Campagnolo Super RecordDas ist die teuerste Rennradschaltung der Welt

Jens Klötzer

 · 26.04.2024

Campagnolo Super Record: Die teuerste Rennradschaltung der Welt
Foto: Skyshot GmbH; Markus Greber
Eine gründlich überarbeitete Top-Gruppe soll der italienischen Komponentenschmiede Campagnolo aus der Krise helfen. Kann die jüngste Generation der legendären Campagnolo Super Record der übermächtigen Konkurrenz von Shimano und SRAM die Stirn bieten? TOUR hat die Gruppe intensiv ausprobiert.

Mit dem Sprung auf kabellos agierende Funkschaltungen bei SRAM und Shimano geriet der italienische Komponentenhersteller unter Zugzwang. Vor einem Jahr stellte Campagnolo seine Version einer Wireless-Schaltung vor; der Marktstart verlief schleppend, auf eine Testgruppe warteten wir lange vergeblich. Nun kommen die ersten Kompletträder mit der Gruppe auf den Markt, und wir hatten endlich Gelegenheit, die Komponenten intensiv zu fahren. Gut 600 Kilometer haben wir damit zurückgelegt, im bergigen Hinterland der Côte d’Azur, um Antrieb, Schaltung und Bremsen auf den Zahn zu fühlen.

Campagnolo Super Record: Zu teuer für großen Erfolg?

Ob es den Italienern mit der Neuerung gelingt, neue Trends zu setzen, ist eine der spannenden Fragen dieses Tests. Denn Erfolge hat Campagnolo dringend nötig. Dass die Italiener 2024 erstmals in ihrer Unternehmensgeschichte nicht mehr im Profisport vertreten sind – das letzte verbliebene Team Decathlon AG2R wechselte zur aktuellen Saison mit einem neuen Radsponsor auf Shimano-Schaltungen –, ist nur das jüngste Zeichen einer schon länger anhaltenden Entwicklung.

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Die Marktanteile des einstigen Branchenprimus schwinden seit Jahren. Mittlerweile sind Campagnolo-Räder eine Rarität, an Kompletträdern ist der Name kaum noch zu finden. Zwar konnten die Italiener mit der Gravelbike-Schaltung Ekar, die mit 13 Ritzeln und ohne Elektronik eine konkurrenzlose Alternative für Geländeräder ist, einen Achtungserfolg verbuchen. Wegen ihres hohen Preises blieb aber auch sie ein Nischenprodukt.

Ob der nur wenig günstigere Ableger Ekar GT daran etwas ändern kann, muss sich noch zeigen. Der Preis dürfte – leider – auch bei der Super Record Wireless einer weiteren Verbreitung im Wege stehen. Es ist mit Abstand die teuerste Rennradschaltung, die man derzeit kaufen kann. 5200 Euro verlangt Campa für das System, die üblichen “Straßenpreise” in Online-Shops liegen derzeit bei rund 4300 Euro. Zum Vergleich: Für Shimanos Dura-Ace oder eine SRAM Red mit vergleichbarer Technik sind derzeit rund 2500 Euro fällig.

Die Campagnolo Super Record ist mit Abstand die teuerste Rennradschaltung, die man derzeit kaufen kann.Foto: Skyshot GmbH; Markus GreberDie Campagnolo Super Record ist mit Abstand die teuerste Rennradschaltung, die man derzeit kaufen kann.

Kurz und knapp

Campagnolos Top-Gruppe wird mit Funktechnik auf den aktuellen Stand gebracht. Die Schaltung arbeitet tadellos, ein Fortschritt sind die neuen Gangabstufungen. Schwächen offenbart das Ensemble aber im Detail. Das neue Bedienkonzept ist mindestens gewöhnungsbedürftig; bei der immer wichtiger werdenden Software-Anbindung geraten die Italiener gegenüber der Konkurrenz in Rückstand.


Genügend gute Argumente?

Auch wenn der Preis mit der Zeit etwas sinken dürfte, braucht es gute Argumente, die Kundschaft vom Kauf einer Super Record Wireless zu überzeugen. Ob es die gibt, klärt unser Test auf den nächsten Seiten. Immerhin: Die seltenen Angebote für Kompletträder sortieren sich deutlich näher an der Konkurrenz ein. Unser Testrad von Canyon kostet 8999 Euro und dürfte mit Abstand die günstigste Option sein, Campas Super Record zu fahren. Andere Angebote liegen zwischen 10000 und 15000 Euro – ähnlich viel wie andere Top-Modelle mit Shimano oder SRAM.

