Die neuen Offroad-Gruppen von Shimano und SRAM sind besser auf die Bedürfnisse von Gravelbikern abgestimmt als je zuvor. Mit sinnvollen Übersetzungen, einfacher Bedienung und gelungener Ergonomie überzeugen sie Einsteiger wie Vielfahrer gleichermaßen – und folgen dennoch komplett unterschiedlichen Konzepten. Shimanos mechanische GRX bietet mit der Zweifach-Kurbel ein breites und fein abgestuftes Getriebe, das vor allem Renn- und Reiseradler anspricht. Die elektronische SRAM Apex AXS punktet mit einfacher Bedienung sowie unkomplizierten und präzisen Gangwechseln in jeder Situation.
Wer im Sommer mal darauf geachtet hat, wie viele Rennlenker inzwischen den Stadtverkehr und touristische Radwege bevölkern, kann ungefähr erahnen, welches Potenzial im Markt bezahlbarer Gravelbikes steckt. Zu den größten Profiteuren des Booms dürften die Komponentenhersteller zählen, die sämtliche Antriebe, Schaltungen und Bremsen liefern, denn dieses Geschäft verteilt sich auf nur wenige Anbieter. Genau genommen sind es zwei – wenn man den italienischen Hersteller Campagnolo außen vor lässt, der mit seiner High-End-Gruppe Ekar kaum Anteile am Massenmarkt hat.
Shimano aus Japan und der US-amerikanische Konkurrent SRAM prägen das Erscheinungsbild des Gravelbikes maßgeblich, indem sie betont sportliche, aber auch für Freizeit- und unerfahrene Radler und Radlerinnen maßgeschneiderte Komponenten anbieten. SRAM tummelte sich bislang eher im oberen Preisbereich, während Shimano auch Komponenten für günstigere Bikes anbot. Doch mit den neuen Teilen buhlen beide zunehmend um die gleiche Zielgruppe.
Fast gleichzeitig präsentieren Shimano und SRAM nun Produkte, die gezielt für preiswerte Räder konzipiert sind, auf dem Papier aber dennoch mit High-End-Technik punkten. SRAM belebt dafür die frühere Rennrad-Gruppe Apex wieder und macht sie zum spezialisierten Antrieb fürs Gelände. Shimano setzt seine Erfahrungen mit der populären GRX, der ersten erklärten Gravel-Gruppe überhaupt, in einer zweiten Generation um. Von beiden haben wir uns die ersten testbaren Exemplare ins Haus geholt und auf ihre Stärken und Schwächen überprüft.
Interessant ist, dass die Konkurrenten auf den ersten Blick die Bedürfnisse der Zielgruppe auf ganz unterschiedliche Weise erfüllen wollen: SRAM sieht die Zukunft im Einfach-Kettenblatt und dem elektronisch gesteuerten Gangwechsel. Die Amerikaner machten Antriebe mit einem einzelnen Kettenblatt einst salonfähig, für die neue Apex gibt es nun gar keinen vorderen Umwerfer mehr. Die Gruppe ist die bislang preiswerteste Variante, eine Schaltung auf dem neuesten Stand der Technik zu fahren: elektronisch über Funk betätigt, mit zwölf Ritzeln am Hinterrad. Eine mechanische Variante der Apex gibt es seit September auch, doch der Fokus liegt bei SRAM klar auf der elektronischen AXS-Plattform.
Die zweite GRX-Generation von Shimano bekommt ebenfalls ein zwölftes Ritzel spendiert. Doch sie wird, wie an unserem Testrad von Arc8, bis auf Weiteres nur mit den gewohnten Schaltbremsgriffen und Bowdenzügen bedienbar sein. Eine elektronische Di2-Version, die es in der ersten Generation parallel gab, ist zum Marktstart nicht erhältlich. Der Zweifach-Antrieb mit Umwerfer dagegen ist am Gravelbike noch eine selbstverständliche Option – auch wenn Shimano das Angebot an Einfach-Übersetzungen jetzt deutlich ausgebaut hat. Zusätzlich zur getesteten GRX 820 gibt es eine preiswertere GRX 610, die auf einige technische Finessen verzichtet. Die Gruppen sind untereinander fast uneingeschränkt kompatibel und bilden eine Art Baukasten.
Optisch sieht bei Shimano alles aus wie gewohnt, fein poliertes, dunkel eloxiertes Alu bestimmt den Eindruck. Doch schon beim Erstkontakt mit den neuen GRX-Hebeln fällt auf, dass an deren Form gefeilt wurde. Die Bremshebel sind weit nach außen angestellt, extrem breit und bieten den Fingern eine satte Auflagefläche; von oben lassen sie sich wunderbar greifen, und man kann viel Kraft aufbauen. Die Auflagefläche auf den Griffgummis ist größer und bietet nun ein regelrechtes Tableau für die Hände.
Weniger auffällig ist, dass die Geometrie an die weiter ausgestellten Gravellenker angepasst wurde. Neigte sich die Handauflage bei solchen Bügeln bisher etwas nach innen, liegt sie nun waagrecht. Die recht scharfen Konturen auf dem Griffgummi, die auf ruppigen Passagen mehr Halt bieten sollen, könnten empfindliche Handballen auf Dauer allerdings reizen, sofern man häufig ohne Handschuhe fährt. Die Neuerungen betreffen nur die GRX 820, die preiswerteren GRX-610-Hebel bleiben auf dem bisherigen Stand.
