BahnradsportZwischen Pech, Erfolg und einer starken Konkurrenz - ein Olympia-Rückblick

Jens Claussen

 · 16.09.2024

Schnelle Piste: Die Bahn im Vélodrome National war diesmal keine Erfolgsspur für den deutschen Frauen-Vierer
Foto: dpa/pa / Arne Mill
Mit großen Ambitionen waren die deutschen Athleten im Bahnradsport zu den Olympischen Spielen nach Paris gereist – doch die Bilanz fiel vergleichsweise bescheiden aus. Wie steht’s um die Ursachenforschung im Bund Deutscher Radfahrer?

Seien wir ehrlich: Die Erwartungen an die winzige deutsche Olympiaabordnung im Straßenradsport waren von vornherein gedämpft; mit mehr als Achtungserfolgen durfte man nicht rechnen, von einem Zufallscoup allenfalls im stillen Kämmerlein träumen. Die Bahnradsportler des Bund Deutscher Radfahrer hingegen reisten als Mitfavoriten nach Paris.

Das 14-köpfige Aufgebot schöpfte das Startplatzkontingent voll aus; die aktuellen Weltmeisterinnen im Teamsprint, Pauline Grabosch, Emma Hinze und Lea Sophie Friedrich, sowie die Europameister im Madison, Roger Kluge und Theo Reinhardt, waren als Medaillenlieferanten fest eingeplant. Der Bahn-Vierer der Frauen, in Tokio 2021 Olympiasieger, hatte, auch in TOUR, das Ziel ausgegeben, mindestens auf dem Podium stehen zu wollen.



Bahnradsport: Wenig Wertschätzung für Top-Leistung?

Der Auftakt, der Teamsprint der Frauen, verlief verheißungsvoll. Das deutsche Trio musste sich lediglich den späteren Olympiasiegerinnen aus Neuseeland sowie dem Team aus Großbritannien geschlagen geben. Gleich fünf neue Weltrekorde wurden im Verlauf des Wettbewerbs aufgestellt, einer auch von den deutschen Frauen.

Dementsprechend euphorisch äußerte sich Pauline Grabosch nach ihrem Olympiadebüt über die gewonnene Bronzemedaille. “Der Teamsprint war ein sehr enger Wettbewerb und am Ende ein richtiger Showdown um die Medaillenvergabe. Wir sind megastolz auf Bronze.” Dennoch fügte sie an: “Als unfair hingegen empfinde ich die Berichterstattung. Einige Medienvertreter sprachen von Bronze als ‚Trostpreis‘. Da fehlt mir eindeutig die Wertschätzung für unsere Leistung und den Gewinn einer olympischen Medaille.”

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Bronze-Trio: Lea Sophie Friedrich, Emma Hinze und Pauline Grabosch (von links) behaupteten sich als Dritte im Teamsprint in der Weltspitze.Foto: dpa/pa / Karl-Josef HildenbrandBronze-Trio: Lea Sophie Friedrich, Emma Hinze und Pauline Grabosch (von links) behaupteten sich als Dritte im Teamsprint in der Weltspitze.

Finale Ernüchterung

Nach dem gelungenen Auftakt rollte der Frauenvierer in der Teamverfolgung mit viel Selbstbewusstsein an die Startlinie – doch am Ende des Turniers machte sich Ernüchterung breit bei Bundestrainer André Korff und seinen Schützlingen. Zwar fuhr die Formation – nach dem Ausscheiden von Lisa Brennauer aus dem Vierer von Tokio in geänderter Besetzung – in den Qualifikationsrunden so schnell wie noch nie; mit einer Zeit von 4:07.908 Minuten über die 4000 Meter fehlten aber satte dreieinhalb Sekunden auf das spätere Siegerquartett aus den USA.

Im Bahnradsport sind das Lichtjahre – ein Abstand, der Franziska Brauße, Lisa Klein, Laura Süßemilch und Mieke Kröger in der Endabrechnung auf einen sechsten Platz spülte. “Wir waren auf den Punkt gut vorbereitet, sind in Paris in dieser Konstellation so schnell gefahren wie noch nie, hatten dann aber auch etwas Pech. Ich hatte zwei Wochen vor dem Wettkampf noch Corona, Laura ist im Training gestürzt. Sicher nicht optimal, um dann das Maximum abrufen zu können. Zudem haben wir nicht damit gerechnet, dass andere Nationen so schnell fahren können”, resümiert Brauße, die als Vielstarterin auch noch im Madison und Omnium auf der Bahn stand.