Campagnolo Super Record: Antrieb

Das Getriebe kommt mit zwölf Ritzeln und bietet bei den Bandbreiten vergleichbare Optionen wie die Konkurrenz. Neu sind kleinere Kettenblätter und Ritzel, die Kassetten beginnen jetzt, ähnlich wie beim Konkurrenten SRAM, bei zehn statt wie bisher bei elf Zähnen. Das erfordert Campagnolos N3W-Freilauf, der bereits mit der Gravelgruppe Ekar eingeführt wurde. Mit älteren Laufrädern ist die Gruppe nicht mehr kompatibel. Damit können auch die Kettenblätter kleiner ausfallen, das spart etwas Gewicht. Der Sprung zwischen den Blättern fällt bei allen drei angebotenen Kombinationen (45/29, 48/32 und 50/34) etwas größer aus als bei SRAM oder Shimano, wodurch es weniger Überschneidungen gibt. Das nutzt Campa, um die Sprünge zwischen den Ritzeln klein zu halten und mit dem kleinen Blatt trotzdem leichte Berggänge anzubieten.

Mehr Bandbreite: Das kleine Blatt fällt kleiner aus als bei vergleichbaren Kombis der Konkurrenz, das bringt feinere Abstufungen und leichte Berggänge.Foto: Skyshot GmbH; Markus GreberMehr Bandbreite: Das kleine Blatt fällt kleiner aus als bei vergleichbaren Kombis der Konkurrenz, das bringt feinere Abstufungen und leichte Berggänge.

Wir testeten die bergtauglichste Kettenblattkombination 45/29 mit einer Kassette von 10-29 Zähnen. Schon diese Abstufung gefiel uns sehr gut, trotz des leichten Berggangs mit 1:1-Übersetzung fallen die Sprünge vor allem auf den mittleren und großen Ritzeln spürbar kleiner aus als bei vergleichbaren Kombinationen der Wettbewerber. Die Optionen 10-27 und 10-25 bieten noch feinere Abstufungen. Der Antrieb läuft auch auf dem kleinsten Ritzel reibungslos und leise, auch viel Kettenschräglauf stört das Getriebe nicht. Man darf davon ausgehen, dass die Komponenten vergleichsweise verschleißfest sind: Die Kette ist unverändert und schlug sich in vergangenen Tests gut, auch Blätter und Ritzel aus Vicenza gelten als sehr haltbar.

Vor- und Nachteile

  • Plus: haltbare Komponenten, sinnvolle Abstufungen mit kleinen Gangsprüngen
  • Minus: Laufräder mit speziellem N3W-Freilauf nötig

Campagnolo Super Record: Schaltung

Der vordere Umwerfer arbeitet so tadellos, wie man es von einer Top-Gruppe erwarten kann: absolut zuverlässige Blattwechsel auch unter Last, kein Schleifen, kein Klemmen im gesamten Testzeitraum. Probleme bereitete hingegen das Schaltwerk. Das ließ sich trotz mehrerer Versuche der Feineinstellung zunächst nicht optimal justieren. Mal kletterte die Kette nur widerwillig auf die großen Ritzel, mal rasselte sie auf den kleinen. In der Bedienungsanleitung empfiehlt Campagnolo für solche Fälle, das Schaltwerk unter jedem Ritzel einzeln auszurichten. Erst dieser komplizierte und langwierige Vorgang schuf Abhilfe.

Exponiert: Das abstehende Schaltwerk ist bei Umfallern und beim Anlehnen gefährdet.Foto: Skyshot GmbH; Markus GreberExponiert: Das abstehende Schaltwerk ist bei Umfallern und beim Anlehnen gefährdet.

Die Schaltungen der Konkurrenz sind da entweder toleranter oder präziser gefertigt, jedenfalls funktionieren sie mit einer präzisen Ersteinstellung perfekt. Zumal das Prozedere relativ kompliziert ist. Die Tastenkombinationen, die dafür an den Bedienhebeln gedrückt werden müssen, sind nicht selbsterklärend; über die App, wie inzwischen bei Shimanos Di2, geht es gar nicht. Die Akkus lassen sich am Rad oder entnommen aufladen; untereinander tauschen wie bei SRAM kann man sie nicht. Ihre Kapazität ist komfortabel. Auf 500 schaltintensiven Kilometern verbrauchten wir etwa 25 Prozent; 2000 Kilometer halten wir für realistisch. Das entspricht etwa dem Niveau der Wettbewerber.

