Radkauf 2.0: Wer ein neues Rennrad möchte, geht – zum Bikefitter. Der nimmt alle relevanten Körpermaße auf und sendet die Daten an das örtliche Fertigungszentrum. Dort wird das Rad – Rahmen, Lenker, Sattel und etliche weitere Teile – produziert und steht zwei Wochen später zur Abholung bereit. Gedruckt aus Titan und Kunststoffen. Leicht, korrosionsbeständig, langlebig, nahezu vollständig recycelbar und nicht teurer als aktuelle Carbonräder. Ein Traum? Noch. Aber manches davon ist bereits Realität.
Auf der Eurobike im Juni in Frankfurt zeigte der holländische Hersteller Pilot Cycles „Seiren“ – den Prototyp eines Rennrades, gedruckt und verklebt aus drei Titanteilen. Die in Eindhoven ansässige Firma schweißt seit zehn Jahren konventionelle Titanrahmen auf Maß. Das jüngste Werk ist der erste Rahmen, bei dem auch die Rohre gedruckt werden, die Serienfertigung soll Ende des Jahres beginnen. Zunächst werden die Rahmenhöhen 54 und 56 mit Standardgeometrie angeboten. Mit hochwertigen Komponenten ausgestattet soll der Preis bei 16.000 Euro liegen. Auf Maß gefertigte Geometrien sollen folgen.
Bastion, ein australischer Hersteller, druckt Titanmuffen und verklebt darin Carbonrohre. Inspirieren ließen sich die Australier von der Diplomarbeit des Deutschen Ralf Holleis, der dieses Verfahren als Erster anwandte (siehe Interview unten). Bastion gibt an, einen Muffensatz in zwei Tagen drucken zu können. Die Räder, die so entstehen, sind auf Maß gefertigt und kosten rund 17.000 Euro. In vergleichbaren Regionen liegen auch die Räder von Sturdy Cycles aus England. Sie bestehen, anders als bei Bastion, vollständig aus Titan.
Tom Sturdy, Luftfahrtingenieur, lebt seinen Traum vom individuellen Rad wie kaum ein anderer und verschweißt die Rohre in Titanmuffen. Sturdy druckt auch Kurbeln, Lenker und Kleinteile und verleiht allen Produkten per Anodisierung eine robuste und besondere Ästhetik. Er ist Entwickler, Bikefitter und Hersteller in Personalunion. Trotzdem ist Sturdy schnell. Derzeit beträgt die Zeit vom Auftrag bis zur Auslieferung des individuellen Rades nur rund drei Monate. Bei Bastion hingegen müssen Interessenten mit mindestens einem Jahr Vorlauf kalkulieren.
Wenn man davon spricht, Gegenstände zu drucken (siehe unten), kommen dafür, grob vereinfacht, zwei technische Ansätze infrage: Das Verschmelzen bzw. Verschweißen eines in der Regel pulverförmigen Ausgangsmaterials ist das übliche Verfahren bei metallischen Gegenständen. Kunststoff wird mittels einer Düse aufgetragen.
Metall zu drucken ist teuer – besonders das Drucken großer Teile. Johannes Thumm, Ingenieur in Canyons Innovation Lab, berichtet, dass auf einer Messe jüngst ein Dienstleister anbot, Titanrahmen am Stück zu drucken – für 15.000 Euro pro Exemplar. Ein Preis, der vielleicht für Raketenteile bezahlt wird, für einen Fahrradrahmen im Einkauf sicher nicht. Canyon forscht trotzdem intensiv am Thema 3D-Druck von Titan, sagt Thumm: „Eigentlich dachten wir erst an Naturfaserverbundwerkstoffe, aber nach der positiven Resonanz auf einen gedruckten Alu-Rahmen in 2021 haben wir uns mit Titan beschäftigt, weil damit ein echter Stoffkreislauf realisierbar ist.“
Der Clou dabei ist eine Partnerschaft mit dem jungen US-Unternehmen Iperionx, das Titan mit neuen Verfahren viel kostengünstiger und umweltschonender schürfen will – in Tennessee in den USA. Titan ist ein eigentlich häufig vorkommendes, bislang aber schwer zu gewinnendes Metall. Iperionx hat außerdem ein Verfahren entwickelt, um das Metall mit vergleichsweise geringem Energieeinsatz zu recyceln, was so bislang auch nicht möglich war. Auf dieser Basis verfolgt Iperionx die Vision, Titan als nachhaltiges Metall vielseitiger als bislang möglich einzusetzen, nicht nur für Luft- und Raumfahrt und Medizintechnik – sondern auch für die Automobilbranche und Alltagsgegenstände.
