Vegetarische Ernährung für RennradfahrerFit ohne Fleisch?

Sina Horsthemke

 · 19.11.2022

Vegetarische Ernährung für Rennradfahrer: Fit ohne Fleisch?Foto: Adobe Stock

Immer mehr Radsportler und Radsportlerinnen ernähren sich vegetarisch oder vegan. Was bedeutet das für die Leistungsfähigkeit? Und wie gelingt es, den Körper trotzdem mit allen Nährstoffen zu versorgen?

Was haben die Radprofis Simon Geschke und Michael Gogl gemeinsam? Beide haben Grand-Tour-Erfahrung, klar: Sie starteten in den vergangenen Jahren beim Giro d’Italia, bei der Vuelta a Espana und bei der Tour de France. Doch da ist noch mehr: Denn beide verzichten auf Fleisch und Fisch. Während Gogl Vegetarier ist, ernährt sich Geschke seit 2016 sogar vegan, also ausschließlich von Pflanzenkost.

Radprofi Michael Gogl ist überzeugt davon, dass ihn seine vegetarische Ernährung schneller machtFoto: Getty Velo
Radprofi Michael Gogl ist überzeugt davon, dass ihn seine vegetarische Ernährung schneller macht

Vegetarische Ernährung liegt im Trend: Rund 6,5 Millionen Menschen in Deutschland aßen 2020 kein Fleisch - 23 Prozent mehr als noch 2016. Wer Brokkoli dem Schnitzel vorzieht, tut das oft aus ethischen Gründen, für den Tierschutz. Zudem ist der Klimawandel für viele der Grund für Verzicht: Die Massentierhaltung gilt als größter CO2-Produzent der Erde, für ein Kilogramm Rindfleisch gelangen 12,3 Kilogramm CO2 in die Atmosphäre. Zum Vergleich: Dieselbe Menge Äpfel verursacht nur 250 Gramm des Treibhausgases.

Sind Vegetarier schneller?

Für das Klima und die Tiere ist Fleischverzicht also durchaus sinnvoll. Doch gilt das auch für die Leistung auf dem Rad? Funktionieren Muskeln, wenn ihnen Protein aus Fleisch fehlt? Landen mit pflanzlicher Kost alle Nährstoffe auf dem Teller, die der Körper für Höchstleistungen braucht? Macht eine vegetarische Ernährung Sportler vielleicht sogar schneller, wie Radprofi Michael Gogl von sich behauptet? Letzteres nicht unbedingt, befanden Wissenschaftler der Leibniz-Universität Hannover, nachdem sie die Leistung von Läufern auf dem Fahrradergometer verglichen hatten. Deren Trainingsumfang und -frequenz waren ähnlich, nur die Ernährung unterschied sich: Manche Versuchspersonen aßen alles, andere ernährten sich vegetarisch oder vegan. Auf dem Ergometer unterschieden sich die maximale Leistung und die Laktatwerte der Studienteilnehmer trotzdem nicht.

Ernährungswissenschaflterin Helen Bauhaus hat viele positive Wirkungen vegetarischer Ernährung beobachtetFoto: privat
Ernährungswissenschaflterin Helen Bauhaus hat viele positive Wirkungen vegetarischer Ernährung beobachtet

“Die Daten lassen vermuten, dass keine der Ernährungsweisen Vor- oder Nachteile für die sportliche Leistung bringt”, so das Fazit der Forscher. “Auch eine vegane Ernährung kann für ambitionierte Freizeitläufer eine geeignete Alternative sein.” Und australische Wissenschaftler, die 2016 verschiedene Studien zur vegetarischen Ernährung von Sportlern analysiert hatten, kommen zum Ergebnis: Sie scheint die Leistung von Sportlern weder zu verbessern noch zu verschlechtern.

