Julian Schultz
· 08.09.2022
Specialized nimmt den Werkstoff Alu für Rennräder noch ernst - das beweist das neue Allez Sprint Comp. Es ist komplett neu konstruiert, leicht, aerodynamisch und sieht den Carbonrahmen des aktuellen Modells Tarmac zum Verwechseln ähnlich. TOUR hatte die beiden im Vergleichstest.
Das ist doch... eine Kopie des Tarmac?! So oder so ähnlich wird nicht nur in der TOUR-Redaktion die erste Reaktion auf das Allez Sprint ausgefallen sein, das Specialized im Frühjahr diesen Jahres präsentierte. Der Antrieb der US-Amerikaner, sich selbst zu kopieren, bestand nach eigenem Bekunden darin, “das schnellste Alu-Rennrad der Welt” auf die Räder zu stellen, mit der gleichen Charakteristik wie der beliebte und bewährte Wettkampf-Allrounder mit Carbonrahmen: aerodynamisch, agil, komfortabel. In Zeiten, in denen Rahmen aus Aluminium fast nur noch in sehr günstigen und eher einfachen Rennrädern zu finden sind, ist das ein bemerkenswerter Ansatz - zumal das Allez dem aktuellen Tarmac SL7 wie aus dem Gesicht geschnitten ist.
Doch dem Impuls, im direkten Vergleich des Alu-Allez mit einem Carbon-Tarmac SL7 die immer noch spannende Frage “Alu oder Carbon?” zu klären, haben wir dann doch nicht nachgegeben - zu unterschiedlich sind Preisklassen und Ausstattungen: Das Allez Sprint kostet in der Comp-Version 3300 Euro, während das günstigste Tarmac SL7 erst ab 5600 Euro zu haben ist.
Aber: Der Vorgänger des aktuellen Tarmac, das SL6, wird weiterhin angeboten, in nahezu identischer Ausstattung wie das Allez und nur 150 Euro teurer. Rein optisch betrachtet, kommt das neue Specialized Allez Sprint eine ganze Generation moderner daher; kann es dem Carbonrenner, der viele Profis vom Schlage eines Peter Sagan noch vor Kurzem zu Siegen getragen hat, vielleicht sogar den Schneid abkaufen?
Wie kein anderes Rennrad von Specialized blickt das Allez auf eine lange (Erfolgs-) Geschichte zurück. Angefangen mit dem Ur-Modell aus Stahl, das Firmengründer Mike Sinyard 1981 als erstes Rennrad der Marke auf den Markt brachte, entwickelte sich das Bike peu à peu zu einem erschwinglichen Wettkampfrenner weiter; 2015 wurde es mit dem Zusatz “Sprint” dem aerodynamisch besseren Tarmac angeglichen. Wie konkurrenzfähig ein Alu-Renner sein kann, zeigte sich vor drei Jahren bei einem Kriteriumsrennen vor der Tour Down Under, als Peter Sagan ein Specialized Allez Sprint in Top-Ausstattung (Shimano Dura-Ace Di2 und Roval-Laufräder CLX 64) auf Rang zwei pilotierte.
Gewiss, das Allez Sprint gab nur ein kurzes Intermezzo im Peloton, rückblickend läuft der Renneinsatz wohl eher unter der Kategorie Marketing. Dennoch zeigte Specialized, welches Potenzial immer noch in Alu-Rahmen steckt - und auch unser Test belegt, dass Aluminium als Rahmenmaterial nicht zum alten Eisen gehört: Beim Vergleich des Allez mit dem Tarmac SL6 herrscht zumindest beim Blick auf die Noten Gleichstand.
Dennoch gibt es natürlich Unterschiede zwischen den Rädern - im Wortsinn gewichtige: 427 Gramm ist das Alu-Rahmen-Set schwerer als das Carbon-Pendant. Obwohl Specialized durch ein spezielles Verfahren und aus einem Stück geformte Teile (Steuerrohr und Tretlagergehäuse) weniger Schweißnähte benötigt, was Gewicht sparen soll. 1526 Gramm sind für ein Alu-Gestell jedoch nicht sensationell leicht.
Zur Einordnung: Das alte Allez - noch mit Felgenbremsen - war knapp 120 Gramm leichter (TOUR 3/2019). Vor allem im Antritt und bei Anstiegen kann das Allez nicht ganz mit dem Tarmac mithalten - wobei sich das SL6 Sport beim Gewicht ebenfalls nur im Mittelfeld vergleichbarer Wettkampfräder einreiht (TOUR 4/2021).
Im direkten Vergleich war’s das aber auch schon mit den Nachteilen. Vielmehr präsentiert sich der neu gezeichnete Alu-Klassiker deutlich aerodynamischer: Er verlangt im Windkanal 231 Watt, um die Testgeschwindigkeit von 45 km/h zu erreichen, und ist damit fast eine Klasse besser als das Tarmac SL6 Sport (239 Watt).
Speziell das günstiger geformte Sitzrohr, die Carbonsattelstütze und die teilintegrierten Züge an der Lenker-Vorbau-Einheit machen das Allez schneller. Der Aero-Vorteil zeigt sich besonders bei Seitenwind, wie unsere Simulation im Windkanal belegt. Mit schnelleren Laufrädern (Zipp 404, Bj. 2018) verbessert sich das Allez sogar auf 219 Watt, wodurch es mit deutlich teureren Race-Allroundern mithalten kann; allerdings schaffte das auch schon das Allez mit Felgenbremsen.
