Indoor-TrainingTrainingstipps von Profis & Experten

Joscha Weber

 · 02.12.2023

Jetzt gelten keine Ausreden mehr fürs Indoortraining.
Foto: Getty Images
Eiskalte Zehen, blaue Lippen und nasse Klamotten beim Wintertraining mag niemand. Deshalb weichen immer mehr Hobby- und auch Profisportler auf Indoortraining aus. TOUR hat Profis und Experten nach ihren besten Trainingstipps befragt.

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Mal ehrlich, im Winter gibt es tausend gute Gründe gegen das Training draußen: Es ist dunkel. Es ist nass. Es ist windig. Es ist kalt. Und das Sich-warm-Einpacken sowie der anschließende Radputz dauern in Summe fast genauso lang wie die Ausfahrt. Kurz: Eigentlich will man nicht raus. Zumindest an vielen der kurzen Tage im Winter. Wie gut, dass es eine zunehmend attraktive Alternative gibt: das Indoor Cycling. Abends nach dem Feierabend oder der Uni mal schnell für eine Stunde aufs Rad? Kein Problem. Training zu jeder Tages- und Nachtzeit, unabhängig von der Witterung, durch smarte Rollentrainer im Fahrgefühl realistischer denn je und dank virtueller Trainingswelten bunt, unterhaltsam und mit der Community.

Indoor Cycling: Zwift zählt mehr als eine Million Kunden

Smart Trainer boomen seit Jahren, waren während der Pandemie zeitweise ausverkauft. Und auch die Internet-Plattformen profitieren: Allein Platzhirsch Zwift zählt inzwischen rund 1,1 Millionen Kunden, die monatlich 15 Euro für die Mitgliedschaft zahlen, daneben gibt es reichlich Alternativen.

Aber was macht das monotone Schwitzen auf der Stelle ohne Fahrtwind so attraktiv? Für Sportwissenschaftler Andreas Wagner sind es vor allem drei Gründe: Zeit- und Wetterunabhängigkeit sowie Effizienz. „Training auf der Rolle geht bei jedem Wetter. Und das ohne lange Vorbereitungen: Es braucht keine langen Hosen, Helmunterzieher, Über- und Handschuhe oder Beleuchtung am Rad. Ich kann vor und nach der Arbeit, wenn es meist noch dunkel draußen ist, einfach losradeln“, sagt der Autor des Buches „Krafttraining im Radsport“ und ergänzt: „Grundsätzlich lassen sich kürzere Einheiten auf der Rolle besonders effektiv absolvieren, da es keine Rollphasen gibt. So kann auch eine Stunde Training schon sehr wirkungsvoll gestaltet werden.“

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Rollentraining und Straßentraining kombinieren

Nur eine Stunde Radtraining? An der frischen Luft ist das für viele Rennradler bereits unter der „Macht Sinn“-Grenze, auf der Rolle ist eine Stunde eine vollwertige Trainingseinheit. Auch weil eine Stunde Indoor Cycling etwa eineinhalb Stunden auf der Straße entspricht – wenn man die Einheit richtig gestaltet. Natürlich spricht nichts gegen eine lockere Grundlagen- oder Regenerationseinheit auf der Rolle. Aber sein volles Potenzial entfaltet das Trainingsgerät eher in höheren Leistungsbereichen: Intervalle im Entwicklungs-, Schwellen- oder Spitzenbereich setzen ­gezielte Trainingsreize und versprechen zugleich eine willkommene Abwechslung zu den Grundlagen-Einheiten an der frischen Luft. Sportwissenschaftler Wagner empfiehlt die Kombination aus intensiveren Rolleneinheiten unter der Woche mit Ausdauerfahrten unter freiem Himmel am Wochenende – auch um Radbeherrschung und Fahrgefühl nicht zu verlieren.

Rasen im Stand: Ein Plätzchen für den Smarttrainer und das Rad findet sich beinahe überall.Foto: Getty ImagesRasen im Stand: Ein Plätzchen für den Smarttrainer und das Rad findet sich beinahe überall.

