Erster Test des neuen Specialized S-Works Tarmac SL7

Manuel Jekel

, Konstantin Rohé

 · 28.07.2020

Erster Test des neuen Specialized S-Works Tarmac SL7Foto: Kerstin Leicht
Erster Test des neuen Specialized Tarmac SL7 von TOUR.

Steile Ansage: Das neue Specialized Tarmac SL7 soll das Handling einer superleichten Klettermaschine mit dem Speed eines Aero-Rennrads vereinen. Der weltweit erste Test inklusive Windkanal- und Labordaten klärt, ob das Rad sein Versprechen hält.

Wer sein Rennrad nicht nur aus Spaß an der Freude fährt, sondern nach Siegen oder persönlichen Bestzeiten strebt, stand bisher vor einem Dilemma. Ein Rad, das für jede denkbare Rennstrecke perfekte Voraussetzungen mitbringt, gab es bislang nicht. Führt der Kurs überwiegend bergauf, ist ein möglichst leichtes Bergrennrad optimal. Ist die Strecke flach bis wellig und endet womöglich noch mit einem Sprintfinale, spricht alles für ein möglichst aerodynamisches Rad. Lässt man Sonderfälle wie das Kopfsteinpflasterrennen Paris-Roubaix beiseite, das wiederum spezielle Anforderungen ans Material stellt, braucht jeder ambitionierte Rennfahrer also streng genommen mindestens zwei Rennräder.

Neues Tarmac SL7 soll Berg- und Aero-Rennrad zugleich sein

Doch nun gibt es mit dem neuen Specialized S-Works Tarmac SL7 ein Rennrad, das den Gegensatz zwischen leicht und schnell ein für alle mal auflösen soll. Als "komplettestes Tarmac aller Zeiten" preist die Marke aus dem Silicon Valley ihr neues Spitzenprodukt. Mehr noch: Besitzer des Tarmac sollen sich nie mehr den Kopf darüber zerbrechen müssen, mit welcher Art Rennrad sie ins Rennen gehen. Leicht und agil wie eine Klettermaschine und zugleich schnell wie ein Aero-Rennrad soll das neue Tarmac sein. Zu Ende gedacht heißt das, dass das Rennrad das Aero-Modell Venge, mit dem Specialized in den letzten Jahren zu den treibenden Kräften im Rennradbau zählte, eigentlich obsolet machen müsste.

  Schnell, leicht, komfortabel: Im S-Works Tarmac SL7 will Specialized alle Anforderungen an moderne Rennräder in einem Produkt vereinen. Foto: Kerstin Leicht
Schnell, leicht, komfortabel: Im S-Works Tarmac SL7 will Specialized alle Anforderungen an moderne Rennräder in einem Produkt vereinen.

Optik trügt: Rahmen und Vorbau des Specialized Tarmac SL7

Angesichts der spektakulären Ankündigung wirkt das Specialized Tarmac SL7, wenn man vor ihm steht, fast ein wenig unauffällig. Formal deutet wenig darauf hin, dass es aerodynamisch dem Venge auf die Pelle rücken könnte. Nur das Sitzrohr und die Sattelstütze weisen ein Profil auf, das auf den ersten Blick als aerodynamisch günstig erkennbar ist. Der Querschnitt des vergleichsweise schlanken Unterrohrs ist nicht wirklich rund, weist aber auch nicht das typische Kammtail-Profil mit harten Abrisskanten auf, das sich bei aerodynamisch optimierten Rennrädern in den letzten Jahren durchgesetzt hat.

  Weder Kammtail- noch Rundrohr-Profil: Das Tarmac SL7 wandelt in Sachen Rahmenkonstruktion zwischen den Welten. Foto: Kerstin Leicht
Weder Kammtail- noch Rundrohr-Profil: Das Tarmac SL7 wandelt in Sachen Rahmenkonstruktion zwischen den Welten.