Zurück zur Frage Alu oder Carbon: Könnte man mit verbundenen Augen Rennrad fahren, wären beide Räder kaum zu unterscheiden. Die Geometrie ist bis auf Nuancen identisch, wobei man auf dem Allez minimal aufrechter sitzt. Schnelle Kurvenwechsel stellen beide sehr fahrstabile Renner nicht vor Probleme. Der etwas geringere Federkomfort am Sattel des Allez ist lediglich auf ruppigem Untergrund spürbar, mit bis zu 32 Millimeter breiten Reifen kann man aber relativ unkompliziert nachjustieren.
Der Werbeslogan “Alu-Superbike” mag etwas hochgegriffen sein, dennoch braucht das Allez Sprint den Vergleich mit Carbonrädern nicht scheuen. (Testredakteur Julian Schultz)
Bei der Ausstattung dagegen bleibt nicht viel Wahl. Specialized bietet das Allez Sprint nur in zwei Versionen an. In der Comp-Variante ist es mit Shimanos 105-Gruppe ausgestattet und mit der Kettenblatt-Kombi 52/36 sowie der 11-28-Kassette etwas rennmäßiger übersetzt als das Tarmac (50/34, 11-30). Zudem rollt es - wie das Tarmac - auf relativ schweren und flachen Alu-Felgen von DT Swiss.
Stimmiger ausgestattet und naturgemäß schneller präsentiert sich die Top-Version Allez Sprint LTD mit der Force-eTap-Funkschaltung von SRAM, schnellen Roval-Carbonlaufrädern und flachem Aero-Lenker; so aufgebaut, klettert der Preis allerdings auf 7500 Euro.
Dass Rennräder mit Alu-Rahmen per se günstiger sind als solche mit Carbonrahmen, stimmt heutzutage und am Beispiel Specialized jedenfalls nicht (mehr). Das Allez liegt, wie schon erwähnt, nur 150 Euro unter dem fast identisch ausgestatteten Tarmac SL6 Sport mit Carbonrahmen.
Auch der Preis von 1800 Euro für das in fünf Farben erhältliche Rahmen-Set deutet an, dass es heutzutage fast schon einen exklusiven Touch hat, einen Alu-Boliden zu pilotieren. Bis vor drei Jahren bekam man dafür noch ein komplettes Allez Sprint Comp, das sich, wie auch das für 899 Euro erhältliche Rahmen-Set, großer Nachfrage erfreute und chronisch ausverkauft war.
Fazit: Ein tolles Rad ist das neue Allez Sprint ohne Frage - wir würden uns, vor die Wahl zwischen Specialized und Specialized gestellt, für den aufgefrischten Alu-Renner entscheiden. Das Mehrgewicht und der etwas geringere Rahmenkomfort lassen sich zwar nicht wegdiskutieren, der Werbeslogan vom “Alu-Superbike” mag deshalb auch etwas hochgegriffen sein.
Mit deutlich besserer Aerodynamik holt das Allez allerdings wieder auf und liegt in der Endabrechnung genau gleichauf mit dem Tarmac. Letztlich lässt der markante Alu-Rahmen das Pendel Richtung Allez ausschlagen. Damit bietet es schlicht mehr Charakter als das SL6 Sport, das in der Flut ähnlich konzipierter Carbonräder unterzugehen droht.
Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager* 1526/449/67 g
Rahmengrößen** 49/52/54/56/58/61 cm
Sitz-/Ober-/Steuerrohr 540/550/153 mm
Stack/Reach/STR*** 574/387 mm/1,48
Radstand/Nachlauf 990/53 mm
Antrieb/Schaltung Shimano 105 (2x11, 52/36, 11-28 Z.)
Bremsen Shimano 105 (160/140 mm)
Laufräder/Reifen (Gewichte)**** DT Swiss R470/Specialized Turbo Pro 26 mm (v./h. 1359/1.835 g)
Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager* 1099/455/62 g
Rahmengrößen** 49/52/54/56/58/61 cm
Sitz-/Ober-/Steuerrohr 520/565/165 mm
Stack/Reach/STR*** 568/394 mm/1,44
Radstand/Nachlauf 990/52 mm
Antrieb/Schaltung Shimano 105 (2x11, 50/34, 11-30 Z.)
Bremsen Shimano 105 (160/140 mm)
Laufräder/Reifen (Gewichte)**** DT Swiss R470/Specialized Turbo Pro 26 mm (v./h. 1.359/1.835 g)
*Gewogene Gewichte. **Herstellerangabe Testgröße fett. ***Stack/Reach projiziertes senkrechtes/waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerrohr; STR (Stack to Reach) 1,36 bedeutet eine sehr gestreckte, 1,60 eine aufrechte Sitzposition. ****Laufradgewichte inklusive Bereifung, Kassette, Schnellspanner/Steckachsen und ggf. Bremsscheiben.
Alle technischen Details zu den Rädern und Einzelnoten gibt es im TOUR-Heft 8/2022.