Die Bremsen sind das sicherheitsrelevante Bauteil am Renner. Versagen die Stopper vor einem Hindernis oder einer engen Kehre auf rasanter Passabfahrt, ist der Crash vorprogrammiert. Stand der aktuellen Rennradtechnik sind Scheibenbremsen, die im Vergleich zu den klassischen Felgenstoppern mit Seilzug bessere Verzögerungswerte und auch eine bessere Dosierbarkeit in jeder Fahrsituation bieten. Doch wie bei jeder hochentwickelten Technologie erfordert ihre optimale Leistung regelmäßige Wartung und Pflege. Die systemtypischen Probleme sind Bremsflüssigkeit mit erhöhtem Wasseranteil oder Luft in der Bremsleitung, beispielsweise durch eine defekte Dichtung. Anzeichen, dass sich möglicherweise Luft im System befindet, sind ein schwammiges Gefühl beim Ziehen des Bremshebels und ein wandernder Druckpunkt, der anfangs spät, beim “Pumpen” mit dem Hebel aber immer früher kommt. Der Hebel lässt sich zunächst weiter als gewöhnlich durchziehen, ohne dass die Bremskraft entsprechend zunimmt. Dies liegt daran, dass die Luft in der Leitung komprimiert wird, anstatt den Druck über die Bremsflüssigkeit direkt auf die Bremskolben zu übertragen. Ein weiteres Anzeichen kann ein verzögerter oder ungleichmäßiger Druckpunkt sein, der das präzise Dosieren der Bremskraft erschwert. Darum ist es notwendig, das Mineralöl oder die DOT-Bremsflüssigkeit im Bremssystem regelmäßig zu erneuern, spätestens jedoch dann, sobald sich das beschrieben schwammige Gefühl beim Betätigen der Bremse bemerkbar macht.
DOT oder Mineral-Öl?
Mineralöl (Shimano, Campagnolo) ist weniger hygroskopisch (wasseranziehend), während DOT-Bremsflüssigkeit Wasser mehr anzieht und zudem ätzend ist. Bei der Handhabung von DOT-Flüssigkeit sind Schutzbrille und Handschuhe Pflicht, um die Haut und Augen zu schützen.
Als Medium kommen Mineralöl und DOT-Bremsflüssigkeiten zum Einsatz. Beide sind hygroskopisch, was bedeutet, dass sie im Laufe der Zeit Wasser aus der Umgebungsluft anziehen. Diese Wasseraufnahme kann die Bremsleistung erheblich beeinträchtigen. Bei DOT-Bremsflüssigkeit senkt das Wasser den Siedepunkt, was bei intensiver Nutzung zu Dampfblasenbildung und dann zu einem vollständigen Ausfall der Bremsen führen kann. Mineralöl ist zwar weniger hygroskopisch, jedoch können auch hier Verunreinigungen und Feuchtigkeit die Effizienz des Bremssystems verringern. Regelmäßiges Füllen und Entlüften der Bremsen stellt sicher, dass die Bremsflüssigkeit frei von Luftblasen und Schmutz ist. Zudem verlängert es die Lebensdauer der Bremskomponenten, da saubere Bremsflüssigkeit weniger korrosiv wirkt und die Dichtungen und Kolben schont. In der Anleitung im Nachfolgenden erklären wir am Beispiel Sram Schritt für Schritt, wie’s gemacht wird und welche grundlegenden Unterschiede es bei Campagnolo und Shimano zu beachten gibt. Wer sich diese Aufgabe zutraut und sie angehen möchte, dem empfehlen wir zusätzlich die modellbezogenen Wartungspläne der Bremsen-Hersteller mit weiteren Detailinformationen wie Drehmomentangaben und Schlüsselgrößen.
Aus meiner Erfahrung braucht es beim Befüllen und Entlüften vor allem Geduld, weil sich die Luftblasen gerne im Hebel oder Bremssattel verstecken. - Matthias Fischer, Mechaniker
Bei Modellen mit Griffweiteneinstellung muss vor dem Befüllen und Entlüften die größte Griffweite eingestellt werden, damit das maximale Flüssigkeitsvolumen im System nutzbar ist. Bei Sram befindet sich die Einstellschraube (3-mm-Innensechskant) vorne auf Höhe des Gelenks unter einer kleinen Abdeckung.
Als Schutzausrüstung beim Hantieren mit der Bremsflüssigkeit empfehlen sich Handschuhe und Schutzbrille. Je nach Hersteller sind verschiedene Torx- und/oder Innensechskant-Schlüssel sowie eine Spitzzange nötig; mit Putztuch und Isopropyl-Alkohol lässt sich überschüssige Bremsflüssigkeit entfernen.
Das Entlüftungs-Kit Pro von Sram ist sehr umfangreich und enthält neben den beiden Spritzen DOT 5.1-Bremsflüssigkeit, Gummidichtungen in verschiedenen Durchmessern, Schlauchverbinder, diverse Schraubenschlüssel und sogenannte Bleeding-Blocks, die bei ausgebautem Laufrad und Bremsbelägen als Abstandshalter zwischen den Bremskolben dienen. Preis: 116 Euro >> hier erhältlich.
Im Standard-Set von Campagnolo sind lediglich zwei Spritzen plus zwei Schraubadapter enthalten, von denen einer mit Schlauchverlängerung ausgestattet ist. Der Preis dafür beträgt knapp 43 Euro >> hier erhältlich.
