“Wenn es beim Oltre darum ging, die Aerodynamik zu revolutionieren, dann soll das Specialissima das beste Werkzeug für Berge und steile Anstiege sein”, so Bianchi über den neuen Race-Allrounder, der vor den Augen von Radsport-Legende Bernard Hinault auf dem Italian Bike Festival in Misano offiziell vorgestellt wurde. Schon ein paar Tage zuvor war die Neuheit bei der Vuelta gesichtet worden und hatte ihre Rennpremiere gefeiert: Der französische Bergspezialist Kévin Vauquelin (Arkéa-Samsic) pilotierte das Specialissima unter anderem hinauf zum Col du Tourmalet.
Bianchi setzte sich in der Entwicklung des neuen Race-Allrounders zwei wesentliche Kernziele. Das Specialissima solle keine Kompromisse eingehen und bei geringem Gewicht dennoch aerodynamisch sein. Das Ergebnis an der Waage kann sich schon mal sehen lassen: 6,6 Kilogramm wiegt das Top-Modell RC in Rahmengröße 55 laut Herstellerangabe. Damit unterbietet es das Gewichtslimit des Radsport-Weltverbands UCI um rund 200 Gramm. Die Ausstattungsvarianten Pro und Comp sind 400 und 1200 Gramm schwerer.
Der Vorgänger - ebenfalls in hochwertiger Ausstattung - hing mit 7,2 Kilogramm an der TOUR-Waage, wobei vor allem der Rahmen mit 950 Gramm vergleichsweise schwer ausfiel. Bianchi macht für das neue Modell keine Angabe zum Rahmengewicht. Stattdessen hebt die Marke aus Treviglio die exklusiven Carbon-Anbauteile aus eigener Produktion hervor, die maßgeblich zum geringen Gesamtgewicht beitragen: Unter anderem sollen die neuen Laufräder mit Keramiklager 1380 Gramm wiegen, der Sattel mit Kohlefaser-Gestell nur 145 Gramm auf die Waage bringen.
Aerodynamisch ist das Specialissima an das vor knapp einem Jahr vorgestellte Oltre angelehnt. Natürlich fallen die Rohrformen nicht so extrem flächig aus, doch speziell die Front erinnert stark an den Aero-Boliden. Bianchi verzichtet am Steuerrohr zwar auf die extravaganten und UCI-nonkonformen Luftleitbleche, adaptiert allerdings die spitze Form. Im Zusammenspiel mit der relativ flächigen Gabel soll dadurch der Luftstrom besser um Rennrad und Fahrer gelenkt werden.
In Zahlen: 31,9 Sekunden soll das neue Specialissima in der Ebene bei einer durchschnittlichen Tretleistung von 200 Watt schneller als das alte Modell sein. Auf einem zehn Kilometer langen Anstieg mit sechsprozentiger Steigung beträgt der Vorsprung rund neun Sekunden, so Bianchi. Insgesamt böte die Neuheit dank der Kombination aus Leichtbau und Aero-Optimierung nun ein größeres Einsatzspektrum; das Specialissima soll seine Stärken gegenüber Aero-Spezialisten nun auch schon in weniger steilem Terrain ausspielen.
In die Alpen haben wir es mit dem exklusiv von Bianchi zur Verfügung gestellten Testrad so kurz vor der Präsentation zwar nicht mehr geschafft. Auch an der TOUR-Waage hing das Specialissima RC bislang noch nicht. Doch auch ohne lange Anstiege und Messwerte zeigt die Neuheit schon nach wenigen Kilometern eindrucksvoll seine Renn-Gene. Das Top-Modell hängt in jeder Fahrsituation exzellent am Gas und bringt den Fahrer dabei in eine extrem sportliche Sitzposition. Laut Herstellerangaben liegt der STR-Quotient für den 55er-Rahmen bei extremen 1,37 - für alle Nicht-Profis dürften damit auf längeren Ausfahrten Rückenbeschwerden vorprogrammiert sein. Neben der hohen Agilität überzeugt der Allrounder, der auf Top-Reifen von Pirelli rollt, außerdem mit beachtlichem Federkomfort. Speziell auf Kopfsteinpflaster hatte unser Testfahrer schon wesentlich härtere Wettkampfräder unter dem Sattel als das Bianchi, in dem eine abgeflachte Carbon-Stütze mit langem Auszug steckt.
Einzig das Lenkverhalten war auf unseren ersten Testkilometern etwas gewöhnungsbedürftig und undefiniert. Apropos gewöhnungsbedürftig: Wie schon beim Oltre dürfte auch das Rahmendesign des Specialissima nicht den Geschmack aller Radsportler treffen. Vor allem das Oberrohr, das an den Knotenpunkten jeweils verdickt ist, hat kaum etwas mit einem puristischen, klassischen Bianchi von früher zu tun. Ungewöhnlich ist die Übersetzung, da Bianchi die elektronische Dura-Ace mit Kompaktkurbel verbaut. Ambitionierte Fahrer dürften sich nach einem dickeren Gang sehnen, Hobbysportler damit dagegen zufrieden sein. Und: In Celeste, die wohl bekannteste Rahmenfarbe der Rennrad-Welt, ist leider nur das schwere Einstiegsmodell erhältlich. Grund: Ohne die beliebte Lackierung spart Bianchi laut eigener Aussage nochmals rund 40 Gramm an Gewicht.
Der neue Wettkampf-Allrounder ist ab Ende September in den drei Modellvarianten RC, Pro und Comp erhältlich. Exakte Preise für den deutschen Markt teilten die Italiener bislang nicht mit. Das Top-Modell RC - wahlweise mit Dura-Ace Di2 oder Red AXS aufgebaut - steht ohne Steuer mit 10444 Euro in der Preisliste. Deutlich günstiger ist das Specialissima Pro mit Ultegra Di2 oder Force AXS und einfacheren Laufrädern von Velomann sein. Das Mittelklasse-Modell wird ohne Steuer für 6282 Euro aufgeführt. Drei Versionen mit Ultegra Di2, 105 Di2 oder Rival AXS stehen beim Comp zur Auswahl. Die Preise liegen ohne Steuer zwischen 4456 Euro (105 Di2, Rival AXS) und 4787 Euro (Ultegra Di2).