Ob der Plan aufgeht, ist noch ungewiss. 2022 ist Iperionx an der Technologiebörse Nasdaq gestartet, die Prozesse befinden sich aber alle noch im Versuchsstadium. Der Geschäftsbericht weist darauf hin, dass es riskant sein kann, sein Geld in die Idee zu investieren. Sollte aber wahr werden, was das Unternehmen ankündigt, könnte Titan mit Carbon konkurrieren. Das geringe Gewicht optimierter CFK-Rahmen wird sich mit dem Metall vermutlich nicht erreichen lassen, dafür wären aber viele andere Vorteile damit möglich, insbesondere die lokale Produktion und eine freundlichere Öko-Bilanz.
Das Gewicht des Prototyps gab Pilot Cycles mit 1150 Gramm an, die nächste Version soll nochmals 100 Gramm leichter werden. Das wäre sehr leicht für Titan, aber immer noch 350 Gramm schwerer, als es mit Carbon derzeit möglich ist. Rennsiege lassen sich auf einem gedruckten Rad indes schon erzielen. Der italienische Radprofi Filippo Ganna raste zum Stundenweltrekord mit dem Pinarello Bolide F HR 3D-C, gefügt aus drei miteinander verklebten Alu-Druckteilen.
Das maßgeschneiderte Cockpit, das Ganna abstützte und gleichzeitig den Luftstrom lenkte, ist aus Titan gedruckt. Das Verfahren gab den Ingenieuren die Freiheit, viel schneller als mit Carbon verschiedene Varianten des Rades auf ihre aerodynamische Qualität zu testen und das Rad individuell an den Athleten anzupassen. Da kein Formenbau notwendig ist, fällt der Schritt vom Entwurf zum Rad drastisch kürzer und günstiger aus als mit Carbon.
Gedruckt werden aber nicht nur Rahmen bzw. Rahmenteile. Aktuell schon weiter verbreitet sind beispielsweise gedruckte Sättel, die mehrere große Hersteller im Programm haben. Posedla aus Tschechien fertigt als bislang einziger Anbieter schon individuelle Maßsättel auf Basis eines Gesäßabdrucks. Kostenpunkt: 490 Euro, abgesichert durch eine Geld-zurück-Garantie bei Nichtgefallen.
Der englische Hersteller Metron, der am Bau des Stundenweltrekord-Rades von Pinarello beteiligt war, verkauft Vorbauten und Bahnradlenker unter dem Label Mythos. Über 4-frames.de sind gedruckte Anbauteile erhältlich, mit denen man die Zeitfahrräder von Canyon um aerodynamisch optimal geformten Stauraum erweitern kann. Auch Kleinteile wie Startnummernhalter sind über den Webshop zu kaufen.
Die Technik des Druckens von Gegenständen ist also in der Fahrradwelt angekommen, ebenso wie in anderen Bereichen der Industrie, in denen Ersatzteile, Prototypen, aber auch Kleinserien bereits Realität sind. Gerade in der Luftfahrt kommt die Stärke des Druckens zum Tragen, weil sich komplexe Strukturen von Triebwerksteilen in einem druckbaren Teil zusammenfassen lassen, wodurch deren Gewicht sinkt.
Drucken wird nach Einschätzung der Experten kein kurzer Ausflug ins Abenteuer des Machbaren sein, eher im Gegenteil. Langfristig sei denkbar, dass Kunden beim Kauf von Maschinen direkt Daten zum späteren Drucken von Ersatzteilen erwerben, meint der Kunststoffdruck-Experte Jens Kruse vom Institut für integrierte Produktion in Hannover. Auch dies wäre ein Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit und könnte beim Fahrrad Teile wie Abdeckungen oder Verkleidungen aktueller Aero-Rennräder betreffen.
