohre aus recyceltem Stahl bestehen. Ein weiterer Punkt für die Umwelt!
Das 3D-Druckverfahren soll in Zukunft auch einem breiteren Publikum zur Verfügung stehen, der Fokus der Forschung liegt jetzt auf Wegen, den Prozess günstiger zu machen. Es hat schon jetzt Geschichte geschrieben. Anfang Oktober pulverisierte Filippo Ganna auf seinem Pinarello Bolide F HR 3D den Stundenweltrekord. Das Pinarello des Italieners ist das erste (ernstzunehmende) Rennrad aus dem 3D-Drucker.
Für Ralf Holleis ist auch das Thema Nachhaltigkeit wichtig, das wir im BIKE Project Europe schon an einem Bike, das möglichst komplett aus in Europa gefertigten Teilen bestehen sollte, versucht haben auszuleuchten. Deshalb ist er sehr schnell in seiner Laufbahn als Bike-Bauer von Carbon auf Titan und Stahl geschwenkt. Zwar wird das Rohmaterial für Titanrahmen noch größtenteils in China produziert, aber es ist zumindest wunderbar recyclebar. Und das macht Stahl eigentlich zu Ralfs Favorit: Es ist recyclebar und zudem langlebig. Hinzukommt, dass es nicht aus Übersee kommen muss, sondern - wie bei Huhn - aus Großbritannien.
Jetzt kommt Cold Metal Fusion ins Spiel: Die lokale Produktion kann in Zukunft damit möglich werden. Für die 3D-gedruckten Muffen braucht es keine riesige Gießerei, enorme Mengen Energie. Kleine, spezialisierte Hersteller können hier in Kleinserie auf Kundenwünsche eingehen. Bis das gängige Praxis wird, baut Huhn Cycles eben Unikate wie das Jersey Giant.
Das nicht nur farblich sehr auffällige Jersey Giant Gravelbike hat einige erwähnenswerte Komponenten. Spannend, weil ebenfalls aus dem 3D-Drucker. Die Griffe kommen von dem Stuttgarter Start-up Personomic und der Posedla Sattel (s. Bild oben) wurde in Tschechien... nun ja: gedruckt. Das Ingrid Schaltwerk ist nach Huhn-Angaben ebenso “custom 3D printed”.
Auch Intend - die schon die Federgabel für unser EU-Bike beisteuerten - haben für Huhn gedruckte Bremshebel-Prototypen produziert. Auch die 80 mm Upside-Down-Gabel für dieses Bike ist ein Prototyp von Cornelius Kapfinger - sie muss schließlich die riesigen Reifen fassen, die hier verbaut sind. Besonders auffällig sind - ja klar - die 36-Zoll-Laufräder von Alchemist selbst mit Veetire T-Monster 36x 2,25 Zoll-Reifen. Wahre Monster, denn ein solcher Reifen reicht nach Ralfs Angaben etwa bis zur Türklinke hoch - stellen sie mal ein 29er an eine Tür...! Die einzigartigen Ausfallenden stammen von Simon Metzner von Actofive Cycles. Am Ende steht das Riesen-Huhn mit 17,9 Kilo da - inklusive Taschen und Pedale.
In nächster Zeit will Ralf von Huhn Cycles die Füße auch nicht stillhalten. Nach dem Jersey Giant ist vor dem nächsten Huhn. Und der kreative Kopf hat auch schon eine weitere Idee in petto. Wir dürfen also gespannt sein, welches Ei das Huhn als nächstes legt.