Der Düsseldorfer Zahnarzt Carsten Rademacher (57) hat erst 2013 seine Liebe zu klassischen Stahlrädern entdeckt. Seit acht Jahren hat ihn das Bianchi-Fieber voll gepackt – er hat eine Sammlung aufgebaut, die nach seiner Aussage die komplette Stahl-Ära zwischen 1925 und 1990 abdeckt. Die Liebe zu Celeste hat sein Leben verändert.
TOUR: Angefangen hat deine Begeisterung für Stahlräder bei der L’Eroica 2013. Hattest du vorher keinen Bezug zu Fahrrädern?
Carsten: Ja, ich habe vorher mit Radsport oder mit Fahrradfahren überhaupt nichts zu tun gehabt. Es überrascht mich immer noch, dass das dann so ausgeufert ist. Aber Ich bin ja kein Einzelfall - auch TOUR hat ja schon öfter über Sammler berichtet. Da habe ich gelesen, was die so dazu gebracht hat und eigentlich sind es ähnliche Dinge.
TOUR: Und was ist es?
Carsten: Die Faszination für diesen alten Stahl in der in dieser schnell vergänglichen Zeit, in dieser Wegwerfgesellschaft. Ein Fahrrad, mit dem man sich fortbewegen kann und das ein Kunstobjekt ist. So hat das bei mir auch angefangen und wenn man dann sagen wir mal das erste alte Rad kauft und man benutzt das in Italien, dann spürt man dieses italienische Flair und diesen maroden Charme. Da sind diese ganzen Menschen, die haben alle diesen gleichen Virus, die sind alle verrückt nach diesen Rädern. Das ist eine Kombination aus mehreren Faktoren die einen so richtig hochpusht. Wo man sagt: Mensch das ist was ganz Besonderes, das kann man ruhig ein bisschen intensiver verfolgen. Das es dann fast zur Obsession wird, das geht immer schnell, wenn man sammelt. Man wird schnell so ein bisschen komisch beäugt.
TOUR: Dein erstes Rad war noch kein Bianchi …
Carsten: Nein. Mein erstes war aus Holland, ein Gazelle-Rennrad. Eigentlich super gemacht, so perlmuttfarben und da bin ich mit gefahren. Und ich war überrascht, wieviel Spaß das macht. Dann habe ich das mit nach Italien zur L’Eroica genommen und da war dieses ganze Drumherum, was immer noch mitschwingt. Ich habe danach angefangen, statt mit dem Auto mit Zug und Rad die 80 Kilometer zur Arbeit zu fahren. Also Teilstrecken mit dem Rad und manchmal auch die gesamte Strecke. Im Zug habe ich Zeit gehabt, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Was gibt’s noch, was sind das für Teile, was sind die besonderen Dinger und dann stößt man natürlich immer wieder auf Sammler und auf irgendwelche anderen Verrückten. Und weil mir die Farbe gefällt, habe ich angefangen Bianchi zu sammeln.
TOUR: Aber schnell ging es um besondere Bianchi Rennräder …
Carsten: Im Prinzip die Räder, die alle gut finden: Specialissima und die ganzen Top-Räder. Dann habe ich ein Buch gelesen über die Bianchi Geschichte und die ganze Weiterentwicklung der einzelnen Stahlräder. Da ist die gesamte Stahl-Ära beschrieben und daran habe ich mich orientiert. Ich wollte alle Räder haben, die Bianchi im Topsegment gebaut hat, mit allen kleinen Veränderungen und mit allen unterschiedlichen Rahmen. Das muss auch immer original sein.
TOUR: Wie hast du dir das Wissen angeeignet?
Carsten: Ich hatte Zeit im Zug und ich habe die richtigen Leute kennengelernt, in Italien, die schon ewig in diesem Bianchi Thema sind, und die auch die ganzen Teamräder aus den 60er 70er Jahren oder noch älter kennen. Die wissen genau, welche Komponenten da dran gehören.
TOUR: Wie bist du an die Räder gekommen?
Carsten: Ich habe viele Leute in Italien kennengelernt, die mir die Fotos von Rädern schicken, ohne dass ich danach frage. Da sind so einige, da habe ich das Gefühl, die schwärmen ständig aus in Italien, suchen nach Rädern. Ich suche eigentlich nicht mehr - mir werden diese schönen Sachen zugetragen.
