TOUR Redaktion
· 22.01.2023
Neues Jahr, neue Ziele: TOUR hat fünf Menschen gefragt, welchen Traum sie sich auf dem Rad 2023 erfüllen wollen.
34 Jahre, Wolfratshausen
Ich habe mein Rad seit 2017 – damals hieß es noch Crossrad, und ich bin Cyclocross-Hobbyrennen gefahren. Dann kamen Ausfahrten mit Gepäck in Deutschland dazu, und letztes Jahr meine Premiere bei einem Bikepacking-Rennen: Seven Serpents. Da möchte ich 2023 auch wieder starten – und zwar auf der 500-Kilometer-Strecke. Im vergangenen Jahr gab es nur das Rennen über 820 Kilometer, da kam ich in die Top Ten. Die Region ist sehr schön, und mir ging es auf der Strecke viel besser als erwartet. Ich musste nicht so viele Pausen machen, wie ich vorher gedacht hatte – ich hatte keine Sitzprobleme, auch die Beleuchtung hielt länger durch als erwartet.
Vorher war ich in dem Jahr nur fünfmal über 100 Kilometer unterwegs gewesen. Daher war ich nicht sicher, wie ich mit meiner Müdigkeit klarkomme. Diesmal werde ich versuchen, die 500 Kilometer durchzufahren oder mich höchstens einmal kurz hinzulegen. Ich habe mir aber nicht überlegt, in welcher Zeit ich es schaffen will. Zur Vorbereitung will ich an Weihnachten eine Bikepacking-Tour von München in meine Heimat Prenzlau machen und vielleicht über den Winter einen strukturierten Indoor-Plan durchziehen. Dazu muss ich mir aber erst eine Rolle besorgen.
An Bikepacking-Rennen gefällt mir, wie schnell man mit dem Fahrrad von A nach B kommt. Das ist schon krass, wenn man auf der Karte sieht, wie weit man in drei Tagen gefahren ist – und wie fit man nach drei Stunden Schlaf sein kann. Im Ziel anzukommen und sich dann mit anderen auszutauschen, ist sehr schön. Ich will 2023 auch noch andere Bikepacking-Rennen fahren, zum Beispiel das Bright Midnight in Norwegen oder das Basajaun in Spanien. Ich muss aber schauen, wie es mit dem Urlaub klappt.
500 Kilometer, 9000 Höhenmeter
Das Seven Serpents ist ein “unsupported bikepacking adventure” – man darf also nicht von Helfern begleitet werden und muss sich selbst um seine Verpflegung kümmern. Es gibt keinerlei Unterstützung durch die Organisation auf der Strecke. Der Track ist vorgegeben, man muss ihm folgen. 2023 geht’s von Ljubljana in Slowenien über Kroatien nach Triest in Italien.
Die zwei Routen-Varianten (500 und 850 Kilometer) führen jeweils über Straßen, schmale Feldwege, steinige Bergpfade und Trails quer durchs Gelände. Daher braucht man ein Gravel- oder Mountainbike. Teilweise muss das Rad auch geschoben oder getragen werden, zwischendurch setzt man mit der Fähre zur kroatischen Insel Cres über. Die Startgebühr beträgt 169 Euro. Erst vor Ort bekommt man detaillierte Infos zur Route. Alle, die teilnehmen, brauchen eine ärztliche Bestätigung, dass sie Sport treiben dürfen.
64 Jahre, München
Weil ich als Student in Brest wohnte, wollte ich unbedingt mal Paris-Brest-Paris (PBP) fahren. Der Einstieg in die Langstrecke war anfangs holperig, aber PBP 2019 hat dann gut geklappt. Es war sehr schön, deshalb will ich es mit drei, vier Freunden wieder angehen. Die Veranstaltung ist super organisiert, und die Zuschauer sind unfassbar: Nachts um zwei springen die von ihren Plastikstühlen auf, um einen anzufeuern.
Dazu die guten Bäckereien, das leckere Essen, die jubelnden Kinder entlang der Straße, die Feiern in jedem Dorf – dieses Brevet ist die Tour de France der Randonneure. Etwas Besonderes ist auch die große Zahl an Radlern aus der ganzen Welt – darunter nicht nur Rennradfahrer: Die Bandbreite ist faszinierend. Die Strecke ist nicht so wahnsinnig anstrengend, weil es keine Berge gibt. Man hat fast immer jemanden mit Leuchtweste vor sich, und man kann sich einfach orientieren. Die ganze Stimmung bei Paris-Brest-Paris ist sehr positiv. Ich war auch schon beim Ötztaler Radmarathon am Start, aber da sind die Leute viel ernster.
Randonneure bleiben stehen, wenn jemand einen Platten hat – jeder ist freundlich. Ich habe noch ein weiteres persönliches Ziel für die nächsten Jahre: Ich möchte alle europäischen Hauptstädte mit dem Rad besuchen. Das sind 46, und 19 habe ich schon. Von Paris aus werde ich nach einem Tag Pause die 900 Kilometer wieder nach Hause radeln. Aber erst muss ich mich für PBP qualifizieren – vielleicht fahre ich im März ein Brevet in Italien oder Freiburg-Mont Ventoux. Ich versuche, das 600er-Brevet möglichst früh im Sack zu haben.