Vor- und Nachteile

  • Plus: zuverlässig arbeitender Umwerfer
  • Minus: fummelige Schaltwerkseinstellung, weit abstehendes Schaltwerk

Campagnolo Super Record: Bedienung und Ergonomie

Mit den Hebeln erleben wir Licht und Schatten. Ein Highlight ist der neu geformte Bremshebel, der sich wie kein anderer an die Hände schmiegt. Auch vom Oberlenker aus ist er perfekt zu erreichen, zusammen mit den starken Scheibenbremsen wird das Anbremsen von Serpentinen zum Kinderspiel. Die Griffweite ist leicht anpassbar, bei sehr nah zum Lenker gestellten Hebeln offenbart sich jedoch ein Spalt am oberen Hebelende. Die Form der Griffkörper nähert sich etwas an Shimano an, der zur Mitte weisende Griffhöcker ist Geschichte. Das ist kein Nachteil, aber man fragt sich schon, warum die Italiener dieses Merkmal aufgeben.

Revolution: Die neue Position der Schaltknöpfe ist Geschmackssache, ein Stück Eigenständigkeit büßt Campa damit jedoch ein.Foto: Skyshot GmbH; Markus GreberRevolution: Die neue Position der Schaltknöpfe ist Geschmackssache, ein Stück Eigenständigkeit büßt Campa damit jedoch ein.

Noch mehr rätseln wir über den Wegfall des markanten Daumenhebels – beziehungsweise im Elektronik-Zeitalter des Daumenknopfes – an der Innenseite. Gerade als elektronischer Schalter funktionierte er bestens und war aus allen Positionen gut zu erreichen. Die Schalttasten sitzen nun übereinander außen am Bremshebel. Sie sind zwar mit Zeige- und Mittelfinger gut erreichbar, aber nicht leicht zu unterscheiden. Die Grenze zwischen den Tasten ist schwierig zu erfühlen, eine Textur eher Kosmetik. Auf unebener Straße passiert es auch nach längerer Eingewöhnungszeit leicht, dass man den falschen Knopf erwischt. Die Stromversorgung übernehmen Knopfzellen. Die Ladestandsanzeige ist offenbar ungenau, unsere App zeigte zu Beginn gut 50, am Ende fast 90 Prozent. Die Batterien dürften aber wie angegeben bis zu zwei Jahre durchhalten.

Vor- und Nachteile

  • Plus: angenehm geformte Bremshebel, einfache Griffweitenanpassung
  • Minus: Schalttasten schwer zu unterscheiden

Campagnolo Super Record: Bremsen

Mit dem Wechsel zu Scheibenbremsen war Campagnolo spät dran, doch die einst gemeinsam mit Magura entwickelten Hydraulik-Discs zählen zu den besten im Wettbewerb. An der Konstruktion und der Performance hat sich kaum etwas geändert, auch die Scheiben wurden beibehalten. Die Bremsen packen kräftig zu, der Druckpunkt wirkt mit den neuen Hebeln noch etwas definierter. Quietschen oder Kratzgeräusche sind den Stoppern fremd, selbst bei Nässe. Auch Hitzeprobleme sind nicht zu erwarten: Die Vollstahl-Scheibe ist mit 120 Gramm nicht besonders leicht, aber nach TOUR-Tests überaus standfest.

Starkes Paket: Die Bremse packt ordentlich zu und macht auch in Extremfällen keine Probleme.Foto: Skyshot GmbH; Markus GreberStarkes Paket: Die Bremse packt ordentlich zu und macht auch in Extremfällen keine Probleme.

