Neuer Aero-Bolide für PogacarColnago präsentiert spektakuläres Y1Rs

Julian Schultz

 · 09.12.2024

Des Weltmeisters neues Rad: Colnago präsentiert mit dem Y1Rs einen aerodynamisch optimierten Spezialisten.
Foto: Nicola Vettorello
Wird die Dominanz von Tadej Pogacar mit dem neuen Colnago noch größer? Das zumindest hofft der italienische Traditionshersteller, indem er mit dem Y1Rs erstmals seit längerer Zeit wieder ein aerodynamisch optimiertes Wettkampfrad präsentiert. Das potenzielle Arbeitsgerät des Weltmeisters zeichnet sich durch ein mutiges Design und horrende Preise aus.

Bereits vor der offiziellen Vorstellung des Y1Rs kochten in zahlreichen Internetforen die Emotionen hoch, da nach einem Leak erste Bilder des neuen Colnago auftauchten. Die Reaktionen machten klar: Die aerodynamisch optimierte Rennmaschine polarisiert wie aktuell nur wenige Räder. TOUR schafft nun Fakten, ordnet das Potenzial des künftigen Arbeitsgeräts von Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) ein und vergleicht den Boliden mit Aero-Maschinen der Konkurrenz.

Colnago Y1Rs: Die wichtigsten Fakten

  • Gewicht Komplettrad: ca. 7,5 Kilogramm
  • Gewicht Rahmen/Gabel: 965/450 Gramm (unlackiert)
  • Aerodynamik: 117 Watt (ohne Dummy, 0 bis 15 Grad)
  • Stack/Reach/STR: 540/386 Millimeter/1,40 (Größe M)
  • Max. Reifenfreiheit: 32 Millimeter
  • Rahmengrößen: XS, S, M, L, XL
  • Preise Komplettrad: 12300 bis 16500 Euro
  • Preis Rahmen-Set: 6710 Euro

Auslöser für die regen Diskussionen im Internet war das spektakuläre Design des Rahmen-Sets, genauer gesagt des nach hinten versetzten Sitzrohrs. Anders als beim klassischen Diamantrahmen bildet dieses nicht eine Linie zwischen Oberrohr und Tretlager, sondern knickt auf Höhe der Sitzstreben ab. Die von Colnago als “Defy” bezeichnete Konstruktion ist seit der Regelanpassung seitens des Radsport-Weltverbands vor knapp vier Jahren möglich. Demnach muss die Sattelstütze inzwischen nicht mehr aus dem Sitzrohr hervorgehen, sondern “kann an jeder beliebigen Stelle des Sitzrohrs und/oder Oberrohrs am Rahmen befestigt werden”, so die UCI.

Die markante Konstruktion des Sitzknotens ist dank des neuen UCI-Technikreglements möglich. Sitzrohr und Sattelstütze müssen keine Linie bilden.Foto: Nicola VettorelloDie markante Konstruktion des Sitzknotens ist dank des neuen UCI-Technikreglements möglich. Sitzrohr und Sattelstütze müssen keine Linie bilden.

Nach zuletzt eher konventionellen Entwürfen zeigt sich der Fahrradbauer aus Cambiago damit mal wieder von seiner innovativen Seite. Dabei weckt das Y1Rs unweigerlich Erinnerungen an das C35, das vor mehr als 35 Jahren in Kooperation mit Sportwagenbauer Ferrari entstand und die Fachwelt mit einem geschwungenen Monocoque-Carbonrahmen faszinierte. “Der Rahmen soll natürlich nicht nur spektakulär ausschauen”, sagt Chefentwickler Davide Fumagalli gegenüber TOUR: “Unsere Räder sollen mit einer hohen Fahrqualität überzeugen.” Allerdings: Durch die Spezialkonstruktion am Sitzknoten bleibt für die Anpassung der Sitzhöhe nur ein Verstellbereich von 1,5 Zentimetern.