1219 Kilometer, 11800 Höhenmeter
Der Audax Club Parisien ist Organisator von Paris-Brest-Paris – 2023 steht die 20. Ausgabe an. Nur alle vier Jahre findet dieses Brevet statt, wer mitfahren will, muss gut planen: Teilnehmer müssen eine erfolgreich absolvierte Serie an Qualifikations-Brevets nachweisen (200/300/400/600 Kilometer) und dann noch einen Startplatz ergattern. Randonneure, die 2022 bereits längere Brevets absolviert haben, dürfen sich zuerst anmelden.
In Deutschland bietet unter anderem die Vereinigung der Audax Randonneurs Allemagne (ARA) Qualifikations-Brevets an. Während 1931 zum ersten Paris-Brest-Paris 64 Starter antraten, wurde 2019 mit 6674 Teilnehmern der bisherige Rekord erzielt. 2023 wird die Zahl der Startplätze erstmals auf 8000 erhöht. Randonneure aus aller Welt versammeln sich zum Start in Rambouillet vor den Toren von Paris – darunter nur sehr wenige Frauen. Die überwiegend wellige Strecke ist ausgeschildert und führt nach Brest und wieder zurück nach Rambouillet. Je nach anvisierter Gesamtzeit gibt es verschiedene Startzeiten. Unterwegs muss man bestimmte Kontrollstellen innerhalb eines Zeitlimits erreichen.
50 Jahre, Bad Aibling
Mein erstes Rennrad habe ich 2008 gekauft, seitdem bin ich elf- oder zwölfmal den Dolomitenmarathon mitgefahren. Das war jedes Jahr mein Highlight, auf das ich trainiert habe. Ansonsten war ich in Regensburg beim Arber-Marathon oder bei mir um die Ecke bei der Wendelsteinrundfahrt oder dem Rosenheimer Radmarathon am Start. Ich habe einen anspruchsvollen Beruf, außerdem Familie – da ist die Zeit zum Radfahren begrenzt.
In den letzten Jahren dachte ich immer öfter: Der Ötztaler wäre ein Ziel, aber ob ich das wirklich schaffe? Ich bin jetzt 50 geworden, da ist klar: jetzt oder nie! Der Ötztaler ist im Alpenraum der bekannteste und härteste Radmarathon – er ist einfach legendär. Mir kommt es entgegen, dass er in diesem Jahr früher stattfindet. Sonst war er immer am Ende der bayerischen Schulferien – da war klar, dass Familienurlaub vorgeht. Mir geht es nur ums Ankommen – nicht um die beste Zeit.
Aber ich werde das erste Mal strukturiert trainieren* – im Winter auch auf der Rolle.
Im April plane ich einen Radurlaub auf Mallorca und Mitte Mai vielleicht ein verlängertes Wochenende am Gardasee, um Berge zu trainieren. Ein bis zwei Veranstaltungen möchte ich vor dem Ötztaler auch noch fahren – vielleicht den Nove Colli und den Rosenheimer Radmarathon. Rollentraining ist gut, weil sich das gut mit meinem Beruf vereinbaren lässt und ich mal vor Sonnenaufgang oder nach der Arbeit trainieren kann. Meine größte Sorge ist es, den Ötztaler nicht zu schaffen – ich will unbedingt den Zielbogen erreichen.
*TOUR wird Joachim Ramming in seiner Ötztaler-Vorbereitung betreuen und begleiten. In unserer Serie “Operation Ötztaler” können Sie seine Trainingsinhalte und -erfolge in den kommenden Ausgaben verfolgen.
227 Kilometer, 5500 Höhenmeter
Der Ötztaler ist im deutschsprachigen Raum der Radmarathon mit dem größten Prestige. Der schwerste Alpenmarathon ist der “Ötzi” nicht – offiziell sind es 227 Kilometer und 5500 Höhenmeter. Die Strecke ist komplett gesperrt, der Startort seit 2002 Sölden. Damit wartet eine fiese Kletterprüfung gegen Ende: das Timmelsjoch.
Die 1800 Höhenmeter zur Passhöhe sind für viele Starter und Starterinnen eine Leidensprüfung. Ungewohnt ist in diesem Jahr der Termin: Das Rennen wurde von Ende August auf Anfang Juli verlegt. Die Straßensperren waren in der Hauptreisezeit August zunehmend problematisch. Teilnehmer müssen also früher mit dem Training beginnen und haben weniger Zeit für Trainingswettkämpfe. Wer keinen Startplatz in der Verlosung ergattert, kann in einem engen Zeitraum ein Paket aus Hotelübernachtung und Startplatz kaufen.