Vor- und Nachteile

  • Plus: starke Bremsleistung, gut zu dosieren, standfest
  • Minus: -

Campagnolo Super Record: App und Zusatzfunktionen

Mit der MyCampy-App zur kabelgebundenen EPS-Schaltung war Campagnolo einst Vorreiter in Sachen Smartphone-Integration. Hier ließen sich Routen und Fahrdaten aufnehmen und archivieren, Gangstatistiken auswerten, sogar an Wartungsintervalle wurde anhand der Kilometerleistung erinnert. Die neue App zur Wireless-Gruppe wirkt dagegen zum Testzeitpunkt noch rudimentär. Sie zeigt lediglich den Ladezustand der Komponenten und zählt die Schaltvorgänge. Eine Semi-Automatik lässt sich auswählen, bei der das Schaltwerk beim Kettenblattwechsel ein bis drei Gänge gegenschaltet, sie reagiert allerdings sehr träge.

Die neue App zur Wireless-Gruppe zeigt lediglich den Ladezustand der Komponenten und zählt die Schaltvorgänge.Foto: CampagnoloDie neue App zur Wireless-Gruppe zeigt lediglich den Ladezustand der Komponenten und zählt die Schaltvorgänge.

Außerdem lässt sich die Belegung der Schalttasten ändern, eine andere als die vorgegebene ergibt allerdings kaum Sinn. Zusatzknöpfe, die am Lenker befestigt werden, gibt es bislang nicht, ebenso fehlen noch Zeitfahrkomponenten. Eine Option zur Leistungsmessung steht seit Frühjahr 2024 zur Verfügung, ein Test des exklusiven, über 2000 Euro teuren Messgeräts steht noch aus. Campagnolo verspricht, mit Updates die nützlichen Zusatzfunktionen wieder in die App zu integrieren. Nach derzeitigem Stand bietet die Konkurrenz hier aber wesentlich mehr.

Vor- und Nachteile

  • Plus: einfaches Koppeln der Komponenten, simple Bedienung
  • Minus: geringer Funktionsumfang der App, keine zusätzlichen Schaltknöpfe, kein Powermeter

Fazit zur Campagnolo Super Record

Mit der kabellosen Super Record ist Campagnolo zumindest hinsichtlich der Hardware ein guter Wurf gelungen. Die Gruppe ist leicht und begeistert – nach anfänglichen Einstellungsproblemen – mit perfekter Funktion bei Schaltung und Bremsen. Doch entscheidend absetzen kann sie sich von den Konkurrenten Shimano Dura-Ace Di2 und SRAM Red AXS, die bereits seit drei beziehungsweise fünf Jahren auf dem Markt sind, damit nicht. Die drei Wettbewerber agieren bei den Kernfunktionen einer Schaltgruppe mehr oder weniger auf Augenhöhe. Umso mehr könnte zukünftig die Elektronik der Schaltungen eine Kaufentscheidung beeinflussen: Lassen sich Fahrdaten mit einer Smartphone-App auswerten, die Schaltung per Touchscreen justieren, Leistungsmessung oder Radcomputer einfach einbinden?

Bei diesen Fragen ist die Konkurrenz aus Japan und den USA mindestens einen Schritt voraus. Dass Campagnolo einen äußerst selbstbewussten Preis verlangt, aber keine Zusatzschalter anbieten kann oder die App das Schaltwerk nicht einstellen kann, sind das nicht nur technische Details, sondern für ein anspruchsvolles Klientel eine fast ernsthafte Schwäche. Wenn Campagnolo diese Baustellen nicht zeitnah angeht, wird es schwer, einen festen Platz in der kurzen Liste der technisch führenden Komponentenhersteller zu behaupten. Denn allein der Mythos, der Campagnolo als Traditionsmarke immer noch anhaftet, wird auf lange Sicht nicht ausreichen, er ist gerade jungen Menschen immer schwerer zu vermitteln. Erst recht, wenn er einen saftigen Aufpreis kostet.

Gewichte der drei Gruppen im Vergleich

Die Gewichte der Gruppen von Compagnolo, Shimano und SRAM im Vergleich.Foto: TOURDie Gewichte der Gruppen von Compagnolo, Shimano und SRAM im Vergleich.

* Inklusive Bremssätteln gewogen

Wegen leicht unterschiedlicher Spezifikationen, vor allem bei der Übersetzung, sind zwar nicht alle Einzelgewichte der Gruppen direkt miteinander vergleichbar. Die Aufzählung zeigt aber, dass sich die Hersteller im Gesamtgewicht kaum unterscheiden, die neue Campagnolo-Gruppe positioniert sich gut im Wettbewerb. Shimano spart mit dem zentralen Akku etwas Gewicht gegenüber den Konkurrenten.

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