Auch bei der Integration der Bauteile rund um den Rahmen hielten sich die Entwickler auffallend zurück. Während bei vielen Konkurrenzmodellen die Gabel formschlüssig mit dem Rahmen verschmilzt, könnte die Tarmac-Gabel auch in jedem normalen Rundrohrrahmen stecken. Der konventionelle Vorbau wurde zwar formal auf den Rahmen abgestimmt und führt die Bremsleitungen fast unsichtbar in den Rahmen. Er klemmt den Lenker aber konventionell, was die Positionsanpassung und auch den Transport etwas einfacher macht als ein vollintegriertes Lenker-Cockpit. Ein service-freundliches BSA-Gewindetretlager rundet den fast konservativ anmutenden Design-Ansatz ab. Unwillkürlich fragt man sich, wo die spektakuläre Aerodynamik, die Specialized für das Tarmac SL7 verspricht, eigentlich herkommen soll.

 Der Lenker am Tarmac SL7 bringt dank kürzerer Lenkerbandwicklung und texturierter Oberfläche einen Aero-Boost. Foto: Kerstin Leicht
Der Lenker am Tarmac SL7 bringt dank kürzerer Lenkerbandwicklung und texturierter Oberfläche einen Aero-Boost.

Aero-inspiriert: Lenker und Laufräder des Specialized Tarmac SL7

Ein paar formale Auffälligkeiten finden sich aber doch. Der vom Venge übernommene Aerofly-2-Lenker ist am Oberlenker ungewöhnlich breit. Um den aerodynamischen Vorteil der Form auszureizen, ist das Lenkerband nur bis kurz oberhalb der Bremsgriffe gewickelt. Zudem weist der Oberlenker eine raue, texturierte Oberflächenstruktur auf, die ähnlich wie die Vertiefungen auf einem Golfball bremsende Turbulenzen verhindern sollen. Ebenfalls ungewöhnlich sind die Felgen. Bei den brandneuen Rapide-CLX-Laufrädern der Specialized-Eigenmarke Roval griffen die Designer eine Idee auf, die zuerst vor zwei Jahren am Aero-Rennrad SystemSix von Cannondale auftauchte. Insbesondere die vordere Felge der Roval-Räder ist deutlich breiter als der Reifen und misst an der breitesten Stelle stattliche 35 Millimeter. Das sieht vor allem aus der Fahrerperspektive etwas gewöhnungsbedürftig aus, weil die der Straße zugewandte Hälfte des Reifens komplett von der Felge verdeckt wird. Dass diese Bauform das Potenzial hat, sich durchzusetzen, zeigte sich aber schon am Cannondale SystemSix (TOUR 1/2019). Das Rad ist bislang das schnellste, das nach TOUR-Standard gemessen wurde.

  An Ackermanns Tarmac SL7 sind nicht die neuen Roval Rapide CLX 60, sondern Schlauchreifen-Laufräder aufgezogen. Gefahren und gemessen wurde Ackermanns Rad aber mit den Roval Rapide CLX 60. Foto: Kerstin Leicht
An Ackermanns Tarmac SL7 sind nicht die neuen Roval Rapide CLX 60, sondern Schlauchreifen-Laufräder aufgezogen. Gefahren und gemessen wurde Ackermanns Rad aber mit den Roval Rapide CLX 60.

Das Vorgängermodell: Specialized S-Works Tarmac SL6

Genug der Beschreibungen und Aufsitzen zur Probefahrt. Wer das Vorgängermodell Specialized Tarmac SL6 kennt, hat eine gute Vorstellung davon, wie sich das neue Tarmac fährt. Das SL6 erhielt fast ausschließlich sehr gute bis enthusiastische Bewertungen für sein Fahrverhalten. Obwohl es aerodynamisch deutlich langsamer ist als das Venge, griffen die meisten Profis der von Specialized ausgerüsteten Teams Bora-hansgrohe und Deceuninck – Quick-Step in den letzten beiden Saisons lieber zum Tarmac.

Dessen Geometrie wurde beim neuen Modell eins zu eins übernommen. Die Sitzposition ist klar rennsport-orientiert, aber nicht zu extrem. Mit dem Radstand knapp unter einem Meter und kurzem Gabelnachlauf fährt sich das Rad schön wendig. Dank hoher Rahmensteifigkeit hält es in jeder Fahrsituation präzise den Kurs. Die Sattelstütze bietet genau den richtigen Flex, der bei einem Profirennrad gewollt ist. Nicht zu hart, um Asphaltflicken und Gullideckel noch effektiv wegzufiltern. Und nicht zu soft, damit die Kraft der Beine in den Vortrieb statt in die Verformung der Stütze mündet.

