Julian Schultz
· 28.02.2023
Das Rondo Ratt versteht sich als vielseitiges Allroad-Bike, seine breiten Reifen rücken es aber erkennbar nah ans Gravelbike. Die Besonderheit: Über die Gabel lässt sich die Lenkgeometrie ans Terrain anpassen.
Auffälliges Rahmendesign, extrem breite Reifen und verstellbare Lenkgeometrie: Das neue Ratt von Rondo ist kein Rad von der Stange. Das will es auch gar nicht sein. Schließlich hat sich die junge Marke in der Szene einen Namen mit Bikes gemacht, die mit Konventionen brechen. Genau so, wie es dem Firmengründer Szymon Kobylinski bereits in den 1990er-Jahren gelang – allerdings in anderer Rolle: Als Gitarrist einer polnischen Crossover-Band, die ihm laut eigener Aussage “eine richtige Rockstar-Karriere” und im Nachbarland gar eine Goldene Schallplatte für 50.000 verkaufte Tonträger bescherte.
Die Bühne hat Kobylinski inzwischen zwar gegen ein Büro in Danzig eingetauscht, feiern lassen konnte er – beziehungsweise die Marke Rondo – sich aber dennoch weiter. 2017 gab es den Eurobike-Award für das Gravelbike Ruut, das erste Rad des jungen Unternehmens. Inzwischen umfasst die Produktpalette fünf geländetaugliche Modelle mit Rennlenker, das Ratt ist der jüngste Neuzugang. Das Allroad-Bike soll neben der extravaganten Optik mit seiner Vielseitigkeit punkten und “sich im Duell mit klassischen Rennrädern nicht verstecken müssen”, so der Hersteller.
Allroad-Renner oder Gravelbike? Die Frage nach dem Charakter ist beim Ratt diffizil und passt zum unangepassten Auftritt der Marke. Rondo selbst reiht es ins wachsende Segment der Allroad-Bikes ein. Wir würden es eher als Gravelbike sehen, mit den entsprechenden Konsequenzen für die Bewertung, insbesondere hinsichtlich des Federungskomforts. Der Grund dafür sind die dicken Schlappen.
Bereits ab Werk reizt das Rondo den Spielraum aus, den Rahmen und Gabel erlauben, und rollt auf 47-Millimeter-Pneus, die sich auf den schmalen 650B-Felgen im Mountainbike-Format sogar auf etwas mehr als 50 Millimeter wölben. Das trifft man selbst bei reinrassigen Gravelbikes selten an. Allroad-Räder mit 700C-Laufrädern lassen in der Regel Platz für maximal rund 38 Millimeter breite Reifen. Das Ratt ließe sich auf 700C-Laufräder umrüsten.
Die breiten Reifen macht sich im Federkomfort des Bikes bezahlt. Wie selbstverständlich schluckt das Ratt Hindernisse, erst in grobem Geläuf mit dichten Wurzelteppichen kommt es aus der Spur. Hier macht sich das trotz der tief ansetzenden Hinterbaustreben nur mäßig federnde Rahmen-Set bemerkbar, auch die voluminöse Gabel federt kaum. Auf Asphalt rollt das Rondo dank der glatten Lauffläche in der Reifenmitte ordentlich, auf ein Duell mit einem Straßenrad würden wir es aufgrund des Gewichts von knapp neun Kilo dennoch nicht ankommen lassen wollen.
Um das Fahrverhalten möglichst nahe ans klassische Rennrad anzulehnen, bedient sich Rondo wie beim preisgekrönten Rutt eines Kniffs und steckt eine Twin-Tip-Gabel in den Rahmen, die für das Vorderrad zwei Positionen erlaubt. In tiefer Position – unsere Messwerte (siehe unten) beziehen sich darauf – präsentiert sich das Rad als fahrstabiler Begleiter mit betontem Geradeauslauf. In hoher Position steuert das Rondo direkter um Kurven, fast schon etwas unruhig, und erinnert an das wendige Fahrverhalten eines Straßenrenners.
Der deutlich spürbare Unterschied in Zahlen: Der Nachlauf, neben Lenkwinkel und Gabelvorbiegung eine wichtige Kennzahl für das Lenkverhalten, variiert zwischen beiden Positionen um 16 Millimeter. Ein krasser Unterschied, da üblicherweise schon wenige Millimeter Differenz die Fahrcharakteristik verändern können. Zudem ist der Umbau mit wenigen Handgriffen und, wenn erforderlich, auch unterwegs schnell erledigt.
Deutlich mehr als dieser Technik-Kniff fällt natürlich das extravagante Rahmendesign des Rondo Ratt ins Auge. Das Oberrohr mit querovalem Profil und Knick kurz vor dem Sitzrohr betont Elemente, welche die Eignung als Crosser signalisieren, weil es sich so bequemer schultern lässt – sofern man das mit einem Neun-Kilo-Brummer machen möchte. Das Unterrohr mit trapezförmigem Querschnitt, das wuchtige Steuerrohr sowie der markante Knick im Gabelkopf unterstreichen den individuellen, technoiden Auftritt. Rock’n Roll eben.
Rondo bietet das Ratt aktuell in zwei Carbon-Qualitäten an, als CF1 für 4699 Euro und als CF2 für 3799 Euro, für beide sind lediglich vier Rahmengrößen verfügbar.
Das CF2 wiegt mit etwas einfacheren GRX-Komponenten von Shimano laut Hersteller 9,6 Kilo. Die neue Produktfamilie soll noch in diesem Jahr Zuwachs bekommen, unter anderem in Gestalt eines Alu-Modells.
*Gewogene Gewichte.
**Herstellerangabe Testgröße fett.
***Stack/Reach projiziertes senkrechtes/waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerrohr;
STR (Stack to Reach) 1,36 bedeutet eine sehr gestreckte, 1,60 eine aufrechte Sitzposition.
****Laufradgewichte inklusive Bereifung, Kassette, Schnellspanner/Steckachsen und ggf. Bremsscheiben.
*****Einzelnoten, die unterschiedlich gewichtet in die Gesamtnote einfließen, drucken wir aus Platzgründen nur zum Teil ab. Die Noten werden bis zur Endnote mit allen Nachkommastellen gerechnet; zur besseren Übersichtlichkeit geben wir aber alle Noten mit gerundeter Nachkommastelle an.
******Aerodynamik theoretisch benötigte Tretleistung, um den Luftwiderstand bei 45 km/h zu überwinden, gemessen im Windkanal mit einem tretenden Beindummy.