Liane LippertDie Deutsche Meisterin im Porträt

TOUR Online

 · 26.07.2023

Liane Lippert feierte mit ihrem Sieg auf der 2. Etappe der Tour de France Femmes 2023 ihren bislang größten Erfolg
Foto: Getty Velo
Oft vorne dabei, aber selten die Siegerin: Bis zu ihrem Etappenerfolg bei der Tour de France Femmes musste Liane Lippert lange auf ihren Durchbruch warten. Ein Porträt über eine Fahrerin, die als Aushängeschild des deutschen Frauenradsports gilt, in ihrem ersten Rennen Letzte wurde und nun womöglich genau im richtigen Team fährt.

So ganz trauen wollte Liane Lippert der Sache selbst im Ziel noch nicht. “Ich dachte, vielleicht hat es ja eine Fluchtgruppe gegeben”, sagte sie kurz nach der Ankunft in Mauriac. Doch da gab es keine Fahrerin vor ihr, Lippert überquerte tatsächlich als erste den Zielstrich, und gewann damit im Bergaufsprint die 2. Etappe der Tour de France Femmes 2023. Wer jedoch so lange wie Lippert einem großen Sieg hinterherfährt, der mag im ersten Moment noch am eigenen Erfolg zweifeln.

Unter den Top-Fahrerinnen im Peloton hat sie sich längst etabliert, zu den Siegerinterviews durften bislang aber zumeist die Konkurrentinnen. Alleine im Vorjahr holte Lippert 13 Top-fünf-Platzierungen bei World-Tour-Rennen, in diesem Frühjahr folgten Platz drei beim Brabantse Pijl und Rang zwei beim Fleche Wallonne. Herausragende Ergebnisse, auf Dauer aber unbefriedigend. In Mauriac platzte nun der Knoten. “Das ist etwas ganz Besonderes. Ich habe so lange auf einen solchen Sieg gewartet. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt den Durchbruch geschafft habe und weiter gewinnen kann”, so Lippert.

Liane Lippert nimmt Rolle des deutschen Aushängeschilds gerne an

Die 25-Jährige aus Friedrichshafen gilt inzwischen als Aushängeschild des deutschen Frauen-Radsports, eine Rolle, die Lippert gerne annimmt, wie sie im Gespräch mit TOUR vor der Tour de France Femmes sagt: “Ich sehe darin einen Vorteil, dadurch wird der Frauenradsport in Deutschland bekannter und populärer. Deshalb mache ich das alles sehr gerne. Ich kann das auch durchaus genießen.” Zuletzt gewann sie im Juni in Bad Dürrheim ihren dritten Deutschen Meistertitel auf der Straße – mit über einer Minute Vorsprung auf die zweitplatzierte Kathrin Hammes.

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Seit 2023 fährt Liane Lippert für das Team Movistar. Ihr Meistertrikot aus dem Vorjahr konnte sie in Bad Dürrheim jedoch verteidigen.Foto: Getty VeloSeit 2023 fährt Liane Lippert für das Team Movistar. Ihr Meistertrikot aus dem Vorjahr konnte sie in Bad Dürrheim jedoch verteidigen.

Im internationalen Fahrerfeld hat sich Liane Lippert seit ihrem Profidebüt 2017 derweil den Ruf als Klassikerspezialistin erarbeitet. Bereits in ihrer zweiten Saison holte sich die damals 20-Jährige mit dem Erfolg auf der Schlussetappe über Kopfsteinpflaster nach Geraardsbergen den Gesamtsieg der anspruchsvollen Belgien-Rundfahrt. Im selben Jahr gewann Lippert in Einhausen zudem erstmals die Deutsche Meisterschaft. 2020 kündigte sich eine weitere gute Saison an, als Lippert zunächst Platz zwei bei der Tour Down Under belegte und kurz danach im Februar das Cadel Evans Great Ocean Road Race als Solistin gewann. Doch der Ausbruch der Corona-Pandemie und die folgende Wettkampfpause beendeten jäh ihren Höhenflug.

Bei der Rad-WM verpasste Liane Lippert knapp eine Medaille

Die Versprechen an ihre Karriere waren spätestens seit diesem Zeitpunkt groß, bei der Einlösung hakte es aber in den entscheidenden Momenten. Lippert mischte oft vorne mit, gewann allerdings nur selten. Mit Platz drei beim Amstel Gold Race und Brabantse Pijl überzeugte sie 2022 bei den Klassikern und kämpfte mit Cecilie Uttrup Ludwig im Sommer um den Sieg bei der Tour of Scandinavia, die sie schließlich mit 17 Sekunden Rückstand auf Platz zwei beendete. Außerdem verpasste sie bei der Straßenweltmeisterschaft in Wollongong mit Platz vier in der engen Sprintentscheidung eine Medaille. Immer gut, aber immer knapp am Durchbruch vorbei, so häufig die Erkenntnis für Liane Lippert. Ihre einzigen Siege in den vergangenen drei Jahren waren die Deutschen Meistertitel 2022 und 2023 in Winterberg und Bad Dürrheim. Denn trotz ihrer Klasse fehlte gelegentlich im Finale das richtige Gespür für die Rennsituation. In Mauriac bei der Tour de France Femmes passte ihr Timing.

