Kristian Bauer
· 29.12.2022
Sebastian Zimatschek ist seit 2003 verantwortlich für das Rescue-Team bei der TOUR-Transalp. Der Münchner lenkt und leitet die Gruppe aus Notärzten, Rettungsassistenten und Notfallsanitätern vom Motorrad aus.
Es gibt keinen Radsport ohne Stürze. Ob sie glimpflich oder folgenreich ausgehen, hängt auch davon ab, wie schnell und umfassend Hilfe am Unfallort eintrifft. Mitarbeiter aus dem Orga-Team, welche die Transalp seit vielen Jahren begleiten, schätzen, dass seit 2003 rund zehn Menschen Sebastian Zimatschek und seinem Team ihr Leben verdanken. Während man bei Rennunfällen an viel Blut und offene Wunden denkt, bei deren Anblick man den Kopf lieber wegdrehen möchte, ist es der Job von Zimatschek, genau hinzusehen: “In dem Moment darf ich nicht denken, dass es schlimm ist, sondern muss überlegen, was zu tun ist. Das Nachdenken kommt erst später.”
Zimatscheks Aufgabe bei der Transalp ist es vor allem, lebensbedrohliche Situationen zu managen: Was genau ist passiert, welche Notfallsanitäter auf dem Motorrad oder im Rettungswagen können den Unfallort am schnellsten erreichen, sollte ein Hubschrauber angefordert werden, wo ist das nächste Krankenhaus? Er koordiniert ein Team von 15 Notärzten, Notfallsanitätern und Rettungsassistenten, die er alle zur Teilnahme motiviert und organisiert. “Ums Honorar geht es da nicht, das ist Idealismus. Die Leute müssen Urlaub nehmen für die Transalp”, erklärt Zimatschek. “Er weiß genau, wer ins Team reinpasst und wer nicht”, sagt Anästhesie-Assistentin Wiebke Würtz über ihren Chef.
Der Facharzt für Anästhesiologie mit eigener Praxis in München ist mit zusätzlichen Einsätzen als Kinder-Notarzt eigentlich ausreichend beschäftigt. Doch der Job bei der TOUR-Transalp macht ihm Spaß. Das Rescue-Team ist eine verschworene Gemeinschaft, und trotz aller Aufgaben kommen bei den Mitstreitern auch Urlaubsgefühle auf, wenn sie nach der Etappe oder beim Abendessen zusammensitzen. Zimatschek mag Italien und die Berge - privat ist er zu Fuß oder mit dem Mountainbike oft am Gardasee und in Südtirol unterwegs. Das Motorradfahren bei der TOUR-Transalp macht ihm ebenfalls Spaß: “Motorrad und Beruf zu verbinden ist ein schöner Kontrapunkt zu meiner sonstigen Arbeit.” Besonders, wenn am Abend nur enge Kurven und lange Anstiege statt heikler Rettungseinsätze den Tag geprägt haben.
Der Münchner Sebastian Zimatschek (55) hat an der Uni Regensburg und der TU München Medizin studiert. Danach hat er als Assistenzarzt in der Kinderanästhesie, in der Kindernotfallmedizin und als Notarzt in der Bergrettung Erfahrungen gesammelt. Seit 20 Jahren leitet er in München eine Facharztpraxis für Anästhesie. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Seit 2003 ist Sebastian Zimatschek verantwortlich für das Rescue-Team der TOUR-Transalp.
Aus der Ruhe bringen lässt sich der 55-Jährige aber grundsätzlich nicht. Egal, ob nach 140 Kilometern im Ziel oder bei der Besprechung eines Unfalls an der Rennstrecke: Zimatschek spricht stets ruhig und präzise. Beides gute Voraussetzungen für seinen Job. Seine leise Art, zu sprechen, wirkt beruhigend. “Ich habe mich schon immer gerne um Menschen gekümmert”, sagt er.
Im Rennen steuert er das Motorrad, auf dem Sozius sitzt Wiebke Würtz und hält Kontakt zu den anderen Teammitgliedern, die auf der Strecke verteilt zwischen den Radfahrern unterwegs sind. Solange es ruhig bleibt, kann er die Fahrt auf dem Motorrad durch Berglandschaft genießen: “Diese Woche in den Alpen ist immer wieder faszinierend.” Geht hingegen ein Notruf ein, lokalisiert er schnell den Unfallort und entscheidet, ob er selbst hinfährt oder ein anderes Team schickt, das näher dran ist.
Schnelles Handeln nach einem Unfall ist das eine, wichtig ist dem Rettungs-Doc aber vor allem die Prävention. Jeden Tag vor dem Etappenstart bespricht er mit Renndirektor Marc Schneider und den Motorrad-Marschalls die nächste Etappe und später mit dem Rescue-Team die Herausforderungen des Tages: neuralgische Punkte entlang der Strecke, an denen es gefährlich werden oder an denen der Handyempfang schlecht sein könnte. Ziel ist es, das Radrennen optimal abzusichern; längst fließen bei der Streckenplanung die jahrelangen Erfahrungen von Zimatschek und seinem Rettungsteam ein.
Aus der Sicht des Notarztes, der das Rennen vom Motorrad aus aufmerksam beobachtet, wären viele Unfälle vermeidbar. Oft verleite zu großer Ehrgeiz die Sportler im Rennen zu leichtsinnigen Manövern: “Wenn sie auf engen Straßen einen Lkw überholen oder bergab Kurven schneiden, zweifle ich schon manchmal.” Seiner Motivation tut das freilich keinen Abbruch: “Schlimm, dass es passiert ist, aber gut, wenn wir schnell da waren”, fasst er die Aufgabenstellung zusammen.
Und er versteht durchaus, wie Radsportler ticken: “Ich versuche, mich in die Rennmentalität einzufinden. Manche fühlen sich wie bei der Tour de France, und dann entstehen gefährliche Situationen.” Denn anders als bei der Tour de France findet die TOUR-Transalp nicht auf gesperrten Straßen statt, und neben dem sportlichen Wettstreit bestimmen die Verkehrsverhältnisse die Veranstaltung maßgeblich.
Dass Transalp-Renndirektor Marc Schneider seine Sicherheitshinweise aufgegriffen hat, erwähnt der Rettungsprofi ausdrücklich, vieles sei in den vergangenen Jahren verbessert worden. Denn bei aller Professionalität: Wenn sich schwere Unfälle ereignen, bleiben die Bilder verletzter Radsportler auch ihm jahrelang im Gedächtnis hängen; etwa die Kurve am Arlberg, an deren Leitplanke der bisher einzige Radsportler in der Geschichte der Transalp tödlich verunglückte.
Oder eine Stelle in den Dolomiten, an der ein Teilnehmer von der Bergwacht mit dem Seil zehn Meter von unterhalb der Straße aus einer gefährlichen Lage gerettet werden musste. “Das beschäftigt einen schon”, sagt Zimatschek mit leiser Stimme, nennt aber auch gleich ein Beispiel, wie mit vergleichsweise einfachen Mitteln Hilfe möglich ist: “Ich erinnere mich noch an einen Teilnehmer, der nach einem Wespenstich einen anaphylaktischen Schock hatte und bei dem die Atemwege bedroht waren. Dem konnten wir schnell helfen.” Auch diese positiven Momente prägen die Erinnerung - und so freut sich Sebastian Zimatschek jetzt schon, wenn er auch im nächsten Jahr wieder mit seinem Rescue-Team eine Woche durch die Alpen fahren kann.