Vegetarische Radsportler essen bewusster

Dass sich der Österreicher Gogl mit fleischloser Kost besser fühlt, kann sich Helen Bauhaus, Ernährungswissenschaftlerin am Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln, dennoch gut vorstellen: “Zwar lässt sich nicht generalisieren, dass eine Umstellung auf fleischlose Ernährung leistungsfähiger macht. Allerdings führt das Befassen mit der eigenen Ernährungsweise in vielen Fällen zu einer bewussteren Nährstoffzufuhr, was wiederum eine bessere Versorgung zur Folge haben kann.” Mit dem Fleischverzicht gehe zudem häufig ein steigender Kohlenhydratverzehr einher, was durchaus einen Leistungsschub bewirken könne. Fest steht tatsächlich: Vegetarier beschäftigen sich intensiver mit ihrer Ernährung, essen mehr Obst und Gemüse als Fleischesser und nehmen mehr verdauungsfördernde Ballaststoffe zu sich. Dass sie weniger gesättigte Fettsäuren aufnehmen, könnte sich positiv auf Herz und Kreislauf auswirken.

Eiweiß aus pflanzlicher Kost

Bauhaus ist überzeugt davon, dass Radsportler, die vegetarisch leben, ihren Nährstoffbedarf ohne große Schwierigkeiten decken können - sofern sie ein paar Dinge beachten. “Milch, Milchprodukte und Ei liefern ausreichend Proteine, zudem sind Kichererbsen, Bohnen, Linsen, Sojadrinks und -joghurt, Tofu, Seitan und Tempeh gute Eiweißlieferanten.” Zwar kann der Körper tierisches Protein besser verwerten als pflanzliches. “Zu einem Mangel kommt es dadurch in unseren Breitengraden aber nicht”, verspricht die Kölner Ernährungswissenschaftlerin.

Wer sich vegan ernährt, sollte viele Hülsenfrüchte essen - am besten in Kombination mit GetreideFoto: Adobe Stock
Wer sich vegan ernährt, sollte viele Hülsenfrüchte essen - am besten in Kombination mit Getreide

Dennoch ist es sinnvoll, verschiedene Eiweißquellen miteinander zu kombinieren: Eiweiß besteht aus Aminosäuren, die der Körper nicht alle selbst herstellen kann. Methionin zum Beispiel, aber auch Leucin, Histidin und Lysin zählen zu den neun unentbehrlichen (essentiellen) Aminosäuren. Die Akademie des Deutschen Fußballbunds rät vegetarischen Sportlern daher zum Beispiel zu Müsli mit Joghurt, Pellkartoffeln mit Quark, Vollkornbrot mit Käse, Rührei mit Brot, Bohnen-Mais-Eintopf, Bratkartoffeln mit Spiegelei oder Kartoffelsuppe mit Linsen. “Für Veganer haben sich Hülsenfrüchte und Getreide als gute Kombi herausgestellt, da sich die Aminosäureprofile dieser Lebensmittelgruppen gut ergänzen”, sagt Bauhaus. Während Hülsenfrüchte einen geringen Anteil Methionin, aber viel Threonin, Tryptophan und teilweise Lysin enthalten, ist es beim Getreide genau umgekehrt. So könne der Körper insgesamt mehr Protein aus einer Mahlzeit beziehen. Die Ernährungsexpertin empfiehlt Veganern zum Beispiel Nudeln mit Linsen-Bolognese oder Kichererbsencurry mit Reis.

Gefahr für Sportler und Sportlerinnen: Eisenmangel

Ein Mikronährstoff, der bei fleischloser Kost kaum auf dem Teller landet, weil er vor allem in Fleisch und Leber steckt, ist das Eisen. Für Ausdauersportler ist das Spurenelement besonders wichtig, denn als Bestandteil des Hämoglobins im Blut ist es für den Sauerstofftransport zuständig. Doch ständig geht es verloren: über den Schweiß beim Sport und bei Frauen zusätzlich über die Monatsblutung. “Eisen ist der kritischste Nährstoff, wenn sich Ausdauersportler vegetarisch ernähren”, sagt Bauhaus. Wer auf Fleisch verzichtet, sollte regelmäßig andere eisenhaltige Lebensmittel essen: Haferflocken, Weizenkleie, Kürbiskerne, Sesam, Sojabohnen, Quinoa, Pistazien oder Leinsamen. Letztere enthalten zudem Omega-3-Fettsäuren, die Nicht-Vegetarier sonst aus Fisch beziehen.