Zum Radsport brachte Lippert ihr Vater, der Jugendtrainer beim RSV Seerose Friedrichshafen ist, und sie mit acht Jahren zu einem Mountainbike-Rennen motivierte. Lippert landete zwar auf dem letzten Platz, hatte aber ihren Spaß an der Sportart gefunden. Ihr erstes eigenes Rad war ein “uraltes Peugeot-Stahlrad mit Rahmenschaltung. Es war mir zu groß, aber das war egal. Ich bin von da an jeden Tag aufs Rad gestiegen”, wie Lippert 2021 im TOUR-Interview berichtet.

In der Saison 2023 neuer Impuls beim Team Movistar

Die Saison 2016 ebnete dann ihren Weg zu den Profis: Zunächst gewann Lippert im Trikot der Nationalmannschaft als 22. im Klassement die Nachwuchswertung der Thüringen-Rundfahrt, zwei Monate später sicherte sie sich im französischen Plumelec den Straßen-Europameistertitel bei den Juniorinnen. Zahlreiche Profiteams wollten sie daraufhin für 2017 unter Vertrag nehmen, die damalige Berufssoldatin entschied sich für das Team Sunweb. Sechs Jahre blieb sie bei der niederländischen Mannschaft.

Für 2023 ging Lippert dann neue Wege, wechselte erstmals das Team und schloss sich der spanischen Equipe Movistar an. Es ist die Mannschaft der Niederländerin Annemiek van Vleuten, die seit Jahren den Frauen-Radsport dominiert, am Saisonende ihre Karriere jedoch beendet. Für Lippert bedeutet das: Lernen von der Besten. Nicht wenige sehen sie zudem als teaminterne Nachfolgerin. “Wenn sie geht, werde ich bestimmt automatisch ein bisschen in ihre Rolle schlüpfen bei den Rundfahrten. Ich denke aber, dass mein Fokus weiter auf den Klassikern liegen wird”, sagt Lippert im TOUR-Interview, und fügt an: “Ich will meine Spritzigkeit und meine Sprintstärke nicht verlieren. Deswegen müssen wir gucken, wie wir mit dem Team einen guten Weg finden, um beides – Klassiker und Rundfahrten – zu kombinieren.” Immerhin verhalfen ihr diese Qualitäten, die Spritzigkeit am Berg und die Endschnelligkeit, nun zum Etappensieg bei der Tour de France Femmes.

Annemiek Van Vleuten (rechts) freut sich über den Etappensieg von Liane Lippert.Foto: Getty VeloAnnemiek Van Vleuten (rechts) freut sich über den Etappensieg von Liane Lippert.

In Frankreich ist sie dieses Jahr als Edelhelferin für van Vleuten eingeplant, damit die Niederländerin ihren zweiten Gesamtsieg bei der Tour de France der Frauen holt. Aber auch ihre Teamkapitänin unterstrich nach der Etappe in Mauriac, wie wichtig der Sieg für Lippert sein kann: “Ich wusste, dass sie sehr stark ist. Und manchmal muss man auf den richtigen Moment warten, nur ein einziges Mal. Aber wenn man einmal anfängt zu gewinnen, hört man nicht mehr auf. Das ist sicher gut für das Selbstvertrauen, auch, um noch mehr zu erreichen.”



Liane Lippert: “Das nächste Ziel ist, die Klassiker zu gewinnen”

Dieses “mehr erreichen” liegt für Lippert allerdings zuerst bei den Klassikern. “Wir sind unterschiedliche Fahrerinnen. Ich habe mehr Punch, Annemiek ist dafür mehr für die längeren Anstiege gemacht. Ich kann zwar klettern, aber ich bin keine Klassementfahrerin”, so die 25-Jährige. Die Premiere der Tour de France Femmes im Vorjahr beendete Lippert auf Rang 16, die gleiche Platzierung erreichte sie vor wenigen Wochen als Helferin beim Gesamtsieg von van Vleuten beim Giro d’Italia Donne. Ihr primäres Vorhaben: “Mein nächstes Ziel ist es, die Klassiker zu gewinnen.”

Sollte ihr das gelingen, bekommt das Klassement der großen Rundfahrten womöglich irgendwann aber doch seinen Reiz für Lippert. Ansätze dafür bringt sie mit, auch wenn ihr bei langen Anstiegen noch einiges zu den Topleuten fehlt. Bei Movistar scheint sie aber im richtigen Team für den nächsten Schritt. Unabhängig von ihrer künftigen Ausrichtung ist Lippert eine Leistung nicht mehr zu nehmen: Sie geht als erste deutsche Etappensiegerin der Tour de France Femmes in die Radsport-Geschichte ein.

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