Robert Kühnen
· 31.10.2022
Bevor man bei Zwift mit wattgesteuertem Rollentraining beginnt, sollte man einen FTP-Test machen. Wir erklären die verschiedenen FTP- und Stufentests von Zwift, gehen auf Stärken und Schwächen ein und geben praktische Tipps.
Indoor-Training auf Smarttrainern wird über die Tretleistung gesteuert, die in Watt angezeigt wird. Die Leistung in Watt ist der Dreh- und Angelpunkt für alles. Die mögliche Tretleistung variiert nach Fitnesszustand, Körpergewicht – und, ganz entscheidend – der Länge der Belastung. Im Sprint ist ein Vielfaches der Dauerleistung möglich. Als Maß für die Ausdauerleistungsfähigkeit wird meist die FTP-Leistung verwendet (aus dem Englischen: FTP = Functional Threshold Power). Das ist die Maximalleistung über eine Stunde.
Aus der FTP lassen sich die Trainingszonen ableiten, die die Trainingsintensitäten beschreiben. Die FTP bezogen aufs Körpergewicht ergibt die Leistungseinstufung in W/kg für Zwift-Rennen. Insbesondere am Berg – drinnen wie draußen – sind Watt pro Kilogramm die Währung, die über das Bergtempo entscheidet. Die FTP gibt sofortige Orientierung, wo ein Sportler in der Leistungspyramide steht: Das Spektrum reicht von 1,5 W/kg (untrainiert) bis 6,5 W/kg (absolute Weltklasse). Regelmäßiges Testen der FTP ist eine Möglichkeit, Leistungsfortschritte sichtbar zu machen.
Da es sehr fordernd ist, über eine Stunde die maximale Leistung abzurufen, wird der FTP-Test in der Regel abgekürzt und die FTP-Leistung aus der 20-Minuten-Leistung hochgerechnet.
Zwift bietet vier Testprotokolle rund um die FTP an, zwei kurze Stufentests und zwei verschieden lange FTP-Tests.
Wer noch nie einen Test gemacht hat und nicht weiß, wo die persönliche FTP liegt, beginnt mit dem Stufentest. Zwift bietet dafür zwei Varianten an. Der normale Stufentest steigert die Leistung ausgehend von 100 W jede Minute um 20 Watt. Dieser Test fühlt sich zu Beginn sehr leicht an. Überschreitet man die persönliche aerobe Dauerleistungsgrenze, dauert es aber nur noch wenige Minuten, bis man die Kurbel nicht mehr rumbringt. Zwift schätzt die FTP mit 75% der letzten absolvierten Stufe ab. Wer 300 Watt schafft, bekommt also eine FTP von 300 * 0,75 = 225 W angezeigt. Eine Variante dieses Tests ist der „einfache“ Stufentest. Hier beginnt der Test mit 50 W, endet aber bei höchstens 250 Watt (nur für Anfänger und sehr leichte Sportler relevant). Der Stufentest ist simpel und nicht sehr genau, da die kurze Stufendauer Verzerrungen durch anaerobe Energieanteile provoziert. Aber der Test geht schnell und taugt für eine erste Abschätzung.
Die beiden FTP-Tests auf Zwift unterscheiden sich in ihrer Länge und im Aufbau. Durch ein längeres Intervall wird die aerobe Leistungsfähigkeit besser erfasst als mit dem kürzeren Stufentest.
Beide Tests erfordern eine Voreinstellung der FTP – weshalb zuerst der Stufentest absolviert werden sollte. Alternativ kann man die FTP auch abschätzen anhand bisheriger Bestleistungen wie einem Rennen (die Normalized Power in einem kürzeren Rennen entspricht oft der FTP) oder einer längeren, intensiven Bergfahrt.
Durchführung: Nach einer Aufwärmphase und kurzen Vorbelastungen beginnt der FTP-Test mit einem harten Fünf-Minuten-Intervall, dessen Sinn darin liegt, die anaeroben Energiespeicher zu leeren, bevor der eigentliche 20-Minuten-Test beginnt. Ist die FTP zu hoch angesetzt, gehen einem schon in diesem Intervall die Lichter aus. Also Vorsicht: den FTP-Wert nicht zu hoch ansetzen! Im kürzeren der beiden FTP-Tests bei Zwift ist das erste Intervall zweigeteilt und härter als im langen Test.
Der eigentliche Test besteht aus 20 Minuten freier Fahrt. Hier gilt es eine möglichst hohe Dauerleistung über die 20 Minuten zu erzielen. Die FTP errechnet sich aus 95% der Durchschnittsleistung über die 20 Minuten.
Es empfiehlt sich, mit dem Schätzwert der FTP in die Fahrt einzusteigen. Nach hinten raus kann man noch eine Schippe nachlegen, sollte das möglich sein. Bricht die Leistung in den 20 Minuten stark ein, ist man zu hart losgefahren und sollte den Test wiederholen, weil der Durchschnittswert bei gleichmäßiger Fahrt höher ausfällt.