Bauhaus rät Menschen, die sich vegetarisch ernähren, generell zu einem möglichst breiten Nahrungsspektrum, um Nährstoffmangel zu verhindern: “Schränkt man sich ein, ist es umso wichtiger, in allen anderen Lebensmittelgruppen möglichst vielfältig und abwechslungsreich zu essen.” Als Kohlenhydratquellen sollten also nicht nur Reis, Nudeln und Kartoffeln dienen, sondern auch mal Quinoa oder Süßkartoffel. Zudem sei es für Vegetarier sinnvoll, ein- bis zweimal im Jahr zum Hausarzt zu gehen, um mit Hilfe einer Blutprobe zu prüfen, ob der Körper mit allem versorgt ist.

Echte, möglichst vielfältige Lebensmittel sind Nahrungsergänzungsmitteln vorzuziehenFoto: Adobe Stock
Echte, möglichst vielfältige Lebensmittel sind Nahrungsergänzungsmitteln vorzuziehen

Zu Nahrungsergänzungsmitteln rät Bauhaus nur, wenn das Blutbild klar einen Mangel zeigt: “Die Präparate sind teuer und können in Überdosen schaden. Keinesfalls sollten Sportler auf eigene Faust Nährstoffe substituieren, sondern die Einnahme immer mit einem Arzt oder Ernährungswissenschaftler besprechen.” Ein Arztbesuch sei ebenso angebracht, wenn typische Mangelsymptome außergewöhnlich langanhaltend auftreten: Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Leistungsschwäche, Konzentrationsschwierigkeiten, Gewichtsschwankungen oder eine höhere Infektanfälligkeit.

Im Zweifel können sich Hobbysportler vor einem Kostwechsel von Ernährungsexperten beraten lassen. “Gerade in der Phase der Umstellung treten nämlich oft Fehler auf”, warnt Bauhaus. “Ernährungsberater wissen, was in welchen Lebensmitteln steckt und worauf sportliche Vegetarier und Veganer achten sollten.” Seriöse, zertifizierte Experten listet der Berufsverband Oecotrophologie (VDO). An Olympiastützpunkten finden sich Ernährungsberater mit Sportbezug, die manchmal freiberuflich Hobbyathleten beraten.

Herausforderung für Vegetarier im Spitzensport

So weit die Theorie. In der Praxis, das räumt Ernährungswissenschaftlerin Bauhaus ein, ist eine Ernährung, die vegetarisch oder gar vegan ist, aber nicht immer einfach umsetzbar - vor allem im Profisport oder wenn Hobbyfahrer viel reisen. “Da muss man vieles selbst mitnehmen, am besten vorher mit der Küche vor Ort sprechen und immer flexibel bleiben, um doch mal eine Ausnahme zu machen.”

Ernährungsberater Robert Gorgos warnt vor Eisenmangel, wenn sich Spitzensportler vegetarisch ernährenFoto: Team Bora-Hansgrohe
Ernährungsberater Robert Gorgos warnt vor Eisenmangel, wenn sich Spitzensportler vegetarisch ernähren

Das kann Robert Gorgos, Ernährungsberater beim Profiteam Bora-Hansgrohe, nur bestätigen: “Wir haben nicht bei jeder Reise den Koch dabei oder unseren Küchen-Truck. Oft sind wir auf die Verpflegung des Veranstalters angewiesen. Und wenn man dann irgendwo in Spanien oder Frankreich außerhalb der Metropolen übernachtet, sind Qualität und Auswahl für Vegetarier manchmal nicht so gut.” Eine fleischlose Ernährung sei dann kaum praktikabel. Es gebe jedoch einige Fahrer, die eher wenig Fleisch essen oder zumindest auf rotes verzichten.