Statt einer zweiten Spritze dient ein schraubbarer Trichter mit Stöpsel als Flüssigkeitsreservoir. Drei unterschiedliche Plastikkeile als Platzhalter ergänzen das Shimano-Service-Kit. Preis: 52 Euro >> hier erhältlich.
Nach dem Zurechtlegen der nötigen Werkzeuge wird die Spritze mit dem passenden Gewindeanschluss (schwarzes Schraubgewinde) zu drei Vierteln mit Bremsflüssigkeit befüllt. Dabei lässt es sich kaum vermeiden, dass etwas Luft angesaugt wird. Für eine blasenfreie Füllung die Spritze mit der Öffnung nach oben drehen und die Luft aus Zylinder und Schlauch drücken. Dabei den Kolben behutsam nach oben drücken, damit die trägen Luftbläschen Zeit haben, zu entweichen. Hält man dabei die Spritze gegen das Licht, lässt sich dieser Vorgang besser erkennen.
Die Demontage der Laufräder und Bremsbeläge ist notwendig und erleichtert den Umgang mit den Spritzen. Der eingesetzte Bleeding-Block bewirkt, dass die Bremskolben bis zum Endanschlag gedrückt werden. So wird die alte Bremsflüssigkeit beim Einfüllen mit der frischen restlos verdrängt.
Sind die Bremskolben blockiert, wird die zweite, leere Spritze mit der roten Flügelmutter (Bleeding-Edge-Adapter >> hier erhältlich) am Entlüftungsstutzen im Bremssattel angeschlossen.
Bevor oben die Torx-Schraube am Bremshebel geöffnet wird, sollte man gut vorbereitet sein: Die Entlüftungsschraube muss sich am höchsten Punkt befinden, damit möglichst wenig Bremsflüssigkeit austreten kann. Eine Putzlappen-Binde um den Bremsgriff saugt austretende Bremsflüssigkeit auf, bevor sie sich über Rad und Fußboden verteilen kann. Beim Entfernen der Schraube ist unbedingt auf die kleine O-Ring-Dichtung achten, damit sie nicht verloren geht.
Wer die Bremsen nur entlüften möchte, spart sich Schritt 4 und öffnet nach dem Einschrauben des Adapters die Schlauchklammer. Luft entweicht in aufsteigenden Bläschen. Durch Ziehen am Kolben entsteht Unterdruck, der den Aufstieg beschleunigt; leichtes Klopfen löst festhängende Bläschen im Hebel oder Bremssattel. Sobald keine Blasen mehr aufsteigen, etwas Druck auf den Kolben geben, dann kann der Adapter gelöst und der Zugang mit Schraube und O-Ring verschlossen werden.
Durch Druck auf den Kolben der oberen Spritze wird das Bremssystem nun mit der frischen Bremsflüssigkeit befüllt und gleichzeitig die alte nach unten in die leere Spritze verdrängt – erkennbar an der leichten Trübung. Sobald unten die frische und klare Bremsflüssigkeit sichtbar wird und keine Luftblasen mehr austreten, ist der Vorgang abgeschlossen. Nun wird der Entlüftungsstutzen verschlossen und der untere Adapter mit Flügelmutter kann wieder abgeschraubt werden.
Tipp: Ein leichter Zug am Spritzenkolben verhindert durch Unterdruck, dass beim Trennen des Adapters unnötig Bremsflüssigkeit danebengeht.
Vor dem abschließenden Funktionscheck nochmals kontrollieren, dass keine Luftblasen mehr vorhanden sind, unterstützt durch leichtes Betätigen des Bremshebels und mit Zug am Spritzenkolben. Ist ein deutlicher Druckpunkt spürbar, den Füllschlauch abklemmen und den Adapter vom Bremshebel abschrauben. Das Vorgehen bei der Hinterradbremse ist identisch, wobei aufgrund der längeren Leitung vom Hebel zum Sattel etwas mehr Bremsflüssigkeit nötig ist.
Öl- und Bremsflüssigkeitsreste müssen nach dem Service entfernt werden, damit sie Gummiteile, Lenkerband oder Lack nicht angreifen. Für die grobe Reinigung reicht ein Lappen oder Papiertuch. Gründlicher wird’s mit Isopropyl-Reiniger, mit dem auch Ton- oder Videoköpfe gereinigt werden. Der günstige Reiniger ist oberflächenschonend und säubert schlierenfrei. Bremsenreiniger säubert ebenfalls gut, lässt Lackflächen anschließend jedoch etwas matt aussehen. Die alte Bremsflüssigkeit muss fachgerecht entsorgt werden. Privatleute finden zu diesem Zweck spezielle Behälter auf dem nächsten Wertstoffhof.
Oben offen: Im Unterschied zu Sram hat die Spritze von Campagnolo ein Loch im Zylinder; der Schraub-Trichter von Shimano ist oben offen und lässt sich mit einem kleinen Stöpsel verschließen. Beim Entlüften bedeutet das eine andere Handhabung, da in der Leitung vorhandene Luft ohne Gegendruck schneller nach oben aus dem System entweichen kann. Gleichzeitig braucht es mehr Sorgfalt, da das Mineralöl leichter verschüttet werden kann.
Mit Druck von unten: Bei Campa und Shimano wird das frische Öl vom Bremssattel, also von unten, in die Leitung bis zur Pumpe im Griff gedrückt. Dazu müssen die Renner jeweils leicht nach unten geneigt werden, bei Shimano gut sichtbar am horizontalen Füllstand im Trichter. Neben dem Entlüftungssockel am Bremssattel, an den der Adapter angeschlossen wird, muss auch eine zweite Entlüftungsschraube vor dem Befüllen geöffnet werden.