Tom Mustroph
· 04.03.2023
Geld aus den Golfstaaten verändert den Sport, das war bei der Fußball-WM in Katar jüngst ausführlich zu beobachten. Der Radsport steht international nicht so im Blickpunkt, muss sich den Herausforderungen aber auch stellen – und tut das mehr schlecht als recht.
An Bilder von Radprofis vor Sanddünen, Kamelen und glitzernden Wolkenkratzerfassaden hat man sich gewöhnt. Die Rennen in der Golf-Region sind im Januar und Februar für viele Profis willkommene Gelegenheit, in der Wärme erste Wettkampfkilometer zu sammeln – Kost und Logis in einigen der luxuriösesten Hotels der Welt inklusive.
Auch der einstige belgische Klassikerkönig Tom Boonen legte die Grundlage für seine Erfolge bei den Eintagesrennen im April gerne bei der 2002 erstmals ausgetragenen Katar-Rundfahrt. Ab 2009 fand auch ein Frauenrennen statt, das bei den Teilnehmerinnen beliebt war. “Das Rennen knüpft an das der Männer an und gibt uns das Gefühl dazuzugehören”, sagte etwa die inzwischen zurückgetretene deutsche Profifahrerin Lisa Brennauer.
Auch ihre Landsfrau Trixi Worrack, 2016 letzte Siegerin der Rundfahrt, war damals voll des Lobes: “Als wir uns in den ersten Jahren auf dem Parkplatz umzogen, ernteten wir schon erstaunte Blicke. Jetzt hat sich das normalisiert.” An böse Szenen, zornige Männer etwa, die ihnen Sittenwidrigkeit vorgeworfen hätten, konnte sich Worrack nicht erinnern. Freilich dürfte die mit einer Frau zusammenlebende Radsportlerin auch nicht ausgetestet haben, wie weit für sie die landesüblichen Gesetze gelten, die Homosexualität unter Strafe stellen.
Die Katar-Rundfahrt leitete eine ganze Welle von Radsport-Investitionen der Golfstaaten ein: 2010 kam die Tour of Oman hinzu, 2014 Dubai-Tour, 2019 folgte die UAE Tour, 2020 die Saudi-Tour. Die Rennen in den Emiraten werden vom Giro-d’Italia-Veranstalter RCS ausgerichtet, während Tour-de-France-Veranstalter ASO in Katar, Oman und Saudi-Arabien agiert.
Seit 2017 finanziert Bahrain auf Initiative des Kronprinzen Nasser bin Hamad Al Khalifa den Rennstall Bahrain-Victorious. Ebenfalls 2017 entstand die Equipe UAE Team Emirates. Sie lag im Budget-Ranking der Rennställe im Jahr 2021 laut Statista.com mit umgerechnet 35 Millionen Euro auf Platz zwei, hinter Ineos Grenadiers mit 50 Millionen Euro. Bahrain-Victorious belegte Platz zehn mit 18 Millionen Euro; das gleiche Budget weist das Ranking dem deutschen Team Bora-Hansgrohe zu.
In der vom britischen Global Change Data Lab, einer Non-Profit-Bildungsorganisation, herausgegebenen Liste, die die weltweite Situation der Menschenrechte dokumentiert, sieht die Bilanz der Golfstaaten komplett anders aus. Unter 192 Nationen hat Oman Platz 137 inne, Katar Rang 161, die UAE rangieren an 165. Stelle, Bahrain auf 173, Saudi-Arabien auf Rang 187.
Gründe für die schlechten Bewertungen sind unter anderem die an Sklaverei erinnernden Arbeitsbedingungen von migrantischen Arbeitern, die im Falle Katars im Rahmen der Fußball-WM größere Aufmerksamkeit erhielten. Sie sind auch in anderen Ländern der Region anzutreffen. Auch die strukturellen Benachteiligungen von Frauen spielen eine Rolle. In Saudi-Arabien kommt der Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi durch mutmaßliche Vertraute des Kronprinzen Mohammed bin Salman hinzu, dem starken Mann hinter der Sportoffensive des Königreichs.
Bahrain steht spätestens seit der brutalen Niederschlagung der Demonstrationen während des arabischen Frühlings 2011 als repressives Regime in der Kritik. Nach Aussagen von Folteropfern spielte Kronprinz Nasser dabei eine aktive Rolle. “Prinz Nasser wirft Geld in den internationalen Radsport, um sich von seiner Vergangenheit in Bahrain reinzuwaschen. Es ist die Pflicht der UCI, dem Bahrain-Rennstall die World-Tour-Lizenz zu verweigern!”, forderte etwa Sayed Ahmed Alwadaei, der Direktor des Bahrain Institute for Rights and Democracy. Obgleich die UCI mit Artikel 6.1 ihres Ethikcodes alle Lizenzhalter zur Wahrung der Menschenwürde verpflichtet, wurde dem Rennstall die Lizenz zugesprochen.