Draußen Ausdauer, drinnen intensiv

In diese Kerbe schlägt auch Tim Böhme. Er ist Bundestrainer Bildung beim BDR und auch für den digitalen Radsport zuständig. Draußen Ausdauer, drinnen intensiv, lautet sein Credo. Die Rolle bietet vor allem für das präzise Ansprechen einzelner Trainingsbereiche die beste Basis: „Man kann sein Training eins zu eins umsetzen. Es gibt keine Ampeln, Wind oder Abfahrten. Man sitzt auf seinem eigenen Rad, das auf dem Smart Trainer eingespannt ist und dort gesteuert wird.“ Böhme betreut auch Radsportler, die an digitalen Rennen teilnehmen, wie zum Beispiel Ex-E-Sport-Weltmeister Jason Osborne. Der machte über starke Leistungen bei Zwift-Rennen auf sich aufmerksam und fährt inzwischen als Profi an der Seite von Weltmeister Mathieu van der ­Poel bei Alpecin-Deceuninck – eine Entwicklung, die nach ­eigener Aussage nicht ohne die Rolle möglich gewesen wäre.

Rollentraining nach Verletzung

Osborne empfiehlt im Winter intensive Einheiten auf der Rolle, idealerweise in Verbindung mit gezieltem Krafttraining. Man kann die Rolle aber auch ganz anders nutzen, so wie Helena Bieber. Sie brach sich den Ellenbogen und durfte den Arm nicht belasten. Um wieder in Form zu kommen, ist die Fahrerin des Teams Maxx-Solar-Rose „direkt nach der Operation auf die Rolle gestiegen“. Ein spezielles Training mit aufeinander aufbauenden Einheiten hat sie sukzessive in höhere Leistungsbereiche und zu besserer Form geführt. „Das hat mir sehr geholfen, meine Schwelle wieder zu erhöhen und wieder leistungsfähig zu werden“, so Bieber, die nach ihrer Genesung ein Bundesliga-Rennen gewann und mit ihrem Team Deutsche Meisterin im Mannschaftszeitfahren wurde.

Für Formerhalt bzw. -aufbau muss also niemand mehr sein Training bei Kälte und Nässe draußen durchziehen. Ausreden für Training gibt’s aber auch keine mehr ...

Trainingstipps von Profis und Experten für Zwift & Co.

Helena Bieber, Maxx-Solar-Rose Women Racing Team

Im Winter fahre ich viel auf der Rolle. Intervalle kann man sehr gut trainieren und ich finde dabei die Programme von Zwift sehr passend. Man braucht sich keine Gedanken machen, was man fahren soll. Die Aufbauprogramme funktionieren für mich sehr gut.
Helena Bieber, Maxx-Solar-Rose Women Racing TeamFoto: Maxx-Solar Rose Women RacingHelena Bieber, Maxx-Solar-Rose Women Racing Team

Mein Trainingstipp

  • 10 Minuten Warmfahren
  • 3 x 5 Min. nahe der Schwelle (95 % der FTP*) im Wechsel mit 3 x 5 Min. im GA2-Bereich (85 % der FTP)
  • 3 Min. Erholung im Kompensationsbereich (50 % der FTP)
  • 1 Min. im Spitzenbereich (110 % der FTP)
  • 1 Min. Erholung im Kompensationsbereich (50 % der FTP)
  • 3 x 5 Min. nahe der Schwelle (95 % der FTP) im Wechsel mit 3 x 5 Min. im GA2-Bereich (85 % der FTP)
  • 10 Minuten Ausfahren

Ziel: Steigerung der FTP, unterschiedliche Belastungen simulieren

*FTP = funktionelle Leistungsschwelle, markiert die über eine Stunde konstant abrufbare maximale Leistung in Watt



Tim Böhme, Bundestrainer Bildung im BDR, Gründer der German Cycling Academy

Schon eine Dreiviertelstunde auf der Rolle kann eine vollwertige Trainingseinheit sein. Gerade für Intervalle oder digitale Trainingsrennen ist das Rollentraining im Winter als intensive Komponente ideal – wenn man es mit langsameren Einheiten für die Ausdauer draußen kombiniert.
Tim Böhme, Bundestrainer Bildung im BDR, Gründer der German Cycling AcademyFoto: BDR MedienserviceTim Böhme, Bundestrainer Bildung im BDR, Gründer der German Cycling Academy

