Operation Ötztaler RadmarathonTeil 2, Bikefitting

Robert Kühnen

 · 01.04.2023

Serie Operation Ötztaler Radmarathon
Foto: Ötztal Tourismus/Skarwan

Ein Familienvater, 50 Jahre alt und beruflich stark eingespannt, hat sich zum Ziel gesetzt, erstmals beim Ötztaler Radmarathon zu finishen. TOUR begleitet und betreut Hobbyfahrer Joe Ramming bei seiner Transformation zum Trainingsprofi. Unsere siebenteilige Serie dokumentiert bis Juli alle wichtigen Aspekte der Vorbereitung: vom Bikefitting über Ernährung bis zur Rennplanung.

Operation Ötztaler Radmarathon: Teil 2 - Bikefitting

Viele Bausteine bilden das Fundament für den Erfolg auf der Langstrecke. Ein wichtiger ist die Sitzposition. Zehn Stunden oder länger auf dem Rad zu sitzen, ist eine Herausforderung für sich. Dabei bis zum Schluss leistungs­fähig zu sein und mit kräftigem Tritt dem Berg die Stirn zu bieten, ist zentral, beim Ötztaler Radmarathon ganz besonders.

Denn der Hammer kommt bekanntlich zum Schluss in Form des Timmelsjochs. Deshalb besuchte Joe, der sich mit TOUR auf den Ötztaler Radmarathon vorbereitet, Anfang Januar die Bikefitting-Experten vom Radlabor in München für eine Bestandsaufnahme.

Joe hat zwar keine größeren Beschwerden und sitzt augenscheinlich gut auf seinem Rad. Aber kleine Baustellen gibt es immer. So ist Joe nicht ganz glücklich mit seinen Schuhen. “Meine Füße sind breiter als normal. Das geht ein paar Stunden gut, aber dann fangen sie an zu brennen”, gibt er zu Protokoll.



Ferner hat er sich bei einem Sturz 2014 die Hüfte gebrochen, was nachwirkt; ein Knie muckt gelegentlich auf, auch die Tretleistung ist nicht ganz ausgeglichen. Sein Powermeter zeigt, dass das linke Bein ein paar Prozent weniger Leistung erbringt. Auch hinter seinem Sattel macht Joe ein kleines Fragezeichen und würde gerne andere Modelle probieren.

Doch zunächst kommt sein Rad unter den Laser. Bikefitterin Uli Plaumann misst das BMC von Joe gewissenhaft durch. Sattel- und Handposition werden millimetergenau erfasst und in die Datenbank des Radlabors eingespeist. Die Daten sind Teil der Bestandsaufnahme zu Beginn des Bikefittings. Dann vermisst Uli Joes Körper. Sie ertastet die Gelenkspalte, markiert sie mit einem Filzstift und trägt die Punkte mit dem Messlaser ab. Die genaue Erfassung der Körperdaten ermöglicht einen Vergleich mit der Datenbank und eine erste Empfehlung zur Sitzposition.

Die genaue Erfassung der Körperdaten ermöglicht einen Vergleich mit der Datenbank und eine erste Empfehlung zur SitzpositionFoto: Robert Kühnen
Die genaue Erfassung der Körperdaten ermöglicht einen Vergleich mit der Datenbank und eine erste Empfehlung zur Sitzposition

Der Abgleich mit der Datenbank weist die eingestellte Sitzposition als goldene Mitte für ein Marathon-Rad aus. Nicht superflach, aber doch sportlich, sodass ordentlich Druck aufs Pedal kommt. Weiteres Ergebnis: Joes Beine und Arme sind länger als üblich für seine Körpergröße.

Ötztaler Radmarathon - Gute Basis

Anschließend spannt die Fitterin das Rad in einen Smarttrainer und bittet Joe, darauf in seiner gewohnten Position vor der Messwand zu treten. Von der Seite filmt eine fest installierte Videokamera seine Bewegungen. Der Hintergrund besitzt ein ausgeklügeltes Raster, das es erlaubt, kleine Abweichungen der Position in alle Richtungen visuell leicht zu erfassen. Uli gibt kurze, klare Anweisung, wie Joe treten soll, betrachtet ihn von der Seite und von vorne.