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Neben dem Federkomfort soll das Gebilde auf die Aerodynamik einzahlen - das entscheidende Kriterium des neuen Colnago. Schließlich forderten die beiden Rennställe, UAE Team Emirates um Pogacar und UAE Team ADQ um Neuzugang Elisa Longo Borghini, einen schnellen Experten. “Das V4Rs ist ein perfekter Allrounder, aber für spezielle Rennen brauchen wir ein dediziertes Aero-Bike”, gibt Colnago den Wunsch der World-Tour-Teams wider.

20 Watt schneller als V4Rs?

Die Traditionsmarke holte sich dafür die Expertise zweier Universitäten aus Mailand sowie Abu Dhabi ins Haus. “Die Entwicklung des Y1Rs war das längste und aufwendigste Projekt in der Geschichte von Colnago”, berichtet Fumagalli. So habe man neben obligatorischen CFD-Simulationen (Computational Fluid Dynamics) ein Testverfahren angewandt, bei dem die Prototypen im Windkanal mit 70 Drucksensoren bestückt waren und somit für jedes Bauteil die Strömung optimiert werden konnte.

In Kooperation mit zwei Universitäten in Mailand und Abu Dhabi feilte der italienische Traditionshersteller an der Aerodynamik.Foto: Nicola VettorelloIn Kooperation mit zwei Universitäten in Mailand und Abu Dhabi feilte der italienische Traditionshersteller an der Aerodynamik.

Und der Aufwand scheint sich bezahlt zu machen. Wie Colnago mitteilt, sei das Y1Rs in verschiedenen Bedingungen “schneller als der schnellste Konkurrent auf dem Markt”. Auf welche Referenz sich die Italiener berufen, wollten sie auf TOUR-Nachfrage nicht verraten. Die Zahlen für die Aero-Leistung dagegen schon: Bei 50 km/h und einem Winkelbereich von 0 bis 15 Grad benötigt das Y1Rs 117 Watt, mit starrem Vollkörperdummy und kleineren Anströmwinkeln (0 bis 10 Grad) kommuniziert Colnago eine Performance von 474 Watt. In beiden Fällen sei der Italo-Bolide damit etwas weniger als zehn Watt schneller als der Aero-Konkurrent. Im Vergleich zum V4Rs benötige man mit dem Y1Rs eine um 20 Watt geringere Tretleistung bei 50 km/h.

TOUR hat für den Race-Allrounder, den Pogacar 2024 zu extrem beeindruckenden 25 Saisonsiegen pilotierte, eine Aero-Leistung von 221 Watt ermittelt. Allerdings weicht unser Messprotokoll von dem der Italiener ab, weshalb sich keine Rückschlüsse auf die Performance des Y1Rs nach TOUR-Kriterien ziehen lassen. In der World Tour zählen aktuelle das Canyon Aeroad (204 Watt) und Cervélo S5 (205 Watt) zu den schnellsten Rädern. Absolut führt das Simplon Pride II (199 Watt) die Rangliste der schnellsten Serienräder im TOUR-Test an. Knapp dahinter folgen das Storck Aerfast.5 und Aerfast.4 mit jeweils 201 Watt (Stand: Dezember 2024).

Cockpit à la Cervélo

Neben dem flächigen Rahmen-Set, das von der Aufhebung der 3:1-Regel profitiert, wirke sich zentral das neue Carbon-Cockpit auf die Windschlüpfrigkeit aus. Durch die Y-Form des Lenkers sei die Frontfläche um 19 Prozent geringer als beim V4Rs, wobei die Konstruktion mitsamt der vor das Steuerrohr verlegten Gabel sehr an das Cervélo S5 erinnert. Zudem schrauben Simplon beim Pride II und Bianchi beim Oltre RC ähnliche Lenkerkonstruktionen an den Rahmen.

Durch die Y-Form verringert sich die Frontfläche und damit auch der Luftwiderstand.Foto: Nicola VettorelloDurch die Y-Form verringert sich die Frontfläche und damit auch der Luftwiderstand.