Mein Trainingstipp

  • 20 Min. locker warmfahren, dabei für 3 x 10 Sek. die Trittfrequenz richtig hochfahren (über 100 U/Min.), auch mit hoher Wattzahl, damit die Muskulatur richtig angesprochen wird und der Körper bereit ist
  • 5 x 4 Min. (für Einsteiger 3 x 4 Min.) im Entwicklungs­bereich (EB, 90–100 % der FTP*) mal mit niedriger, mal mit hoher Trittfrequenz
  • Zwischen den Intervallen jeweils 4 Minuten im Grund­lagenbereich (GA1, 55–75 % der FTP)
  • 20 Min. ausfahren

Optional: Spielerische Elemente einbauen, z. B. Berg-, Sprint oder Zeitfahrsegmente

Ziel: Stärkung des anaerob-aeroben Übergangsbereichs

Andreas Wagner, Sportwissenschaftler und Mitbegründer des Trainingsinstitutes iQ athletik

Langes Grundlagenausdauertraining auf der Rolle kann zum mentalen Kampf werden. Deshalb empfehle ich kürzere Einheiten, die man effektiv absolviert. Die Intensität der Intervalle sollte so hoch und dabei gleichzeitig so konstant wie möglich bleiben. Es ist wichtiger, die geplante Anzahl von Be- und Entlastungen sauber zu bewältigen, als einen genauen Zielwert in Watt zu treffen. Der Power-Output kann dabei je nach Tag und Session durchaus variieren. Nicht zuletzt deshalb ist das subjektive Belastungsempfinden die beste Steuergröße für die Belastungsintensität!
Andreas Wagner, Sportwissenschaftler und Mitbegründer des Trainingsinstitutes iQ athletikFoto: IQ AthletikAndreas Wagner, Sportwissenschaftler und Mitbegründer des Trainingsinstitutes iQ athletik

Mein Trainingstipp

  • 10 Minuten warmfahren
  • 2 Intervallserien mit je 8 x 30 Sek. im Spitzen­bereich (SB, ca. 110–130 % der FTP*), zwischen den Intervallen jeweils 30 Sek. im Kompensationsbereich (KB, ca. 50 % der FTP) pedalieren
  • Zwischen den Intervallserien jeweils 5 Min. locker im Grundlagenbereich (GA1, ca. 75 % der FTP) fahren
  • 10 Min. ausfahren

Ziel: Weiterentwicklung der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) und Verbesserung der Leistungsfähigkeit bei wiederkehrenden Belastungen

Jason Osborne, Radprofi im Team Alpecin-Deceuninck

Manchmal finde ich es cool, einfach nur auf der Rolle zu fahren und zu machen, worauf man Lust hat, an einem KOM mal drauftreten und den holen. Oder spontan für ein Zwift-Rennen melden – das schätze ich. Ich liebe es, auch im Winter kompetitiv zu sein. Man bleibt so im Game drin und misst sich mit richtig starken Fahrern.
Jason Osborne, Radprofi im Team Alpecin-DeceuninckFoto: Team Alpecin-DeceuninckJason Osborne, Radprofi im Team Alpecin-Deceuninck

Mein Trainingstipp

  • 20–30 Min. warmfahren
  • 4 x 5 Min. (für Fortgeschrittene bis zu 10 Min.) mit 50er–60er Trittfrequenz in der FTP-Zone (95–105 % der FTP)
  • Zwischen den Intervallen jeweils 2:30 Min. (bei 10-Min.-Intervallen: 5 Min.) im GA1-Bereich (55–75 % der FTP) den Puls runterfahren
  • 10–20 Minuten ausfahren

Optional: Intervallpausen im Bereich der maximalen Fettverbrennung statt im GA1-Bereich fahren, um die Laktattoleranz zu trainieren.

Ziel: Kraftbetonte Einheit­ mit niedriger Trittfrequenz (K3) und Fokus auf Kraftzuwachs, ideal in Kombination mit separatem Krafttraining.

Interview mit Jason Osborne

Die Rolle ist Entertainment für mich.