Die SRAM-Griffe sind schlanker und runder, sie passen auch kleinen Händen. Auch die Bremshebel sind breit, vorne abgeflacht und prima erreichbar, die riesigen Schaltknöpfe sowieso. Einen haptischen Unterschied zu den teuren Gruppen spürt man nicht. Optisch ist die Apex der darüber angesiedelten Rival sehr ähnlich, die massive Kurbel ist fast identisch. Gespart wird an kaum sichtbaren Dingen, wie gestanzten statt geschmiedeten Bremshebeln, etwas mehr Plastik statt Metall am Schaltwerk oder Gleit- statt Kugellagern in den Schaltröllchen.
Im Sattel überzeugt die Apex vor allem mit präzisen Gangwechseln auf Knopfdruck. Spielerisch klickt man durchs Getriebe, drückt man links, wird’s leichter, rechts schwerer, einfacher und intuitiver geht’s nicht. Unser von SRAM aufgebautes Canyon Grizl ist mit einer sinnvoll abgestuften 11–44-Kassette bestückt, die mit der Apex neu auf den Markt kommt – sie passt im Gegensatz zu den bisherigen Gravel-Kassetten mit Zehner-Anfangsritzel auch auf ältere Laufräder mit Shimano-HG-Elffach-Freilauf.
Da auch andere SRAM-Kettenblätter kompatibel sind, lässt sich die Apex ohne großen Aufwand an jedes Leistungsniveau anpassen. Sportliche Ansprüche erfüllt die 10–36-Kassette der Rival-Gruppe, sie benötigt jedoch Laufräder mit SRAM-XDR-Freilauf. Wer extreme Gänge braucht, kann die Apex (sowohl elektrisch als auch mechanisch) problemlos mit Eagle-MTB-Kassetten (z. B. 11–52 Zähne) kombinieren, braucht dafür aber ein MTB-Schaltwerk. Die Bremsen unterscheidet in der Leistung nichts von den teureren Modellen, sie packen berechenbar zu, auch damit kann jeder Anfänger umgehen.
Etwas mehr Konzentration, besonders bei Fahrten im anspruchsvollen Gelände, erfordert die mechanische GRX, denn ihre Kette reagiert sensibel auf die Befehle am leichtgängigen Schalthebel. Die menschliche Hand funktioniert weniger präzise als elektronische Stellmotoren, was sich beim geringeren Ritzelabstand des Zwölfer-Pakets offenbar bemerkbar macht: Beim Wechsel auf größere Ritzel streift die Kette schon den übernächsten Zahnkranz, bevor der Hebel wieder losgelassen wird. Ein echtes Problem ist das aber nicht, die Gänge rasten sauber ein.
Die 11–34-Kassette ist sehr fein abgestuft, das macht besonders in flachem bis welligem Terrain Spaß. Dafür muss an steileren Anstiegen der Umwerfer einbezogen werden; Shimano-typisch arbeitet der aber leicht und zuverlässig. Bringt man die Erfahrung mit, die 24 Gänge sinnvoll zu nutzen, macht der Umwerfer auf einen Umstand aufmerksam, den wir an unserem Arc8-Testrad beobachten konnten. Er lässt offiziell Platz für bis zu 42 Millimeter breite Reifen; der montierte 45er-Pirelli-Pneu schleift im Wiegetritt am Wechsler. Mehr Platz bleibt mit Einfach-Kettenblatt, dem Shimano mittlerweile mehr Bedeutung beimisst. Es gibt Kettenblätter von 38 bis 42 Zähnen, die passenden Ritzelpakete stammen aus der Mountainbike-Gruppe XT mit 10–45 oder 10–51 Zähnen, benötigen jedoch einen speziellen Microspline-Freilauf.
Etwas verwirrend: Für die Einfach-Konfigurationen ist nicht nur ein eigenes Schaltwerk nötig; den beiden Ritzelpaketen sind auch unterschiedlich lange Schaltkäfige zugeordnet, einfach umbauen lässt sich die Übersetzung also nicht. Die neuen GRX-Bremsen sind nahezu unverändert; sie wirken spontan etwas weniger bissig als die SRAM-Stopper, mit zunehmender Handkraft übertrumpfen sie diese jedoch – ein Effekt der nicht linearen Bremskraftübersetzung, die allerdings nur die höherwertige GRX 820 bietet. An Scheiben und Belägen wurde nichts verändert.
Exakte Gewichtsvergleiche sind angesichts der vielen Versionen schwierig, doch dürften sich die Konkurrenten da nicht viel nehmen. Leicht sind beide nicht, je nach Ausführung summieren sich die Teile auf etwa 3000 Gramm. Die meisten damit ausgestatteten Bikes werden 8,5 bis 9 Kilogramm auf die Waage bringen.
Am Ende des Vergleichs überzeugen beide Gruppen, wenn auch mit leicht unterschiedlichen Stärken. Beide Hersteller bedienen Geländefahrer jeder Couleur, mit der breiten Palette von Übersetzungsvarianten lässt sich das Bike an jeden erdenklichen Einsatzzweck anpassen. Mit der Option auf zwei Kettenblätter und Verzicht auf Elektronik ist die GRX vor allem für Reiseradler und Pendler interessant. Shimano hat in der Vergangenheit bewiesen, dass auf die langlebigen und funktionalen Komponenten Verlass ist, mit diesem Ruf wird die GRX sicherlich ein Selbstläufer.
Die Apex von SRAM könnte für bestimmte Zielgruppen aber attraktiver sein. Sie besticht vor allem durch ihr simples Handling, und die AXS-Version versprüht eher den Charme von High-End-Technik. Vor allem Gravelbike-Neulinge könnten sich für die Apex entscheiden, sofern sie keine Berührungsängste mit der Elektronik haben. Sicher ist: Die beiden Komponenten-Ensembles werden Gravelbikes im Preisbereich zwischen 2000 und 4000 Euro ab dem Modelljahr 2024 prägen. In welcher Verteilung, darauf darf man gespannt sein.