Julian Schultz
· 21.02.2022
Simplon und Storck reklamieren mit ihren neuen Aero-Rennrädern den Titel für das schnellste Serienrad der Welt. Doch sind sie das auch? TOUR hat das Simplon Pride II und das Storck Aerfast.4 Pro getestet – und kam zu einem überraschenden Ergebnis.
Eine Glocke zum „Ring frei“ ertönt zwar nicht, als wir die beiden neuen Aero-Rennräder zum ultimativen Showdown aufeinander loslassen. Der Vergleich zwischen Simplon Pride II und Storck Aerfast.4 Pro Disc kommt dem Duell zweier Schwergewichtsboxer dennoch ziemlich nahe. Unser Ring ist der Windkanal. Den Schlagabtausch eröffneten beide Hersteller aber schon vor unserem Windkanal-Test in Immenstaad.
Das Pride II breche „aktuell alle Windkanalrekorde“, teilte Simplon bei der Vorstellung des Modells im Spätsommer 2021 mit. Das Aerfast.4 sei „das schnellste Rennrad der Welt“, zog Storck selbstbewusst nach. Das offizielle Wiegen – um im Boxjargon zu bleiben – konnte damit noch keiner für sich entscheiden. Doch weil es eben nur einen Sieger geben kann, warfen wir das Gebläse an und schufen Fakten. Simplon oder Storck: Wer baut das schnellste Serien-Rennrad der Welt?
So viel vorweg: Sowohl das Pride II als auch Aerfast.4 erzielen nie erreichte Aerodynamikwerte. Möglich wurde das durch Anpassungen im technischen Reglement des Weltverbands. Seit Januar 2021 erlaubt die UCI zum einen flächigere und größere Formen an den Rahmendreiecken. Einzelne Bauteile dürfen nun mehr als dreimal so lang wie breit sein. Das mag kompliziert klingen, die Kernaussage dahinter ist jedoch vergleichsweise simpel: Durch die Änderungen im sogenannten „Clarification Guide“ lässt die UCI den Herstellern mehr Spielraum für aerodynamische Rahmenkonstruktionen – und das nutzen Simplon und Storck auf unterschiedliche Weise aus.
Kurios dabei: Simplons Entwicklungsabteilung erfuhr nur durch Zufall, dass der Weltverband unter dem damaligen Technischen Direktor Jean-Christophe Péraud an Korrekturen im Regelwerk arbeitete. „Wir hatten bereits mit der Entwicklung begonnen, konnten aber noch rechtzeitig reagieren“, erinnert sich Chefentwickler Jonas Schmeiser. „Als relativ kleines Unternehmen sind wir da flexibel. Man kann aber davon ausgehen, dass andere Marken demnächst nachziehen werden“, ergänzt der 34-Jährige. Mit Orbea hat das ein Hersteller bereits getan. Die Spanier präsentierten im vergangenen September das Orca Aero, das mit seiner aggressiven Rahmenform dem Pride II ähnelt – und von uns in TOUR 3/2022 ebenfalls getestet wird.
Als Simplon letztmals sein Pride überarbeitet hatte, staunten wir nicht schlecht. Mit aggressiver Formensprache hob sich das Aero-Rennrad deutlich von der Konkurrenz ab und emanzipierte sich endgültig vom Urmodell. Knapp fünf Jahre später wiederholt sich die Geschichte. Denn mit dem Pride II rollten die Vorarlberger im Spätsommer 2021 erneut ein Straßenrad an den Start, das bislang seinesgleichen sucht. Als erster Hersteller weltweit wandte Simplon das modifizierte Technik-Reglement der UCI an und reizte zusammen mit den Aero-Experten von Swiss Side die neuen Rahmenformen fast bis zur Grenze des Erlaubten aus.
Die markanteste Neuentwicklung ist das rund 150 Millimeter lange Steuerrohr, das eher einem senkrecht stehenden Tragflügel gleicht. In Kombination mit den flächigen Rahmendreiecken entsteht ein Segeleffekt, der das Pride II bei Seitenwindverhältnissen messbar schneller macht. Mit aerodynamischem Lenker und dem zweigeteilten Vorbau bietet das Simplon auch bei frontaler Anströmung wenig Angriffsfläche.
+ herausragende Aerodynamik, verschiedene Konfigurationsmöglichkeiten im Baukasten
- anfällig bei Seitenwind, hoher Preis
Sechs Neuvorstellungen präsentierte Storck im vergangenen Jahr. Doch kaum ein Rad erregte so viel Aufsehen wie das Aerfast.4 Pro Disc – vor allem auch in der TOUR-Redaktion. Die Hessen bewarben ihr neues Modell schon zur Vorstellung mit einem neuen -Aero-Bestwert von 199 Watt, ermittelt „nach TOUR-Standard-Testverfahren“. Auf Nachfrage bestätigt Storck aber, dass der Wert lediglich auf Simula-tionsrechnungen beruht. Dem ersten echten TOUR-Wind-kanaltest stellt sich das Storck in diesem -Duell mit dem Simplon.
Das Aerfast.4 Pro Disc ist eine Weiterentwicklung des weiterhin erhältlichen Aerfast.3. Mit Unterstützung der Aero-Experten von Swiss Side wurde zum einen das Cockpit modifiziert. Dieses zeichnet sich durch eine sehr breite Auflagefläche und äußerst flache Front aus, lässt sich trotz der extremen Abmessungen aber gut umgreifen. Zum anderen erfuhr die Gabel ein aerodynamisches Update. Dank das neuen UCI-Reglements erreichen die Scheiden fast die Maximalbreite von 80 Millimetern, gleichzeitig sind sie nur 15 Millimeter stark.
+ sehr gute Aerodynamik, vergleichsweise günstig
- begrenztes Einsatzspektrum, extreme Überhöhung
Alle technischen Details, den kompletten Test und die Einzelnoten der Räder finden Sie unten zum Download für 2,99 Euro.
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*Gewogene Gewichte.
**Herstellerangabe, Testgröße fett.
***Stack/Reach projiziertes senkrechtes/waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerrohr; STR (Stack to Reach): 1,36 bedeutet eine sehr gestreckte, 1,60 eine sehr aufrechte Sitzposition.
****Laufradgewichte inklusive Bereifung, Kassette, Schnellspanner/Steckachsen und ggf. Bremsscheiben.