TOUR: Die Räder und Teile kosten auch viel Geld …
Carsten: Ja, also ich habe jetzt gerade Schutzbleche bekommen. Schutzbleche aus Holz für das Bianchi M von 1925. Das sind Original-Schutzbleche, da ist sogar noch dieser Bianchi Adler eingeprägt. Für die habe ich zum Beispiel 600 Euro bezahlt. Oder Pedale von alten Rädern: wenn das Rad aus den 40er Jahren ist, dann zahlt man da 500 Euro für die Pedale. Wenn man überhaupt welche kriegt - die gibt's eigentlich gar nicht mehr. Viele Teile sind so selten, dass die quasi keinen Preis haben. Wenn jemand bereit ist, dies oder das zu bezahlen, dann kriegt er es und ansonsten nicht.
TOUR: Hast du da auch schon Fälle gehabt, wo dir jemand was unterjubeln wollte, was nicht original war?
Carsten: Ja, klar. Ich habe grad heute noch ein Bianchi gesehen auf Facebook, da war alles falsch, was irgendwie falsch sein kann: die Lackierung stimmte nicht und die ganzen Komponenten. Das ist so ein Markt diese Teile nachzubauen. Das sieht teilweise so schlecht aus, dass man das von weitem erkennt. Aber manchmal ist auch gut gemacht. Ich bin auf Facebook in einer Vintage International Gruppe der Admin. Ich helfe da auch gerne um diesen Schindluder, der da betrieben wird, so ein bisschen zu stoppen. Mir geht es darum, dass die Geschichte von Bianchi so gut wie es geht, authentisch aufrechterhalten bleibt.
TOUR: Wie bist du an das Rad von Rudi Altig gekommen?
Carsten: Da muss ich etwas ausholen. Ich war mit dem Rad, mit dem Johan De Muynck 1978 den Giro d‘Italia gewonnen hat, bei der L’Eroica. Das habe ich übrigens angeboten gekriegt von der Tochter von Felicie Gimondi. Die Tochter schrieb mir plötzlich eine Nachricht und sagte ich habe einen Kontakt zu Pietro Piazzalunga. Das war einer der der bekanntesten Radmechaniker, der die ganzen Teams betreute. Sie sagte: ich habe den Kontakt zu der Familie, die haben noch das Rad im Keller und das Original Maglia Rosa dazu. Und dann sagte sie: du kommst jetzt bald zur L’Eroica nach Italien: komm doch nach Bergamo und wir treffen uns bei der Familie des Mechanikers. Und dann habe ich das Rad da in den heiligen Hallen von diesem Mechaniker, wo die ganzen Teams auch damals betreut wurden, da konnte ich das Rad abholen. Das war so mein besonderes Erlebnis. Und als ich mit dem Rad in Italien bei der L’Eroica war, hat mich einer aus der Jury des Wettbewerbs um das eleganteste Rad, angesprochen. Er hat gesagt: “du bist doch Deutscher. Ich habe das Rad von Rudi Altig - wenn du Lust hast, verkaufe ich es dir.” Ich habe das dann übers Jahr bezahlt und ein Jahr später hat er mir das Rad mitgebracht.
TOUR: Die L’Eroica ist jedes Jahr gesetzt bei Dir?
Carsten: Ja, das klappt immer. Das ist ein schöner Termin, aber die gibt es ja mittlerweile nicht nur in Italien, die L’Eroica gibt es auch in Deutschland und an anderen Orten. Ich habe auch schon in den Dolomiten mitgemacht und auch in England. Die Retro Ronde in Flandern ist auch immer sehr schön.
TOUR: Vermutlich triffst du da immer wieder Leute, die du kennst?
Carsten: Ja, wir schreiben uns schon vorher in so WhatsApp-Gruppen: wann bist du da, fahren wir zusammen und so weiter. Und dann trifft man sich und hat eine gute Zeit. Das ist eben auch das Schöne und das schwingt auch immer mit, dass man wirklich nette Menschen trifft.
TOUR: Was nimmst du da für einen Rad? Fährst du auch die wertvollen Räder auf den Schotterstrecken?
Carsten: Ich nehme keines von den Profiteamrädern oder von den anderen hochwertigen. Die fahre ich nicht auf so einer Strecke.
TOUR: Zum Pendeln hast du auch ein Bianchi-Carbonrad. Fällt es nicht schwer, dann wieder auf den Fahrkomfort zu verzichten?
Carsten: Nee, überhaupt nicht. Das ist so eine emotionale Geschichte. Es macht einen Riesenspaß diese alten Schätzchen zu nehmen. Ich guck die auch immer wieder gerne an - ich kann mich da nicht dran satt sehen. Und die fahren schon gut. Also natürlich sind es eher die Räder aus den 70er oder 80er Jahren, die die gut fahrtauglich sind. Die uralten aus den 30er 40er Jahren, damit fahre ich nicht.