Die Vereinigten Arabischen Emirate schließlich stehen auch wegen der Praxis am Pranger, aufmüpfige Prinzessinnen zu entführen und zu internieren. Im Jahr 2000 wurde Prinzessin Shamsa, Tochter des Premierministers der Vereinigten Arabischen Emirate, nach ihrer Flucht von Dubai nach London zurück in die Emirate entführt. 2018 geschah das Gleiche ihrer Schwester Latifa. Wie Hohn klingt in diesem Zusammenhang, dass die Frauen-Equipe von UAE Team Emirates damit wirbt, Frauen durch den Radsport zu Heldinnen zu ermächtigen. Im Radsport wurden die neuen Geldgeber mit offenen Armen empfangen.
Verbände und Veranstalter sollten sich verpflichten, die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte anzuwenden. (Sylvia Schenk, Tranparency International Deutschland)
Die Petro-Dollars aus Bahrain führten zur Neugründung des Teams Bahrain-Merida, das seit 2021 unter Bahrain-Victorious firmiert. Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten sicherte dem früheren Team Lampre das Überleben als UAE Team Emirates. Das australische Team Jayco-AlUla profitiert aktuell vom Geld des saudi-arabischen Co-Sponsors AlUla, einem Tourismus-Projekt, das auch die Saudi-Tour 2022 mitfinanzierte. Saudisches Geld landet dank eines Vertrags mit dem dortigen Radsportverband auch bei Team Movistar.
Giro-Ausrichter RCS nahm allein mit der Erstausrichtung der Dubai-Tour im Jahr 2014 rund 4,5 Millionen Euro ein und damit mehr Geld als beim Start des Giro d’Italia im gleichen Jahr in Belfast (3,1 Millionen Euro). Von der ASO gibt es keine Zahlen. Aber solange die Katar-Rundfahrt gemeinsam mit Radsportlegende Eddy Merckx ausgerichtet wurde, floss Geld in solchen Mengen, dass selbst Journalisten, darunter auch der Autor, in Luxushotels untergebracht wurden, die weit über dem Reisebudget von Medienvertretern lagen.
Allerdings entstehen mit den neuen Geldgebern auch neue Risiken. Nach der umstrittenen UCI-WM 2016 in Doha versiegte der katarische Geldfluss abrupt. Die Katar-Rundfahrt gab es einfach nicht mehr. “Wir erhielten keinerlei Informationen über die Gründe”, erzählt Ronny Lauke, Rennstallchef von Canyon-SRAM. “Ich vermute, dass sie mit der Weltmeisterschaft ihren Höhepunkt erreicht und den Radsport medial ausgequetscht hatten. Sie waren auch angefressen wegen der damals schon negativen Stimmung aufgrund mangelnder Sicherheit auf den Straßen und wenig Zuschauern”, erinnert sich Lauke. Sein Fazit: “Das ist alles völlig unberechenbar.”
Zudem beeinflussen die Petro-Dollars die Strukturen im Radsport. “Man muss aufpassen, dass in der World-Tour keine Zweiklassengesellschaft entsteht”, warnt Ralph Denk, der Teamchef von Bora-Hansgrohe. Die Möglichkeiten der Mannschaften mit Geld aus den Golf-Staaten sind so beträchtlich, dass sie die besten Kader zusammenkaufen können, während angestammten Radsport-Sponsoren aus dem Mittelstand finanziell die Puste ausgeht. Deshalb fordert Denk eine Budget-Obergrenze von 25 bis 30 Millionen Euro. Auch Lauke hält für den Frauenradsport eine Budget-Grenze perspektivisch für sinnvoll. “Sonst haben wir Mittelstand gegen Königshäuser”, meint er trocken.
Es muss jeder selbst entscheiden, zu welchen Rennen er fährt. Wenn man anreist, muss man die Gegebenheiten in solchen Ländern respektieren. (Ralph Denk, Teamchef von Bora)
Angesprochen auf die katastrophalen Menschenrechtsbilanzen vieler Golfstaaten, die in den Radsport investieren, halten sich die deutschen Team-Chefs aber merklich zurück. Lauke weist auf die “300, 400 Menschen, die arbeitslos” würden hin, sollten sich die Rennstall-Sponsoren zurückziehen. Denk sagt: “Es muss jeder selbst entscheiden, zu welchen Rennen er fährt. Und wenn man anreist in solche Länder, muss man eben die Gegebenheiten vor Ort respektieren. Will man beim Nachbar bleiben und der verlangt, dass man Hausschuhe anzieht, zieht man die Hausschuhe an.”