Selbst Vintage-Fans könnten alte Teile originalgetreu wiederbeleben. Dienstleister wie Scanmotion scannen Bauteile und entwickeln daraus auch Druckdaten. Ob das dann noch etwas mit Vintage und der Idee vom Erhalt historischer Fahrräder zu tun hat, darüber lässt sich am Stammtisch trefflich philosophieren. Fakt ist, dass die Macht der Daten auch die Sphären der Radherstellung erreicht hat.
Das Drucken von Werkstoffen ist im Prinzip vergleichbar mit einer Heißklebepistole, die maschinell geführt wird, Schicht um Schicht entsteht der Druckkörper. Im Unterschied zu klassischen (Metallbau-)Verfahren wie Fräsen wird nur das Material eingesetzt, das tatsächlich benötigt wird. Hohlkörper können im Inneren durch Netz- oder Gitterstrukturen verstärkt, Wandstärken punktuell an die Belastungen angepasst werden.
Fast alle. Beton, Keramik, Stahl, Aluminium, Titan, eine große Palette harter und weicher Kunststoffe und sogar Faserverstärkungen bis hin zur Endlos-Carbonfaser für hochbelastete Kunststoffteile.
Grob unterscheiden lassen sich Verfahren, die mit Pulvern arbeiten – das ist der gängige Prozess, um Metall zu drucken –, und solche, bei denen das Material über eine Düse aufgetragen wird, das gängige Kunststoffdruckverfahren.
Dieses Verfahren arbeitet mit sogenannten Filamenten, das sind Kunststoffdrähte verschiedenen Typs, die von Trommeln abgewickelt und über eine Düse verarbeitet werden. Zur Wahl stehen verschiedenste Kunststoffe bis hin zu carbonfaserverstärktem Nylon. Gedruckt wird auf einer beheizten Trägerplatte, von der das Objekt später abgelöst wird. Industrielle FFF-Drucker kosten ab 10000 Euro.
Bei diesem pulverbettbasierten Schmelzen wird eine superdünne Metallpulverschicht auf die Bauplatte aufgetragen, ein oder mehrere Laser verschweißen das Pulver absolut punktgenau, dann folgt die nächste Schicht usw. Am Ende ist der fertige Körper begraben unter unverbrauchtem Pulver, das abgesaugt und wiederverwendet wird.
Der Körper ist nach dem Drucken fertig. Zonen mit sehr kleinen Toleranzen wie Lagersitze werden nachbearbeitet. Es gibt auch Werkzeugmaschinen, die beide Techniken, FFF und SLM, kombinieren. Die Technik ist teuer, Laserdrucker kosten ab 100000 Euro, und die Größe der druckbaren Teile ist limitiert. Typische Bauräume sind nur 30 x 20 x 20 Zentimeter groß, weshalb Fahrradrahmen nicht am Stück gedruckt werden können.
Ein FFF-Drucker, der Kunststoff verarbeitet, ist ab rund 300 Euro erhältlich. Der Bauraum, in dem das Produkt entstehen kann, ist relativ klein; nutzt man ihn aus, läuft der Drucker auch mal zwei Tage oder länger. Kleinteile wie Halter für Computer, Lampen oder Startnummern sind problemlos druckbar, richtig feste und gewichtsoptimierte Bauteile hingegen eher nicht. Einen Vorbau oder eine Kurbel zu drucken, ist deutlich komplizierter und teurer. Metall-Laserdrucker für hochbelastete Teile sind richtig teuer und nichts für zu Hause.
Metallobjekte lassen sich über einen Umweg aber auch kostengünstiger in Kunststoffdruckern mit gehärteten Düsen erstellen. Pulverförmiges Metall wird dazu in Kunststoffen gebunden.
Der Kunststoff-Metall-Verbund wird durch Düsen verarbeitet, der Drucker schmilzt dabei zunächst nur den Kunststoff an. Der Rohling muss dann in einer Lösung gewaschen werden, anschließend kommt das Ganze in einen Sinterofen, wo bei sehr hohen Temperaturen Kunststoff verbrennt und die Metallbestandteile miteinander verschmelzen.