Das Zwift-Testprotokoll deckt sich mit den Empfehlungen von TOUR. Die so ermittelte FTP-Leistung und die daraus abgeleiteten Zonen sind gut nutzbar. Klappt der Test beim ersten Mal nicht perfekt, lässt er sich leicht wiederholen. Zwift passt die FTP automatisch nach oben an, wenn neue 20-Minuten-Bestleistungen in freier Fahrt oder Rennen detektiert wurden.
Der FTP-Test beruht auf voller Ausbelastung – grundsätzlich, nicht nur bei Zwift. Das ist immer hart und das Ergebnis ist stark von der Motivation abhängig, alles zu geben. Ausbelastung heißt auch, dass man gesund sein muss. Wer sonst nie an seine Grenzen geht, sollte sich vorher sportmedizinisch untersuchen lassen.
Der Test sollte gut vorbereitet werden. Diese Dinge sind essenziell neben erprobter Smarttrainer-Technik:
Der FTP-Test liefert korrekt durchgeführt wertvolle Leistungs-Eckdaten für den Formcheck.
Kritiker bemängeln, dass der FTP-Test nichts über die physiologischen Ursachen der Leistung verrät – zum Beispiel auf welchem Weg der Körper die Energie für die ermittelte Leistung bereitstellt. Diese Kritik ist berechtigt. Die aus 20 Minuten auf eine Stunde hochgerechnete FTP kann zudem fehlerbehaftet sein. Mit mehr Daten aus Training und Wettkampf lassen sich die Werte aber verifizieren. Durch Kombination mit weiteren Tests über kürzere Zeiträume sind weitergehende Aussagen zum Stoffwechsel möglich. INSCYD bietet solche Auswertungen an, die allerdings auch Kosten verursachen.
Alternativ oder ergänzend ist eine klassische Labordiagnostik möglich (Laktatdiagnostik und/oder Spiroergometrie), die auch mehr Informationen liefern kann und auch nicht immer bis zur Ausbelastung gehen muss. Labordiagnostiken alleine haben den Nachteil, dass sie meistens zu selten durchgeführt werden – auch weil sie teuer sind. Außerdem sind nicht alle Labordiagnostiken gleich gut und wertvoll. Deren Qualität zu beurteilen, ist schwierig.
Die Do-it-yourself–Methode beim FTP-Test ermöglicht es, einfach mal loszulegen und Erfahrungen zu sammeln. Wer sich regelmäßig selbst testet und viel mit Smarttrainer/Powermeter fährt, bekommt leicht ein ziemlich umfassendes Bild seiner Leistungsfähigkeit. Das kann weitere Diagnostiken überflüssig machen. Ob die FTP realistisch getestet wurde, erkennt man leicht im Abgleich mit Realdaten. Sagt der FTP-Test 250 Watt voraus und man kommt in einer Stunde Bergfahrt bei voller Belastung nur auf maximal 220 Watt, dann ist klar, dass der Test zu optimistisch war und die Ermüdung unterschätzt wurde. Der reale FTP-Wert ist dann 220 Watt.
Alle Methoden zusammen, FTP-Test, Labordiagnostik und Powermeterdaten ergeben das vollständigste Bild. Egal wie man testet: Die Werte sollten immer auf Plausibilität hinterfragt werden.
Ein Test ist vor jeder intensiven Trainingsphase zur Orientierung zu empfehlen, eine Wiederholung ist nach frühestens sechs bis acht Wochen ratsam und dient der Erfolgskontrolle. Man sollte immer ausgeruht und mit vollen Energiespeichern ans Testen gehen. Das heißt, dass die Tests in eine Erholungsphase fallen sollten. Die Leistungsmessung sollte so genau wie möglich sein – ggf. Powermeter als Datenquelle nutzen, wenn vorhanden. Auf lange Sicht ist die absolute Genauigkeit der Leistungsmessung wichtiger als man anfangs denkt, denn nur verlässliche Daten haben langfristig einen Wert und machen auch kleine Fortschritte sichtbar.
Da der Test selbst belastend ist, ist ständiges FTP-Testen nicht ratsam. Man muss abschätzen zwischen dem Nutzen des immer gleichen Protokolls (Vergleichbarkeit) und der zusätzlichen Trainingsbelastung durch das Testprotokoll. Nicht zu unterschätzen ist dabei auch die mentale Belastung, sich auf einen All-Out-Test einzulassen. Die dazu nötigen Körner sind in einem (Indoor-)Rennen eventuell besser investiert.
Den FTP-Test kann man auch outdoor fahren. Aber Achtung: Draußen erzielen die meisten Radsportler etwas höhere Werte als Indoor, bergauf höhere Werte als flach. Um Leistungsfortschritte zu dokumentieren, sollte man stets vergleichbar testen.
Die FTP-Tests von Zwift sind sehr gut für eine erste Orientierung und Erfolgskontrolle geeignet. Wer viele intensive Intervalle fährt und mit Powermeter Wettkämpfe bestreitet, bekommt auf diesem Weg weitere und oft relevantere Daten als mit einem einzelnen FTP-Test. Bestwerte der Tretleistung werden in der Regel immer erst im Wettkampf erzielt.