Das Specialized Tarmac SL7 im weltweit ersten Praxistest

Für den Test stellte Specialized TOUR zwei Tarmac SL7-Rennräder zur Verfügung. Neben dem Serienmodell mit SRAM-Red-AXS-Antriebsgruppe in Größe 56 auch ein Original-Profirad des deutschen Sprinters Pascal Ackermann vom Team Bora-hansgrohe in Rahmenhöhe 54 inklusive Dura-Ace-Di2-Ausstattung von Shimano. Letzteres hätte ursprünglich am Test der 13 Profiräder in TOUR 8/2020 teilnehmen sollen. Weil Specialized die Präsentation des neuen Tarmac SL7 wegen der Corona-Krise jedoch verschieben musste, konnten wir das Rad dort noch nicht zeigen. Das ist einerseits schade, bietet andererseits aber die Chance, das Rad hier ausführlich vorzustellen.

Das Original-Profirad von Pascal Ackermann

Ein interessanter Aspekt ist dabei der Vergleich zwischen den unterschiedlichen Größen der beiden Räder. Obwohl Pascal Ackermann und der TOUR-Tester fast exakt gleich groß sind, fährt der Bora-Sprinter den Rahmen eine Nummer kleiner. Das kürzere Oberrohr des 54er-Rahmens kompensiert er durch einen 140 Millimeter langen Vorbau. Tatsächlich ist der Abstand zwischen Sattel und Lenker beim Profirad aber nur 18 Millimeter länger als die Standard-Einstellung am 56er-Rahmen mit 110-Millimeter-Vorbau. Der deutlich tiefere Lenker erlaubt auf jeden Fall eine aerodynamischere, schnellere Sitzposition. Der Geschwindigkeitszuwachs vor allem bei forcierter Fahrweise lässt sich klar an den Fahrdaten ablesen.

  Profi-Rad: Auf diesem Tarmac SL7 war Pascal Ackermann zuletzt Ende Juli in Rumänien bei der Sibiu Cycling Tour erfolgreich. Foto: Kerstin Leicht
Profi-Rad: Auf diesem Tarmac SL7 war Pascal Ackermann zuletzt Ende Juli in Rumänien bei der Sibiu Cycling Tour erfolgreich.

Deutlich mehr Testkilometer spulten wir allerdings mit dem 56er-Serien-Tarmac ab. Eine besonders schöne Tour führte uns dabei über den Monte Baldo östlich des Gardasees. Auf der anspruchsvollen Runde mit 1900 Höhenmetern ließ das Rad nichts an Kletterqualitäten vermissen.

Noch etwas leichtere Laufräder als die Rapide CLX 60 würden das Tarmac bei Antritten vielleicht einen Tick spritziger machen. Ob das am Ende schneller zum Gipfel führt, ist aber fraglich. Auf der kurvigen, 17 Kilometer langen Abfahrt ins Etschtal nach Avio spielten dann die standfesten Scheibenbremsen von SRAM ihren Trumpf aus. Auch hier fällt die Wahl den Profis wie auch den Kunden zukünftig leicht: Während vom SL6 parallel noch eine Version mit Felgenbremsen angeboten wurde, wird es das SL7 nur noch mit Scheibenbremsen geben.

Specialized S-Works Tarmac: Das beste Rennrad der Welt?

