Sebastian Lindner
· 13.09.2023
Acht Sekunden sind es nur noch, die der Amerikaner nun Vorsprung auf Tour-Sieger Vingegaard hat. Hätte Edelhelfer Kuss ausgerechnet heute das Trikot an seinen Teamkollegen abgeben müssen, hätte das einen besonders faden Beigeschmack gehabt. Denn Kuss feierte am Tag der 17. Etappe seinen 29. Geburtstag. Und zwingend notwendig war der Angriff von Roglic, der seinen zweiten Etappensieg und den fünften fürs Team im Laufe der Rundfahrt holte, nicht.
Denn als Kuss mit seinen beiden Kapitänen nicht mehr mithalten konnte, waren die drei Jumbo-Fahrer bereits allein auf weiter Flur. Als die Lücke aufging, griff das Geburtstagskind zum Funkgerät, doch Roglic drückte nicht auf die Bremse. Er habe die Situation zwar bemerkt, sagte der dreifache Vuelta-Sieger. “Aber ich bin mein eigenes Tempo gefahren. Ich habe ihm im Ziel gesagt, er soll weiterkämpfen.” Dass vielleicht doch ein kleines bisschen schlechtes Gewissen in ihm steckt, könnte sein Jubel auf dem Zielstrich zeigen. Denn abgesehen von einem kleinen Fingerzeig blieb der aus.
Kuss blieb sich treu, lächelte im Ziel und sagte: “Ich hätte nicht erwartet, dass ich so lange dranbleiben kann. Ich bin glücklich, mit zwei so großen Champions im Team zu fahren und für sie zu arbeiten.” Und auch Vingegaard äußerte sich noch zur Situation. “Ich hoffe, dass Sepp das Rote Trikot behält”, bekräftigte der Tour-de-France-Sieger, der das allerdings mitbestimmt. Immerhin hielt er sich hinter Roglic zurück, blieb die ganze Zeit nur an dessen Hinterrad.
Größter Verlierer des Tages war Marc Soler (UAE Team Emirates). Der Spanier, vor der Etappe noch Gesamtsechster, scheiterte mit einer frühen Attacke und kassierte am Ende so viel Rückstand, dass er aus den Top 10 rutschte. Um zwei Plätze verbesserte sich Bora-Youngster Cian Uijtebroeks. Früh abgehangen, schlug der 20-jährige Belgier nochmal zurück und überholte unterwegs viele seiner GC-Kontrahenten. Platz 7 in der Tages- wie der Gesamtwertung stehen nun für ihn zu Buche. Damit hat er auch seinen Kapitän Aleksandr Vlasov wieder überholt.
Neben Kuss konnten auch alle anderen Trikotträger ihre Leibchen verteidigen. Juan Ayuso (UAE Team Emirates) führt weiterhin die Nachwuchswertung an. Kaden Groves (Alpecin-Deceuninck) bleibt bester Punktesammler und damit im Grünen Trikot. Remco Evenepoel (Soudal - Quick Step) sammelte 20 weitere Punkte für die Bergwertung.
Mit der Brechstange versuchte es Evenepoel auf dem 124 Kilometer langen Teilstück in die Gruppe des Tages zu kommen. Und es dauerte rund 55 Kilometer und mehrere Versuche, ehe ihm das gelang. Doch viel Gruppe blieb nicht über. Von ursprünglich elf Fahrern ließen sich abgesehen von Teamkollege Mattia Cattaneo und Lorenzo Germani (Groupama-FDJ) alle zurückfallen. Kurze Zeit später konnte auch der junge Italiener dem Soudal-Duo nicht mehr folgen.
Stattdessen machte sich im Anstieg zum ersten Berg des Tages, dem Alto de la Colladiella (1. Kategorie), Soler auf die Verfolgung. Oben am Gipfel, wo Evenepoel sich zehn weitere Bergpunkte für sein Trikot sicherte, hatte der Spanier etwas mehr als eine Minute Rückstand auf die Spitze. Das Hauptfeld war 2:30 Minuten zurück.
Am Alto de Cordal, 26 Kilometer vor dem Ziel, war der Job von Cattaneo erfüllt. Er lieferte Evenepoel am Fuße des Berges ab und blieb dann stehen. Soler, der inzwischen Unterstützung von Germani und Eduardo Sepulveda (Lotto Dstny) bekam, hatte da bereits wieder zwei Minuten Rückstand, das Feld knapp drei. Am Gipfel war Soler gestellt, Evenepoels Vorsprung auf 2:20 Minuten geschrumpft. Bahrain Victorious, das die Tempoarbeit mit fünf Fahrern übernahm, hatte dafür gesorgt.
In den Altu de l’Angliru ging Evenepoel dann nur noch mit 1:20 Minuten Vorsprung. Bis zu den extrem steilen letzten 7000 Meter hatte der 23-Jährige kaum etwas eingebüßt. Nur anderthalb Kilometer später war es allerdings um ihn geschehen.
4,5 Kilometer vor dem Ziel zeigte sich ein kurioses Bild: Dreimal Bahrain Victorious mit Wout Poels, Mikel Landa und Santiago Buitrago und dreimal Jumbo mit Vingegaard, Roglic und Kuss - das war die Spitze. Und die versank auf den letzten Kilometern im dichten Nebel. Nach und nach schüttelte Jumbo die Konkurrenz ab -bis das Trio allein war.
2000 Meter vor dem Ende bekam dann auch Kuss Probleme. Doch Roglic zog durch und kannte kein Pardon. Auch auf dem letzten abfallenden Kilometer zog der Slowene durch, Vingegaard blieb am Hinterrad. Kuss konnte sich dann glücklich schätzen, dass von hinten Landa wieder aufschließen konnte. An dessen Hinterrad nahm er nochmal Tempo auf und rettete sich ins Ziel.