Die wichtigen Entscheidungen und Weichenstellungen in diesem Zusammenhang müssten nach Meinung des Bora-Chefs ohnehin zu einem früheren Zeitpunkt und an anderer Stelle getroffen werden – nämlich dann, wenn darüber entschieden wird, welche Länder internationale UCI-Wettkämpfe ausrichten dürfen. “Verbände und Veranstalter sollten sich verpflichten, die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte anzuwenden und ein Menschenrechtskonzept zu entwickeln”, fordert daher auch Sylvia Schenk, die frühere Präsidentin des Bund Deutscher Radfahrer und seit neun Jahren Leiterin der Arbeitsgruppe Sport von Transparency International Deutschland.
Diese Leitprinzipien der Vereinten Nationen (UNLP) wurden 2011 als Grundlage für die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen festgelegt. Sie sind auch Grundlage des deutschen Lieferkettengesetzes. Einzelne Sportverbände wie UEFA, FIFA und IOC haben laut Schenk diese UNLP bereits in ihre Bewerbungskriterien für Großveranstaltungen aufgenommen.
Im internationalen Radsport allerdings ist bisher nichts dergleichen passiert. Die Weltmeisterschaften 2025 wurden an Ruanda vergeben. Das zentralafrikanische Land, nach wie vor von Hungersnöten bedroht, rangiert auf Platz 172 in der Menschenrechtsliste, eine Position vor Bahrain. Sieben Millionen Euro gehen als Lizenzgebühr an die UCI.
Sportswashing ist eigentlich nur ein neuer Name für altes Tun: Schon viele Ausrichterstaaten sportlicher Großveranstaltungen wollten das eigene Ansehen in der Welt über das positive Image des Sports reinwaschen. Das war so bei den Olympischen Spielen 1936 im nationalsozialistischen Deutschland, der Fußball-WM 1934 im faschistischen Italien oder der WM 1978 im von einer Militärdiktatur beherrschten Argentinien.
Seit den 2000er-Jahren nutzen vor allem Russland, China und die Öl-Staaten des Nahen Ostens den Sport, um von Menschenrechtsverletzungen und autokratischen Strukturen abzulenken. Sportswashing kann man nicht nur über die Veranstaltung von Großereignissen betreiben, die Kritik richtet sich auch an Investments wie die Übernahme des Fußballklubs Paris Saint-Germain durch den katarischen Staatsfonds, des Premier-League-Klubs Newcastle United durch saudische Finanziers oder die Finanzierung von Rennställen im Straßenradsport wie Bahrain Victorious, UAE-Emirates und Astana durch staatliche oder staatsnahe Akteure.
Sportswashing lehnt sich an den Begriff Greenwashing an – den Versuch von Unternehmen wie Staaten, sich ein grüneres, nachhaltigeres Image zuzulegen. Die Grenzen zwischen Sportswashing, Greenwashing und traditionellem Sportsponsoring sind fließend. Sportsponsoring verfolgt schließlich seit jeher das Ziel, ein positives Image zu schaffen und potenzielle Konsumenten zu erreichen. Sportswashing kann im politischen Kontext auch als Soft-Power-Strategie bezeichnet werden.
Den Begriff hat 1990 der Politikwissenschaftler Joseph Nye geprägt; er beschreibt die Absicht, die eigene Position in der Welt nicht durch Kriege – Hard Power –, sondern durch weichere Formen der Machtausübung und Einflussnahme zu verbessern. Sportevents können dafür sowohl außen- wie innenpolitisch zur Imagepflege genutzt werden. In Katar, den UAE und Saudi-Arabien sind die Aktivitäten im Weltsport allesamt in derartige Soft-Power-Programme integriert.
Soft Power und Hard Power schließen sich nicht aus, das zeigt die fortgesetzte Aggression Russlands gegen die Ukraine seit 2014, die auf die Olympischen Winterspiele 2014 und die Fußball-WM 2018 in Russland keinerlei Auswirkungen hatte. Auch die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi durch Vertraute des saudischen Kronprinzen, dem starken Mann hinter der Sportoffensive seines Landes, blieb im internationalen Sportbetrieb bisher folgenlos.