Bleibt abschließend die vielleicht spannendste Frage zum Tarmac SL7: Ist es aerodynamisch wirklich so gut wie Specialized verspricht? Dem gingen wir im GST-Windkanal bei Airbus am Bodensee mit dem von TOUR entwickelten Fahrer-Dummy mit rotierenden Beinen nach. Das Messergebnis bestätigt das Versprechen von Specialized. Mit guten 210 Watt, die für die Überwindung des Luftwiderstandes des Rades bei 45 km/h aufgebracht werden müssen, schließt das Tarmac SL 7 dicht zu Aero-Rennrädern wie dem Cannondale SystemSix, Cervélo S5, Canyon Aeroad, Specialized Venge und Giant Propel auf, die auf Werte zwischen 203 und 208 Watt kommen. Aerodynamisch liegt das Tarmac SL7 damit auf dem Niveau des Pinarello Dogma, das seit Jahren Rundfahrtsiege im Abonnement einfährt. Es ist allerdings mit Scheibenbremsen so leicht wie das Dogma mit Felgenbremsen und dabei deutlich komfortabler. Den kleinen aerodynamischen Rückstand zu den reinen Aero-Spezialisten kompensiert das Tarmac SL7 nicht nur durch sein geringes Gewicht (6,8 Kilo mit Dura-Ace Di2, 6,9 Kilo mit SRAM Red AXS). Es fährt sich vor allem viel ausgewogener und dürfte damit für viele Fahrertypen dem perfekten Rennrad nahe kommen. Das drückt sich am Ende auch in der Testnote aus. Eine Gesamt-Note von 1,4 vergaben wir bislang erst einmal. Das war 2016 beim Canyon Aeroad CF SLX (zum Test) mit Felgenbremsen. Weil Canyon dieses Rad zumindest mit dem leichten SLX-Rahmen nicht mehr anbietet, darf das Tarmac SL7 deshalb nach aktuellem Stand den Titel als bestes Rennrad der Welt für sich reklamieren. Doch es bleibt spannend. Schon in Kürze wird ein Konkurrent von Specialized ein Rennrad vorstellen, das ihm diesen Titel streitig machen könnte.

   Foto: TOUR/Konstantin Rohé

Factsheet: Alle Details zum Specialized Tarmac SL7

Im Handel erhältlich ist das Specialized Tarmac SL7 ab sofort in sieben Rahmengrößen von 44 bis 61 Zentimetern. Die beiden Topmodelle der S-Works-Baureihe mit SRAM-Red-AXS- oder Dura-Ace-Di2-Ausstattung basieren auf einem besonders leichten, nach TOUR-Messung 857 Gramm leichten Carbonrahmen und kosten jeweils 11.499 Euro. Das S-Works-Rahmen-Set ist für 4199 Euro zu haben und wie die Kompletträder ausschließlich für elektrische Schaltsysteme ausgelegt. Darunter bietet Specialized mehrere weitere Modellvarianten an, deren Rahmen aus einfacheren Carbonfasern gefertigt werden und deshalb etwas schwerer sind. Den Einstieg markiert das Tarmac SL7 Expert mit mechanischer Ultegra-Schaltung und Carbon-Laufrädern für 4999 Euro.

  • S-Works Tarmac SL7 - SRAM Red eTap AXS - 11499 Euro
  • S-Works Tarmac SL7 - Dura-Ace DI2 - 11499 Euro
  • Tarmac SL7 PRO - SRAM ForceETAP AXS 1X - 7399 Euro
  • Tarmac SL7 PRO - Ultegra DI2 - 6999 Euro
  • Tarmac SL7 Expert - Ultegra DI2 - 5299 Euro
  • Tarmac SL7 Expert - 4999 Euro
S-WORKS Tarmac SL7 - Dura-Ace DI2 - 11.499 Euro
Foto: Specialized

Technische Daten/Ausstattung

  • Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager 857/374/63 Gramm
  • Rahmengrößen 44, 49, 52, 54, 56, 58, 61 cm
  • Sitz-/Ober-/Steuerrohr 500/560/163 mm
  • Stack/Reach/STR 567/392 mm/1,45
  • Radstand/Nachlauf 990/56 mm
  • Antrieb/Schaltung SRAM Red AXS (48/35, 10-33 Z.)
  • Bremsen SRAM Red (160/160 mm)
  • Laufräder/Reifen (Gewichte) Roval Rapide CLX 60/Specialized Turbo Cotton 26 mm
  • mm (vorne/hinten - 1134/1450 Gramm)

Messwerte & Einzelnoten zum Test des Specialized Tarmac SL7

  • Luftwiderstand: 210 Watt - Note 1,7
  • Gewicht Komplettrad: 6890 Gramm - Note 1,7
  • Lenkkopfsteifigkeit: 98 Nm/°- Note 1,0
  • Seitensteifigkeit Gabel: 53 N/mm - Note 1,0
  • Tretlagersteifigkeit: 58 N/mm - Note 1,3
  • Federhärte Sattelstütze: 156 N/mm - Note 1,7