“Das Design gibt es natürlich auch bei anderen Hersteller. Aber die Form funktioniert eben aerodynamisch sehr gut”, sagt Chefentwickler Fumagalli. Kritiker werden anmerken, dass auch das Unterrohr an ein populäres Wettkampfrad erinnert: Das Pinarello Dogma F nutzt eine ähnliche Form, um den Flaschenhalter ins aerodynamische Konzept zu integrieren. Gegen ein komplett proprietäres System, wie es beispielsweise Trek beim neuen Madone nutzt, sprachen sich laut Colnago die Teams aus: “Sogenannte Custom-Lösungen wären schneller, aber im Renneinsatz nicht unbedingt praktischer.”

Pogacar testet am Poggio

Apropos Renneinsatz: Die Italiener erwähnen fast beiläufig, dass das Y1Rs hauptsächlich für die Sprintspezialisten bei beiden UAE-Teams entwickelt worden sei. Wird man Pogacar womöglich also gar nicht auf dem Aero-Boliden sehen? Fumagalli hält sich bedeckt. “Tadej ist super interessiert, wenn es um neue Technologien geht. Er testet das neue Bike aktuell, indem er dreimal pro Woche über den Poggio fährt”, sagt Colnagos Chefingenieur.

Die Neuheit würde durchaus zum spektakulären Fahrstil des aktuellen Weltmeisters, Tour de France- und Giro-Siegers passen. Erinnert sei nur an seine zahlreichen Solofahrten, bei denen das aerodynamische Potenzial eine entscheidende Rolle spielt. Speziell bei den Frühjahrsklassikern sollte das Y1Rs Vorteile gegenüber dem V4Rs haben. Bei den großen Rundfahrten und entscheidenden Etappen im Hochgebirge dagegen dürfte weiter der Race-Allrounder das bevorzugte Arbeitsgerät sein.

Großer Gewichtsunterschied zum V4Rs

Mit rund 7,4 Kilogramm ist Pogacars bisheriges Arbeitsgerät im rennfertigen Zustand und aufgebaut mit hochwertigen Tuning-Teilen von Carbon-Ti zwar kein Leichtgewicht. Im Gegensatz zum aerodynamisch optimierten Y1Rs ist es aber deutlich leichter. Schließlich soll der neue Bolide mit Shimano Dura-Ace und Laufrädern von Enve 7,5 Kilogramm auf die Waage bringen, so Fumagalli. Im “nackten” Zustand mit Pedalen, Computer, Flaschen und Transponder steuert das Rad auf acht Kilogramm zu. Das unlackierte Rahmen-Set bringe rund 1400 Gramm auf die Waage, gegenüber dem Chassis des V4Rs ist das ein Plus von knapp 240 Gramm.

Die lang gezogene Gabel fällt schwer aus. 450 Gramm soll diese laut Colnago wiegen.Foto: Nicola VettorelloDie lang gezogene Gabel fällt schwer aus. 450 Gramm soll diese laut Colnago wiegen.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass beide Rennmaschinen unterschiedliche Rahmengeometrien haben. Das dürfte nicht jedem Rennfahrer schmecken. Zudem ist das Y1Rs nur noch in fünf Größen verfügbar, das V4Rs bietet Colnago weiterhin in sieben Größen an. Die bisherige 48,5 von Pogacar entspricht nun Größe M, wobei Stack und Reach bis auf einen Millimeter identisch sind und den Fahrer - natürlich - in eine rennmäßige Sitzposition bringen. Auffällig ist der kurze Radstand des neuen Wettkampfrenners, was auf eine agiles Fahrverhalten deuten lässt.

Colnago Y1Rs: Ausstattungen und Preise

Dass das neue Colnago kein Rad für Jedermänner, sondern für den aktuell besten Rennfahrer der Welt & Co. ist, wird spätestens beim Blick auf das Preisschild klar. Schon für das “Basismodell” mit SRAM Red AXS und Laufrädern von Vision werden schlappe 12300 Euro fällig. Mit Shimano Dura-Ace und Enve SES 4.5, der Ausstattungsvariante bei UAE Team Emirates, verlangt Colnago 16200 Euro. Noch etwas teurer wird es mit Campagnolos Super Record WRL, dann kostet das Y1Rs 16500 Euro.

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