Bahnradsport: Die Bahn im Vélodrome National war diesmal keine Erfolgsspur für den deutschen Frauen-ViererFoto: dpa/pa / Arne MillBahnradsport: Die Bahn im Vélodrome National war diesmal keine Erfolgsspur für den deutschen Frauen-Vierer

Die Konkurrenz enteilt

Bei den Männern haben die Athleten in den Sprintdisziplinen schon seit einiger Zeit Mühe, den Anschluss an die Konkurrenz aus den führenden Nationen wie den Niederlanden und Australien zu halten. In den Ausdauerwettbewerben hingegen waren die Erwartungen vor Olympia auch im Verband deutlich gestiegen. Herrenbundestrainer Sven Meyer hatte den Vierer für die Mannschaftsverfolgung bewusst taktisch aufgestellt und die Routiniers Roger Kluge und Theo Reinhardt nominiert, denn die olympischen Nominierungskriterien sahen vor, dass die Teilnehmer der Massenstartrennen auch den Vierer in der Teamverfolgung besetzen mussten.

Das deutsche Team mit Kluge, Reinhardt, Tobias Buck-Gramcko und Tim Torn Teutenberg belegte auf diese Weise Platz neun in der Qualifikation und verpasste den Einzug in die nächste Runde. Der eigentliche Plan aber lautete: “Eine Medaille der beiden im Madison war auf jeden Fall möglich und auch unser Ziel”, so der Bundestrainer.

Sturzpech

Nach dem heftigen Sturz von Theo Reinhardt schon in der 20. von 200 Runden war der Plan freilich hinfällig. Reinhardt kam unverschuldet zu Fall, weil ein neuseeländischer Fahrer gegen jede Regel im Madison bei einer Ablösung links überholte. Kluge musste daraufhin erst einmal alleine weiterfahren, um das Team im Rennen zu halten. Mehr als Platz fünf war für das deutsche Duo unter diesen Umständen nicht drin.

Bahnradsport: Theo Reinhardt (links) und Roger Kluge gingen als Mitfavoriten ins Madison. Ein Sturz zerstörte die Medaillenhoffnungen.Foto: dpa/pa / Agustin MarcarianBahnradsport: Theo Reinhardt (links) und Roger Kluge gingen als Mitfavoriten ins Madison. Ein Sturz zerstörte die Medaillenhoffnungen.

“Das Ergebnis ist enttäuschend für uns”, konstatierte der Bundestrainer. “Die beiden Jungs haben das letzte Jahr extrem hart gearbeitet und waren auch gut drauf. Der Schritt nach vorne, gerade in ihrem Alter, war noch mal deutlich erkennbar, und wir haben aus unseren Ressourcen das Bestmögliche herausgeholt. Ich habe Theo noch nie so schlimm stürzen sehen. Wenn das Rennen durch Fremdverschulden so stark beeinflusst wird, ist das extrem bitter. Aber wir wussten vorher, dass bei gleicher Tagesform Platz eins bis acht in so einem engen Wettbewerb herausspringen kann. Das ist eben Madison.”

Roger und Theo haben extrem hart gearbeitet. Der Schritt nach vorne, gerade in ihrem Alter, war noch mal deutlich erkennbar. - Sven Meyer, Bundestrainer

Bahnradsport bei Olympia: Versöhnliches Ende

Auch wenn die nach dem Traumstart der Teamsprinterinnen geschürten Erwartungen weitgehend unerfüllt blieben, schloss sich der Kreis am letzten olympischen Wettkampftag auf versöhnliche Weise. Die 24-jährige Lea Sophie Friedrich fuhr im Einzelsprint zwischenzeitlichen Weltrekord und krönte wenig später ihre Olympiateilnahme mit der Silbermedaille. Damit avancierte die Cottbuserin zur erfolgreichsten Athletin des Bund Deutscher Radfahrer in Paris. Für den 38 Jahre alten Roger Kluge und den 33-jährigen Theo Reinhardt könnten die Spiele in Paris möglicherweise ihr letzter olympischer Auftritt gewesen sein, beide befinden sich im Herbst ihrer Karriere. An ihre Stelle werden vermutlich Jüngere treten.

Starkes Finale: Lea Sophie Friedrich (rechts) gewann im Sprint die Silbermedaille hinter der Neuseeländerin Ellesse AndrewsFoto: Getty Images / Tim de WaeleStarkes Finale: Lea Sophie Friedrich (rechts) gewann im Sprint die Silbermedaille hinter der Neuseeländerin Ellesse Andrews

Wie aber reagiert der BDR auf die Pariser Tatsachen und die Erkenntnis, dass der deutsche Bahnradsport als Ganzes Gefahr läuft, international den Anschluss zu verlieren? Sportdirektor Patrick Moster ließ nach den Spielen über den Pressedienst des Verbandes verbreiten, man sei mit einem blauen Auge davongekommen, aber: “Wenn sich die Rahmenbedingungen im deutschen Spitzensport nicht verbessern, werden wir uns künftig im breiten Mittelmaß wiederfinden. Wir können schon jetzt mit anderen Nationen nicht mehr mithalten, weil die Fördergelder zu niedrig sind.”