21 Jahre, Brunnthal, Team Lotto Kern-Haus
Ich möchte einen Vertrag bei einem Profi-Team bekommen – mein großer Traum ist es, irgendwann mal die Tour de France zu fahren. Meine ersten zwei Jahre in der U23-Klasse waren komplett verloren. 2020 gab es wegen Corona kaum Rennen, und 2021 war für mich ein sehr schwieriges Jahr, weil ich nicht in das Team (Anm. d. Red.: Tirol KTM Cycling Team) gepasst habe.
Ich bin von der Statur her eher kräftig, die bergigen Rennen in Italien liegen mir nicht so, sondern eher die Klassiker in Holland und Belgien mit einem Sprint am Ende. 2022 habe ich Team und Trainer gewechselt. Dadurch bekam ich ein Rennprogramm, das mir mehr liegt, und ein Gefühl dafür, was ich besser machen muss. Meine Saison war zwar durch Corona und eine Erkältung zerstückelt, aber es lief trotzdem gut. Ich habe an vielen Stellschrauben gedreht und gute Veränderungen gespürt.
Traditionell sind Continental-Teams bzw. die Development-Teams der großen Rennställe bei den männlichen Profis das Sprungbrett für einen Profivertrag. Doch zunehmend mehr junge Talente überspringen die U23 und heuern nach der Juniorenzeit gleich bei einem Profiteam an, so wie der Belgier Remco Evenepoel, oder auch Luis-Joe Lührs, der Bruder von Leslie (bei Bora-Hansgrohe).
Continental-Teams starten teilweise bei den gleichen Rennen wie die World-Tour- und Pro-Continental-Teams. Wichtige Bühne für Nachwuchsfahrer sind auch die U23-Rennen bei Europa- und Weltmeisterschaften. Herausragende Bedeutung für den Nachwuchs hat das französische Etappenrennen Tour de l’Avenir. Deutlich wird das durch einen Blick in die Siegerliste der vergangenen Jahre: Nairo Quintana, Warren Barguil, Marc Soler, David Gaudu, Egan Bernal, Tadej Pogacar und Tobias Foss zeigten schon durch ihre Siege dort, dass mehr in ihnen steckt.
Das Mindestgehalt der Pro-Teams der Männer und der Women’s World-Teams in der neuen Saison beträgt 32100 Euro. Oft werden Nachwuchsfahrer in der World-Tour gegen Saisonende als sogenannte “Stagiaires” bei einzelnen Rennen an den Start geschickt und tageweise bezahlt. Während ein guter Helfer bei einem World-Team ab 100000 Euro verdient, liegen die Spitzengehälter der Stars im Männerradsport bei mehr als fünf Millionen Euro pro Jahr.
39 Jahre, Stuttgart
Ich habe in einem Internetforum durch Zufall von einem Rahmenbaukurs gelesen, da wollte ich das auch machen. Ein eigenes Rad zu bauen, ist eine coole Idee. Als ich ein Kind war, hat mein Stiefvater mir den Rahmen für mein Kinderrad geschweißt, aber da habe ich nur zugeschaut. Ich bastle gerne, habe mir zum Beispiel mein Bett selbst gebaut. Im Kurs möchte ich ein Gravelbike bauen, das ich für den Alltag und für Reisen nutzen möchte.
Ich hoffe, dass es eine hohe Traglast aushält, sodass ich auch mal mit mehr Gepäck reisen kann. Deshalb braucht es Ösen für Gepäckträger, damit Taschen dranpassen. Die Teile für das Rad habe ich schon zusammen, das hat mehrere Monate gedauert wegen der schwierigen Liefersituation. Was die Gestaltung betrifft, habe ich klare Vorstellungen: Es soll kupferbraun und moosgrün werden, dazu etwas Orange wie die Sonnenstrahlen im Wald.
Einen eigenen Rahmen zu bauen, ist aber Neuland und eine Herausforderung. Wenn das Rad fertig ist, möchte ich damit gerne eine größere Reise über zwei, drei Wochen machen. Ich habe an Taiwan oder Japan gedacht, aber einen genauen Plan habe ich noch nicht. Ich fahre so 6500 bis 8000 Kilometer im Jahr und bin auch in einem Gravel-Club, in dem wir uns per WhatsApp zu Ausfahrten verabreden.
In Deutschland gibt es eine Handvoll Anbieter von Rahmenbaukursen. Der US-Amerikaner Robert Piontek bietet in Potsdam Rahmenbaukurse an – für Rahmen mit und ohne Muffen. Bei der Variante mit Muffen werden Columbus-Stahlrohre über vorgefertigte Sockel miteinander verbunden und dann verlötet. Etwas anspruchsvoller ist es, die Rohre exakt anzupassen und mit Messing zu verlöten. Beim Rahmenbaukurs Gravelbike wird auf Muffen verzichtet – dadurch kann man den Winkel der Verbindungen flexibel gestalten. Der fünftägige Kurs mit maximal drei Teilnehmern kostet 2450 Euro inklusive der Materialien. Nach dem Kurs muss der Rahmen noch lackiert und dann mit den zuvor besorgten Anbauteilen komplettiert werden.