Der Körper schrumpft dabei um rund 20 Prozent seiner ursprünglichen Größe, was bei der Konstruktion berücksichtigt werden muss. Die Nachbehandlung bieten Dienstleister an. Die Methode ist vor allem für Kleinteile bis maximal 100 x 100 x 100 Millimeter gedacht.
Vor dem Drucken steht das Konstruieren. Druckdaten für viele einfache Gegenstände findet man auf Tauschplattformen im Internet. Sogar die Daten zum Drucken eines MTB-Rahmens am Stück stehen zum Download bereit.
Wer selbst konstruieren will, benötigt dazu CAD-Software, um ein Modell zu erstellen und Druckdaten zu erzeugen. Beginnen kann man mit kostenloser CAD-Software wie Tinkercad. Für nicht kommerzielle Zwecke sind sogar ausgefuchste Profi-Programme wie Onshape kostenlos zugänglich – die so erzeugten Konstruktionen sind dann aber frei verfügbar.
Ralf Holleis, Inhaber von Huhn Cycles, ist Pionier des 3D-Drucks von Fahrrädern
Das Interview wurde geführt von Robert Kühnen
TOUR: Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie verrückt muss man sein, um 3D-Druck am Fahrrad einzusetzen?
Ralf Holleis: 2011 war ich der Erste, damals war das noch sehr verrückt, ich würde sagen, acht bis neun. Inzwischen ist die Marketingarbeit getan, und es gibt Vertrauen ins Drucken. Heute ist es höchstens in finanzieller Hinsicht immer noch verrückt.
TOUR: Wie sind Sie darauf gekommen, 3D-Druck beim Fahrrad einzusetzen?
Ralf Holleis: Ich wollte unbedingt einen Rahmen bauen, das war mein Traum im Studium. Ich hatte aber kein Geld, um einen Rahmenbaukurs zu besuchen. Dann ergab sich eine Gelegenheit: Im Dorf nebenan entstand ein Start-up für 3D-Druck. Die haben mir die Muffen fürs erste Rad, das ich im Rahmen meiner Diplomarbeit entwickelt habe, umsonst gedruckt. Das war mein Sprungbrett. Thema der Arbeit war damals auch die Anpassung des Rades an den Menschen. Ich habe dazu ein Programm entwickelt, das die Konstruktionsdaten automatisch anpassen kann.
TOUR: Warum wurde Ihr erstes Rad ein Bahnrad?
Ralf Holleis: Ich war jung und studierte, und Fixies waren hip. Damals ist man Fixies in der Stadt gefahren. Ein Fixie ist außerdem die banalste Maschine, die man bauen kann – keine Bremsaufnahmen, einfach nix. Ich wollte auch ein leichtes Rad bauen. Das Fixie kam auf 4,9 Kilo.
TOUR: Warum haben Sie den ersten Rahmen geklebt?
Ralf Holleis: Mir war das Handwerk anfangs nicht geläufig, deshalb habe ich die Rohre mit den Muffen verklebt.
TOUR: Sie haben die Bauweise beibehalten; was ist der Vorteil gegenüber stumpf geschweißtem Titan?
Ralf Holleis: Die Teile sind intelligenter. Ich kann Kabelführungen integrieren und Gewindelöcher und innere Stützstrukturen. Ich kann den Kraftfluss optimieren, über die Gestalt der Teile und die Wandstärken. Und Muffen sparen dem Rahmenbauer viel Zeit. Knotenpunkte wie den Sitzknoten durch Bearbeitung der Rohre herzustellen, dauert ein paar Stunden. Das geht mit den Muffen viel schneller. Auch gedruckte Ausfallenden sparen sehr viel Zeit.
TOUR: Was kostet ein Kilo Titandruck?
Ralf Holleis: Das ist schwierig zu beziffern. Es hängt von der Stützstruktur ab, von der Anzahl der Laser in der Maschine und der nötigen Nacharbeit. Der Trend geht zur Kleinserie. Ein Muffensatz für ein Fahrrad auf einer Bauplatte ist heute nicht mehr interessant, das ist teuer und zeitaufwendig. Bei Druckern mit vier Lasern, wie sie aktuell verwendet werden, ist die Auslastung besser, wenn ich viermal das gleiche Teil drucke. Ein Kilo Titandruck liegt ungefähr zwischen 2000 und 4000 Euro.