Vom Ruder-Weltmeister zum Radprofi – Jason Osborne hat eine erstaun­liche Transformation hinter sich. Nach der Ruder-Silbermedaille bei Olympia in Tokio wechselte er das Metier und absolvierte als Neuprofi kürzlich die Vuelta a Espana als erste Grand Tour. Seine zweite Sport-Karriere begann: auf der Rolle.

Vom Ruder-Sportler über den Rollentrainer zum Radprofi: Jason Osborne fährt für das Team Alpecin-Deceuninck.Foto: Getty ImagesVom Ruder-Sportler über den Rollentrainer zum Radprofi: Jason Osborne fährt für das Team Alpecin-Deceuninck.

Das Interview führte Joscha Weber.

TOUR: Sie gelten als einer der ersten Profis, der über den ­virtuellen Radsport entdeckt wurde. Aber hat Ihr E-Sports-Weltmeistertitel wirklich Türen geöffnet oder hat das im Straßenradsport keinen so richtig interessiert?

Jason Osborne: Es war ein Türöffner für mich, auf jeden Fall. Ich habe viel Aufmerksamkeit ­dadurch bekommen. Aber mein Eindruck ist, dass der E-Sport noch nicht richtig im Straßenradsport angekommen ist. Wie beim Gravelbiken nehmen es manche noch nicht für voll. Dabei gibt es in beiden Disziplinen offizielle UCI-Weltmeisterschaften. Ich würde mir wünschen, dass der E-Sport größer wird und dem Straßenradsport näherkommt in Sachen Aufmerksamkeit. Aber da ist einiges im Gange, langfristig soll der E-Sport ins olympische Programm kommen, ein erstes Testevent gab es bereits.

TOUR: Nach Ihrer Ruderkarriere sind Sie im Team Alpecin-Deceu­ninck in der World-Tour angekommen und haben Ihre erste Grand Tour absolviert. Welche Rolle spielte die Rolle bei ­dieser Transformation?

Jason Osborne: Die Rolle war mein Einstieg in den Radsport. Durch die Zwift-WM konnte ich auf mich aufmerksam machen. Aber es war ein großer Sprung: Man fährt viel mehr Rennen. Beim Rudern kann man die Wettkämpfe in einer Saison an ein, zwei Händen abzählen, als Radprofi hatte ich 63 Renntage, das zehrt. Man muss sich so eine Transforma­tion hart erarbeiten. Die Vuelta (die Osborne als 131. abschloss und dabei seinem Teamkollegen Kaden Groves zum Gewinn des Grünen Trikots verhalf, Anm. d. Red.) war mit das Härteste, was ich in meiner Sportlerkarriere erlebt habe. Es gab Tage, da ging gar nichts mehr und dann ging’s doch wieder – erstaunlich, wozu der Körper in der Lage ist. Aber ich bin froh, dass alles erleben zu ­können, und ohne die Rolle wäre das so nicht möglich gewesen.

TOUR: Trainieren Sie im Winter weiterhin auf der Rolle? Und ­wenn ja, wie?

Jason Osborne: Ich bin eigentlich ein Schönwetter-Radfahrer. Sobald es regnet oder zu viel Wind ist, ziehe ich mich auf die Rolle zurück. Manche haben damit ein Problem, denen ist das zu monoton. Ich finde es spannend, die Rolle ist Entertainment für mich. Und wenn’s wirklich mal etwas länger wird auf der Rolle, kann man sich mit Serien oder Musik gut ablenken. Gerade für den Winter ist die ­Rolle ein Top-Trainingstool. Man hat keine Störfaktoren, Intervalle sind effektiver auf der Rolle und wenn man will, kann man sich bei Zwift-Rennen die Kante geben.

TOUR. Was macht für Sie den Reiz des Rollentrainings aus?

Jason Osborne: Man kann unheimlich effektiv trainieren, das mag ich. Ich bin unabhängig vom ­Wetter, ich bin flexibel und kann jederzeit trainieren. Ich mache es mir manchmal auf der Rolle fast schon gemütlich (lacht). Und ich mag den kompetitiven Aspekt. Gerade in der Off-Season, wenn es draußen keine Rennen gibt, bleibt man durch die virtuellen Rennen im Rhythmus.

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