Der Lochsattel, den Joe bislang gefahren ist, passt nicht gut: Die 
Sitzknochen werden überhaupt nicht belastet, der Druck verteilt sich entlang der Ränder des LochsFoto: Robert Kühnen
Der Lochsattel, den Joe bislang gefahren ist, passt nicht gut: Die Sitzknochen werden überhaupt nicht belastet, der Druck verteilt sich entlang der Ränder des Lochs

Auf dem Monitor vor sich sieht Joe sich selbst. “Sich beim Treten zuzuschauen kann bereits recht erkenntnisreich sein”, sagt Uli. Nach ein paar Minuten hat sie sich ein erstes Bild verschafft: “Die Posi­tion ist grundsätzlich gut, aber ein paar Sachen fallen mir trotzdem auf.” Sie beobachtet, dass Joe ein Stück zu weit vorne auf dem Sattel sitzt. Die Beine sind etwas zu gestreckt, die Wade zu angespannt, der Fußwinkel zu groß. “Du sitzt zu weit hinten und dadurch auch zu hoch”, sagt Uli zu Joe.

Auf dem Bildschirm vor dem Rad ruft sie die erfassten Sitzdaten auf. Wir sehen die gemessenen Sattel- und Lenkerkoordinaten. In der Zeile darunter stehen die Empfehlungen des Radlabor-Algorithmus. Der schlägt vor, den Sattel anderthalb Zentimeter nach vorne zu schieben und die Sitzlänge um 2,3 Zentimeter zu verkürzen. Außerdem soll die Sitzhöhe um 5 Millimeter schrumpfen. Maschine und Beraterin empfehlen also ähnliche Maßnahmen.

Mit einer Druckmessfolie zwischen Sattel und 
Hose lässt sich der ­Satteldruck im Fahren testenFoto: Robert Kühnen
Mit einer Druckmessfolie zwischen Sattel und Hose lässt sich der ­Satteldruck im Fahren testen

Zur Beurteilung des Sattels kommt Messtechnik zum Einsatz. Die Satteldruckmessfolie von Gebiomized erfasst die Druckverteilung in der sensiblen Kontaktzone und bereitet die Messung grafisch auf. “Der Sattel passt gar nicht”, kommentiert die Expertin das Bild der Messung, “denn die Sitzknochen werden überhaupt nicht belastet.” Stattdessen wird der Satteldruck hauptsächlich an den Kanten des Lochsattels vom Weichgewebe aufgenommen.

Neuer Sattel

Gemessen am harten Urteil waren Joes Fahrerlebnisse mit dem Sattel gar nicht so schlecht, immerhin fuhr er damit den Dolomitenmarathon. Aber die Messung bestätigt, was Joe bereits vermutete. “Der Sattel ist zu schmal und fällt zu den Rändern zu schnell ab, dadurch sitzt du in der Kuhle vorne fest”, analysiert Uli und rät zu einem breiteren Modell, denn die Messung von Joes Sitzknochen hat 12,5 Zentimeter Abstand ergeben – überdurchschnittlich für einen Mann. Für die vornübergebeugte Rennradposition kommt noch ein Zuschlag von einem Zentimeter dazu. Der Sattel sollte also 14 Zentimeter breit sein. Uli rät zu einem entsprechenden Stufensattel von SQlab.

Der Abdruck der Sitzhöcker auf der Pappe verrät die richtige SattelbreiteFoto: Robert Kühnen
Der Abdruck der Sitzhöcker auf der Pappe verrät die richtige Sattelbreite

Mit einem Linienlaser sehen wir ferner, dass Joes Beine nicht exakt gerade auf und ab laufen, die Knie weichen seitlich aus. Uli vermutet die Schuhplattenposition als Ursache und bittet Joe, barfuß auf und ab zu gehen. Sie stellt daraufhin die Schuhplatten im Winkel neu ein, die Fußspitzen zeigen jetzt mehr nach außen.

