Gravelbike, Wettkampfrenner und nun ein Marathonrad: Focus hat in den vergangenen Monaten ein Feuerwerk neuer Produkte gezündet und sein Sortiment an Rädern mit gebogenem Lenker auf links gedreht. Nach dem geländetauglichen Atlas und dem aerodynamisch optimierten Izalco Max bekam Ende 2023 auch das Paralane einen neuen Anstrich verpasst und kehrt mit bewährten Tugenden zurück. Wie der Vorgänger, der während der Corona-Pandemie nicht mehr erhältlich war, will das neue Rad viel Fahrkomfort bereitstellen und ein breites Einsatzspektrum eröffnen. Nachdem wir bereits kurz vor der offiziellen Vorstellung des Paralane das Mittelklassemodell fahren konnten, nahmen wir nun die Top-Version namens Paralane 8.9 in Labor und Praxis genauer unter die Lupe.
“Draufsetzen, wohlfühlen”: Mit wenigen Worten umschreibt der Cloppenburger Fahrradbauer die Kernidee hinter seinem Endurance-Rennrad. Dieser Aufforderung kamen unsere Testfahrer gerne nach und machten schon nach wenigen Kurbelumdrehungen eine markante Änderung aus: Im Vergleich zur früheren Version verpasste Focus dem Paralane des aktuellen Modelljahrs eine aggressivere Rahmengeometrie, die sich in einer gestreckteren Sitzposition äußert. Neben einem kürzeren Stack (tatsächliche Rahmenhöhe) kommt die sportliche Haltung durch den Vorbau zustande, den das Paralane vom Izalco Max inklusive der teilintegrierten Bremsleitungen übernimmt.
Der Reach-Plus-Wert, der relativ exakt die Sitzlänge beschreibt, weicht deutlich von vergleichbaren Marathonrädern ab. Charakteristisch für die Endurance-Kategorie ist das gutmütige Fahrverhalten. Durch den langen Radstand (1020 Millimeter) und großen Nachlauf (63 Millimeter) fährt das Paralane wie an der Schnur gezogen, Lenkbefehle werden dennoch direkt umgesetzt. Das größte Plus des Focus Paralane 8.9 ist dessen sehr guter Federkomfort am Sattel. Die unscheinbare Carbonstütze von Easton mit 27,2 Millimetern Durchmesser glättet Unebenheiten spürbar. In Kombination mit den 32-Millimeter-Reifen fühlt sich das Focus auch auf leichten Schotterwegen wohl. Der Carbonlenker flext ebenfalls ordentlich, insgesamt ist die Front aber härter abgestimmt und reagiert auf Erschütterungen etwas unnachgiebiger.
Dank der maximalen Reifenfreiheit von 35 Millimetern lässt sich der Einsatzbereich noch mehr Richtung Gelände verschieben. Schon der Vorgänger fasste Reifen in dieser Breite und war damit seiner Zeit voraus, inzwischen sind Pneus dieser Dimension im Endurance-Bereich zum Standard geworden. Neuere Konzepte, die sich als sogenannte Allroad-Bikes zwischen Marathonrad und Gravelbike schieben, erlauben inzwischen sogar 40 und mehr Millimeter breite Reifen. Die sportliche Sitzposition und die dezenten Kammtail-Rohrprofile des steifen Rahmen-Sets suggerieren, dass das Paralane neben seiner Vielseitigkeit auch auf hohes Tempo getrimmt ist. Das Gesamtgewicht von 8,6 Kilogramm – die günstigeren Ausstattungsvarianten wiegen mehr als neun Kilogramm – unterstreicht diese Ausrichtung aber eher nicht.
Anders als beim Vorgänger bringt der Carbonrahmen mehr als 1000 Gramm auf die Waage, zudem verzichtet Focus selbst bei der Top-Version auf leichtere Carbonlaufräder. Diskussionswürdig ist die Reifenwahl: Zwar lassen sich Pneus für relativ kleines Geld tauschen, doch an einem 5299 Euro teuren Rennrad wirkt der eher einfache und etwas zäh rollende Vittoria Rubino deplatziert. Ein anderes Detail kann dagegen vollauf überzeugen: das Schutzblech-Set. Die langen Schmutzfänger schützen sehr gut vor Nässe, lassen sich unkompliziert an Rahmen, Gabel und speziellen Steckachsen befestigen und erlauben noch 33 Millimeter breite Reifen. Im Gegensatz zur großen Oberrohrtasche, die bei allen Varianten zur Serienausstattung gehört, ist das Schlechtwetter-Kit aufpreispflichtig (59,99 Euro).
Insgesamt ist das neue Paralane ein vielseitiges Marathonrad, das sich bis auf das Gewicht keine nennenswerten Schwächen leistet. Oder anders gesagt: Draufsetzen, wohlfühlen! Durch die eigenständige Rahmengeometrie zieht das Focus zudem eine Trennlinie zum Gros der Konkurrenz und spricht Rennradler an, die auch auf einem Endurance-Rad sportlich sitzen wollen. Erhältlich ist das Paralane in drei Ausstattungsvarianten mit bergtauglichen Zwölffach-Schaltungen ab 2999 Euro.
Das Paralane macht auch abseits asphaltierter Straßen eine gute Figur. Allerdings ist es recht träge im Antritt. - Kristian Bauer, Redakteur News und Hobbysport