Jens Klötzer
· 02.05.2023
Die Marke Storck stand einst – unter anderem – für rekordverdächtigen Leichtbau. Das Storck Aernario.3 soll in der Platinum-Variante an diese Zeiten anknüpfen, dabei aerodynamisch und komfortabel sein. Wie gut der Spagat gelingt, zeigt das Rad im TOUR-Test.
Wenn sich um die Komplettrad-Waage im TOUR-Labor eine kleine Traube interessierter Kollegen bildet, ist das immer ein Zeichen dafür, dass etwas Besonderes den Weg in den Münchener Testkeller gefunden hat. So auch beim Storck Aernario.3 Platinum, das in der Top-Version schon optisch klarmacht, dass es auf so manchen Rekord aus ist: Carbon, wohin das Auge blickt; kaum Lack, der die schwarzen Fasern verdecken könnte. Mucksmäuschenstill wird es, als der Metallhaken der Hängewaage unter die zarte Carbonsattelnase greift.
Bei 6560 Gramm (ohne Pedale) bleibt die Waage schließlich stehen, was den Umstehenden ein respektvolles Nicken entlockt. Unter den noch aktuellen Serienrädern sind nur das Specialized S-Works Aethos (6200 Gramm) und das Giant TCR Advanced SL (6540 Gramm) leichter; beide haben vor allem aerodynamische Schwächen, was das Aernario besser können will – dazu später mehr.
Schon der Rahmen gehört mit gut 800 Gramm zu den Leichtgewichten am Markt; nur das Specialized Aethos kann sich in der Disziplin noch deutlich absetzen, dahinter ballen sich um das Aernario.3 die prominenten Leichtbauspezialisten der Branche: Cervélo R5, Trek Émonda und Giant TCR finden sich in dieser Gewichtsklasse.
Darüber hinaus zieht Storck auch beim Aufbau des Rades noch manches Register: Zarte Zeitfahrreifen von Continental, leichte Aerothan-Schläuche von Schwalbe oder der Vollcarbonsattel von Selle Italia sind zwar nicht die alltagstauglichsten Komponenten, aber wohl die leichtesten, die man ohne Angst um seine Gesundheit ans Rad schrauben kann.
Entsprechend bemerkenswert ist das Fahrerlebnis mit dem Boliden. Das Storck nimmt rasend schnell Fahrt auf und hält gut Tempo. Weil es gefühlt von jedem Pedaltritt etwas beschleunigt wird, verleitet es regelrecht zum Rasen, besonders wenn es bergauf geht. Windschnittige Laufräder von DT Swiss und die fabelhaft rollende Bereifung hinterlassen auch in der Ebene einen schnellen Eindruck.
Wie es wirklich um den Highspeed steht, kann objektiv nur der Test im Windkanal zeigen: Hier schlägt sich das Modell passabel. Mit 220 Watt, gemessen bei 45 km/h im TOUR-Versuchsaufbau, reiht es sich in die Riege vieler namhafter Leichtbau-Modelle ein. Eine große Stärke des Storck Aernario.3 ist die Disziplin nicht; in diesem Kriterium gute Allrounder benötigen etwa 10 Watt weniger, spezialisierte Aeroflitzer wie Storcks Aerfast sogar bis zu 20 Watt weniger Tretleistung für den gleichen Speed – sind allerdings bedeutend schwerer.
Viele Punkte holt sich das Aernario.3 dagegen beim Komfort: Die leichte Carbonstütze federt exzellent; schwerere Piloten könnten sich sogar eine etwas straffere Abstimmung wünschen.
Die Sitzposition fällt aufgrund des weit vorgebogenen Lenkers sportlicher aus, als es die Rahmenmaße vermuten lassen – im Test-Setup präsentierte sich das Storck Aernario.3 als astreines Renngerät. In der Größentabelle fällt außerdem auf, dass es das Rad in sehr großen, aber kaum kleinen Rahmenhöhen gibt – die zweitkleinste Testgröße M passte unseren 1,80 Meter großen Testfahrern gut. Anfänglich gewöhnungsbedürftig ist das quirlige Lenkverhalten, denn der sehr kurz gebaute Rahmen reagiert unmittelbar auf leichteste Lenkbewegungen.
Das macht die Fahrt zwar kurzweilig und in Kriterien ließe sich mit Spaß um scharfe Kurven flitzen; schnelle Abfahrten erfordern aber eine ruhige Hand, vor allem bei Windböen. Eher individuell ist die Kritik an den Kontaktpunkten: Der ungepolsterte und kaum nachgiebige Carbonsattel dürfte nur wenigen Fahrern wirklich gut passen, ließe sich aber leicht austauschen. Bei der hauseigenen Lenkerkombi wird das schon komplizierter: Wem der flache Oberlenker nicht liegt, oder wem die Bremshebel zu tief sitzen, der wird das nur mit großem Aufwand ändern können.
Die Hebel lassen sich kaum höher montieren, und die Lenkerkombi gibt es nur in Einheitsgröße. Auch der Übergang von den breiten Griffkörpern zum schmalen Lenkerrohr wirkt etwas inhomogen. Weitere Details, die in dieser Preisklasse besser gelöst sein könnten, sind die schlichte Gummiabdeckung an der Stützenklemmung und das etwas fummelig einzustellende Lenklager.
Wer mit diesen Kleinigkeiten leben kann, bekommt mit dem Aernario.3 Platinum ein echtes Leichtgewicht mit viel Komfort, erlesener Ausstattung und konkurrenzfähiger Aero-Performance geboten, das sogar weniger kostet als ähnliche Leichtbaukonzepte von Wettbewerbern. Vierstellige Listenpreise sind für Rennräder dieses Kalibers heute leider eine Seltenheit; mit unter sieben Kilogramm Komplettgewicht dürfte das Aernario.3 Platinum sogar das einzige sein, das nicht die 10000-Euro-Marke knackt. Wer’s nicht ganz so leicht braucht, kann zu einer preiswerteren Rahmenqualität greifen, die erfahrungsgemäß nur wenig mehr wiegt: Das Storck Aernario.3 Pro startet mit Shimanos Ultegra Di2-Ausstattung bei 6499 Euro.
>> Das Storck Aernario.3 Platinum Disc bekommt eine TOUR-Gesamtnote von 1,5
*Gewogene Gewichte.
**Herstellerangabe Testgröße fett.
***Stack/Reach projiziertes senkrechtes/waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerrohr;
STR (Stack to Reach) 1,36 bedeutet eine sehr gestreckte, 1,60 eine aufrechte Sitzposition.
****Laufradgewichte inklusive Bereifung, Kassette, Schnellspanner/Steckachsen und ggf. Bremsscheiben.
*****Einzelnoten, die unterschiedlich gewichtet in die Gesamtnote einfließen, drucken wir aus Platzgründen nur zum Teil ab. Die Noten werden bis zur Endnote mit allen Nachkommastellen gerechnet; zur besseren Übersichtlichkeit geben wir aber alle Noten mit gerundeter Nachkommastelle an.
******Aerodynamik theoretisch benötigte Tretleistung, um den Luftwiderstand bei 45 km/h zu überwinden, gemessen im Windkanal mit einem tretenden Beindummy.