Sich als Radprofi vegetarisch oder gar vegan zu ernähren, ist vor allem während der Rennsaison eine HerausforderungFoto: Getty Velo
Sich als Radprofi vegetarisch oder gar vegan zu ernähren, ist vor allem während der Rennsaison eine Herausforderung

Dass jemand aus ethischen Gründen ein Tier auf dem Teller ablehnt, kann Gorgos gut verstehen, “das ist absolut in Ordnung. Aber man muss ja auch nicht das billigste Fleisch kaufen, sondern kann beim Kauf auf artgerechte Haltung achten”. Der Ernährungsberater ist so zögerlich, weil er fürchtet, dass vegetarische Kost bei Profisportlern das Risiko für Mangelerscheinungen erhöht. “Es gibt natürlich positive Beispiele. Aber je weniger man sich einschränkt, desto geringer ist das Risiko für Probleme. Ich würde einem Hochleistungssportler von fleischloser Kost eher abraten.” Gerade bei der Eisenversorgung sieht Gorgos Gefahren, weil das Spurenelement für die Blutbildung so wichtig ist. “Wer zum Beispiel im Höhentraining ist, braucht unbedingt Eisen. Sonst ist das Höhentraining weniger wirksam, wenn der Körper nicht so gut neues Blut bilden kann.”

Für Hobbysportler sei eine Ernährung, die vegetarisch ist, aber möglich, findet Ernährungsspezialist Gorgos - sofern die Gesamtenergie- und Proteinzufuhr durch die Umstellung nicht sinke: “Sonst leiden das Immunsystem und die Muskelmasse.”

Vegane Ernährung im Sport - geht das?

Wer sich vegan ernährt, verzichtet ganz auf tierische Produkte, also nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Milch, Butter, Joghurt, Käse, Eier, Honig und so weiter. Die Auswahl an verarbeiteten Lebensmitteln ist stark eingeschränkt, da darin oft Molkepulver oder Ei stecken.

Simon Geschke ist eine Ausnahme im Profi-Peleton: Er ernährt sich veganFoto: Getty Velo
Simon Geschke ist eine Ausnahme im Profi-Peleton: Er ernährt sich vegan

2020 gaben 1,1 Millionen Menschen in Deutschland an, vegan zu leben - 41 Prozent mehr als noch 2016. Noch viel genauer als Vegetarier müssen Veganer darauf achten, nicht in einen Nährstoffmangel zu geraten. Zum Beispiel sollten sie das lebenswichtige Vitamin B12 gesondert zu sich nehmen, das nur in tierischen Produkten steckt. “Anders geht es nicht”, mahnt Helen Bauhaus von der Deutschen Sporthochschule Köln. “Die Vitamin-B12-Speicher in der Leber halten vielleicht zwei Jahre. Doch man sollte es nicht so weit kommen lassen, dass sie zur Neige gehen.” Die Folgen eines Mangels können gravierend sein: Blutarmut und Erschöpfung, Depressionen, Nervenschäden, Verdauungs- und Gedächtnisstörungen. Ein Arzt kann Vitamin-B12-Präparate verschreiben und Empfehlungen zur Dosierung geben. Er wird dann wahrscheinlich auch Zink verordnen: Geringe Mengen des Spurenelements stecken zwar in Tofu, Mandeln und Vollkornprodukten, reichen aber meist nicht aus, um den Bedarf zu decken.

Bauhaus rät Veganern zudem, auf die Kalziumzufuhr zu achten, und empfiehlt Mineralwasser, “das mindestens 400 Milligramm pro Liter enthält”. Wer Leitungswasser trinke, könne sich bei den örtlichen Stadtwerken nach einer Mineralstoffanalyse erkundigen. Anders als viele meinen, haben Veganer selten Schwierigkeiten, genügend Eiweiß zu sich zu nehmen. Der Proteinbedarf lässt sich gut mit Hülsenfrüchten wie Linsen, Kichererbsen oder Bohnen decken. Das bestätigen auch die wenigen Studien: Laut eines Teams kanadischer Wissenschaftler beeinträchtigt eine vegane Ernährung weder die Ausdauer noch die Muskelkraft. Sie schadet der Leistung nicht - sofern Sportler darauf achten, fehlende Nährstoffe rechtzeitig und in ausreichender Menge durch alternative Lebens- oder die richtigen Nahrungsergänzungsmittel zuzuführen.

  • Drei ganz einfache vegetarische Gerichte zum Nachmachen finden Sie hier
  • Zudem gibt es hier drei leckere Rezepte für einen Radsport-Tag, zusammengestellt von Robert Gorgos, Ernährungsberater beim Profi-Team Bora-Hansgrohe