Die Pedalplatten werden im Winkel korrigiert, um die Knie zurück in die Spur zu bringenFoto: Robert Kühnen
Die Pedalplatten werden im Winkel korrigiert, um die Knie zurück in die Spur zu bringen

Weiteres Aha-Erlebnis: Joes Füße sind gut 1,5 Zentimeter breiter als seine bisher genutzte Innensohle. “Ich habe schon sehr viele Schuhe probiert”, berichtet Joe, “aber ein richtig passender ist noch nicht dabei gewesen.” Schuhe bevorratet das Radlabor nicht, Uli rät dazu, die extrabreite Baureihe von Lake auszuprobieren.

Durch Beobachtung des Gangs findet Uli Plaumann Hinweise zur Korrektur der PedalplattenFoto: Robert Kühnen
Durch Beobachtung des Gangs findet Uli Plaumann Hinweise zur Korrektur der Pedalplatten

Mit neuem, etwas tiefer und weiter vorne stehendem Sattel – Uli reduziert die Sitzlänge noch etwas mehr als vom Algorithmus vorgeschlagen – sowie neu positionierten Schuhplatten nimmt Joe auf seinem Renner Platz. Uli weist ihn an, wie er auf dem SQlab-Sattel sitzen soll: “Du musst nach hinten rutschen, damit die Sitzknochen wirklich unterstützt werden. Präge dir die Position ein, am besten mit den Fingern ertasten; der Po sollte mit dem Sattel abschließen.” Anfangs solle Joe sich immer mal wieder vergewissern, vor allem ausreichend weit hinten zu sitzen, um den Sattel effizient zu nutzen. “Nach einer Eingewöhnungszeit sitzt man dann automatisch richtig”, berichtet die Fitterin aus eigener Erfahrung.

In der neuen Einstellung bleiben die Beine lockerer, die Waden werden weniger angespannt. Uli rät, den Fuß nicht zu stark abzuwinkeln, mehr als 95 Grad solle der Winkel zwischen Fuß und Unterschenkel nicht betragen. Die Druckmessfolie zeigt, dass der neue Sattel macht, was er soll: Jetzt tragen die Sitzknochen die Last. Für lange ­Strecken wie den Ötztaler Radmarathon rät Uli zu einem eher dünnen Hosenpolster, dann könne der straffe Sattel am besten unterstützen.

Mit der neuen Position ist die Fitterin zufrieden – bis auf die Bremsgriffhaltung. “Die Handgelenke knicken etwas ab, weil die Griffe zu tief sitzen”, analysiert die Expertin. Die ­Lösung: Die Griffe wandern ein Stück höher, sodass der Lenkerbogen flach in den Bremsgriff übergeht. Dadurch sitzt Joe auch einen Tick aufrechter.

Uli Plaumann überprüft noch einmal die optimierte SitzpositionFoto: Robert Kühnen
Uli Plaumann überprüft noch einmal die optimierte Sitzposition

Stein um Stein

Rund anderthalb Stunden hat die Prozedur aus Messen, Analysieren und Justieren gedauert, samt ausführlicher Erklärungen – alles in allem ein gut geölter Prozess. Ergebnis: Joe sitzt jetzt etwas tiefer und kürzer – und auf einem neuen Sattel. “Ich fühle mich wohl so und bin schon gespannt auf die ersten Bergfahrten mit der neuen Position”, sagt er. Uli will sich nach zwei Wochen erkundigen, ob die Anpassungen Wirkung zeigen. Mit der Anpassung ist auf jeden Fall die Zuversicht da, das Thema Position für den Ötztaler Radmarathon abhaken zu können. So kann der nächste Baustein unsere volle Aufmerksamkeit ­bekommen: Folge drei wird sich um die Ernährung drehen.

Operation Ötztaler Radmarathon

Zusammenfassung des Fittings

  • Schuhplatten: Fersen nach innen rotiert
  • Empfehlung für neue Schuhe
  • Sattel getauscht
  • 6 Millimeter weniger Sitzhöhe
  • 2,7 Zentimeter weniger Sitzlänge
  • Bremsgriffe höher montiert