Bahnradsport: Silbergewinnerin Lea Sophie FriedrichFoto: Getty Images / Emmanuel DunandBahnradsport: Silbergewinnerin Lea Sophie Friedrich

Damit stimmt er ein in den Chor der vielen, die nach Olympia – und nicht nur im Radsportverband – die Sportförderung in Deutschland insgesamt kritisierten. Es wäre aber auch interessant gewesen zu erfahren, ob und an welchen Stellen die Funktionäre des nationalen Spitzenverbandes Potenzial zur Verbesserung in den eigenen Reihen sehen.


Interview mit Mieke Kröger: “Aktuell können wir nicht schneller”

Mieke Kröger erlebte in Paris ihre dritten Olympischen Spiele und ist eine Konstante im Team der Mannschaftsverfolgung auf der Bahn. Im Interview erläutert sie, warum es nach dem Olympiasieg in Tokio vor drei Jahren diesmal nicht mit dem Gewinn einer Medaille geklappt hat.

Mieke Kröger erlebte in Paris ihre dritten Olympischen Spiele und ist eine Konstante im Team der Mannschaftsverfolgung auf der Bahn.Foto: dpa/paMieke Kröger erlebte in Paris ihre dritten Olympischen Spiele und ist eine Konstante im Team der Mannschaftsverfolgung auf der Bahn.

TOUR: Nach dem Olympiasieg in Tokio haben Sie mit dem Vierer bei der Teamverfolgung in Paris Rang sechs belegt. Wie fällt Ihr persönliches Fazit aus?

Mieke Kröger: Für mich persönlich kann ich sagen, dass ich dreimal alles gegeben habe, mit jeweils fünf Runden in der Führung. Das war sicherlich eine Challenge, aber dieser Verantwortung musste ich mich einfach stellen.

TOUR: Waren Ihre langen Führungen so gar nicht geplant?

Mieke Kröger: Wir waren in unserer Taktik, die in Tokio noch sehr erfolgreich war, diesmal etwas eingeschränkt. Eigentlich war geplant, dass Laura Süßemilch auf der dritten Position zwei Führungen übernimmt. In den Trainingstagen vorher war aber absehbar, dass das im Rennen nicht funktionieren würde. Also mussten Franzi Brauße und ich längere Führungen fahren, die Arbeit war dadurch ungleicher verteilt als ursprünglich geplant.

Gründe für die verpasste Medaille

TOUR: Ist das einer der Gründe, warum letztlich knapp vier Sekunden auf eine Medaille gefehlt haben?

Mieke Kröger: Ja, klar. Die Nationen, die auf dem Podium waren, sind deutlich ausgeglichener besetzt als wir. Wir können in der aktuellen Konstellation einfach nicht schneller fahren. Das muss ich akzeptieren, auch wenn ich mir sicherlich mehr als Platz sechs gewünscht habe. Wenn wir um eine Medaille hätten fahren wollen, hätten wir zwei Zehntel pro Runde schneller fahren müssen. Dazu braucht es definitiv eine zweite Führung auf der Drei. Lisa Klein hat die Herausforderung, auf der Zwei zu fahren, mit Bravour angenommen und auch geliefert. Aber eine Lisa Brennauer auf dieser Position kann eben nur eine Lisa Brennauer ersetzen. Das zu kompensieren, ist aber Aufgabe des gesamten Vierers!

TOUR: Laura Süßemilch wurde im Rennen um Platz fünf von Lena Reißner ersetzt. War es rückblickend ein Fehler, nicht von Beginn an auf Reißner zu setzen?

Mieke Kröger: Es war in den Monaten zuvor im Training nicht absehbar, dass Laura in der Qualifikation und Runde eins nur eine Führung übernehmen kann. Im Training schien sie stärker als Lena. Lena hat aber jetzt nochmals gezeigt, dass sie ein Wettkampftyp ist und auf den Punkt abliefern kann. Das macht uns für die Zukunft stärker.

Blick auf Olympia 2028

TOUR: Paris waren Ihre dritten Olympischen Spiele. Werden wir Sie in vier Jahren in Los Angeles wieder im Frauen-Vierer sehen?

Mieke Kröger: So lange Zeit im Voraus zu planen, ist schwierig, aber ich habe definitiv noch Lust, weiterzumachen. Allerdings sehe ich mich nicht mehr in einem Profi-Straßenteam. Die Vorbereitung auf Paris hat mir bestätigt, dass es für mich stressfreier und auch leistungsfördernder ist, mich auf Bahn-Highlights ohne Straßenrennen vorzubereiten. Neben meiner Tätigkeit bei der Bundeswehr kann ich mir zudem gut vorstellen, zukünftig Langzeitpraktika im handwerklichen Bereich zu absolvieren. Die könnten mir dann bestenfalls für eine Ausbildung nach meiner Karriere angerechnet werden. Und eines steht für mich fest: Ich werde den ganzen Aufwand sicher nicht noch einmal betreiben, um in Los Angeles um die Plätze fünf bis sechs zu fahren!

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