Best of Test 2023Komfortabelstes Gravelbike - Specialized Diverge STR Expert

Julian Schultz

 · 31.12.2023

Mehr Federkomfort als das Specialized Diverge STR Expert bot im Testjahr 2023 kein anderes Gravelbike.
Foto: Leicht TOUR Magazin
Auch in diesem Jahr testete TOUR rund 100 Rennräder und Gravelbikes für seine Leser und Leserinnen. Welcher Hersteller baute das Leichteste, Schnellste oder Komfortabelste? Welches Modell war das Exklusivste, welches das Günstigste? Ein Rückblick auf die besten Räder des Jahrgangs 2023 nach Einzeldisziplinen. Hier: das Specialized Diverge STR Expert.

Bescheidenheit ist nicht gerade die Zier des Diverge STR. Im Gegenteil. Das Specialized zieht die Blicke auf sich, genauer gesagt der Rahmen – denn wo bei einem Diamantrahmen üblicherweise Ober- und Sitzrohr fest miteinander verbunden sind, spreizt sich ein Konstrukt aus Carbon und Metall in die Lücke: ein hydraulischer Dämpfer. In Kombination mit dem Federelement am Lenker ist das Diverge STR damit das erste vollgefederte Rennrad der US-Amerikaner - und verdient sich die Auszeichnung als komfortabelstes Gravelbike im TOUR-Test 2023.

Die komplizierte Federtechnik am Heck macht sich bezahlt: Das Diverge STR brettert in der weichsten Einstellung des Dämpfers über Unebenheiten hinweg.Foto: Borchers/Mediengruppe KlambtDie komplizierte Federtechnik am Heck macht sich bezahlt: Das Diverge STR brettert in der weichsten Einstellung des Dämpfers über Unebenheiten hinweg.

Puristen, die das Gravelbike als robusten und unkomplizierten Begleiter auf Schotterpisten und Straßen schätzen, werden an dieser Stelle vermutlich nach dem Sinn eines Gravel-Fullys fragen. Komplizierte Technik macht Schotterrenner auf jeden Fall schwerer, in der ­Regel wartungsintensiver und unter Umständen auch anfälliger für Defekte. Doch gilt das auch für das Diverge STR Expert?

Gravelbike mit Vollfederung

Gravelbikes mit Vollfederung, die fast ans Mountain­bike anschließen, sind im immer bunter werdenden Gravel-­Segment nicht neu, zu den prominenten Bei­spielen zählen das BMC Urs LT mit Federgabel und Elastomer­-Puffer am Hinterbau oder Cannondales Topstone Carbon Lefty. Specialized ­ergänzt am Diverge STR die bekannte Future-Shock-­Federung am Lenker um ein aktives hydraulisches Dämpferelement am Hinterbau, das die federnde Sattelstütze im Zaum hält. Dafür betrieb die Entwicklungs­abteilung in Morgan Hill enormen Aufwand, rund fünf Jahre tüftelten die US-Amerikaner am Rahmen. ­

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Es waren wortwörtlich Blut, Schweiß, Tränen und Überstunden - gespickt mit nagendem Zweifel, ob es die Technologie jemals über die Ziellinie schafft. | Chefentwickler Luc Callahan über das Diverge STR

“Es waren wortwörtlich Blut, Schweiß, Tränen und Überstunden – gespickt mit nagendem Zweifel, ob es die Technologie jemals über die Ziellinie schafft”, wird Chefentwickler Luc Callahan auf der Specialized-Website ­zitiert. So entstand nach etlichen Prototypen ein Rahmen mit Heckfederung, deren Kernstück der hydraulische Dämpfer am Oberrohr ist. Die Sattelstütze selbst steckt in ­einem zweiten Carbonrohr, dessen Ende tief unten im Sitzrohr geklemmt wird, etwa auf Höhe des Flaschenhalters.

Über die gesamte Länge ­federt die Stütze nach hinten/unten, was am Sattel bis zu 30 Millimeter Federweg ergibt; diesen Federweg zähmt der Dämpfer, damit die Stütze beim Pedalieren nicht störend wippt. Der Härtegrad des Systems lässt sich anpassen: Am Dämpfer auch während der Fahrt in drei Stufen oder in der Werkstatt durch Drehen des Carboneinsatzes. Der weist je nach Montagestellung zwei unterschiedliche Härtegrade auf und zählt in zwei Versionen zum Lieferumfang.

Kein Wippen, kein Knarzen

Das klingt nicht nur in der Theorie kompliziert, auch in der Praxis dauert es etwas, bis man alle Einstellmöglichkeiten erfasst und angepasst hat. Selbst Specialized weist darauf hin, dass das System aufgrund seiner Komplexität “nur von einem professionellen ­Mechaniker” montiert werden sollte. Während der Fahrt überzeugt das US-Bike aber vollauf und bügelt wirklich eindrucksvoll und kräfteschonend über Un­ebenheiten hinweg. Speziell grobe Schläge schluckt das Diverge STR mit der Federung an Front und Heck, wobei das Future-­Shock-System konstruktionsbedingt den Lenker relativ hoch und den Fahrer in eine betont aufrechte Sitzposition bringt.

Im Staufach im Unterrohr lassen sich Pannen-Set oder Energieriegel verstauen.Foto: Borchers/Mediengruppe KlambtIm Staufach im Unterrohr lassen sich Pannen-Set oder Energieriegel verstauen.

Muss man auf einem ungefederten Gravel­bike bei Schlaglöchern oder Wurzeln vom Gas gehen, damit es einem den Lenker nicht aus der Hand schlägt, brettert das Diverge in der weichsten Einstellung des Dämpfers einfach darüber hinweg. Kein Wippen, kein Knarzen. Das System funktioniert einfach. Trotz des hohen Radgewichts von 9,7 Kilogramm ist man erstaunlich flott unterwegs, auch auf Asphalt rollt das Specialized mit blockiertem Federsystem vergleichsweise zügig. Die 42 Millimeter breiten Reifen, die an unserem Testrad ohne Schlauch montiert waren, dämpfen mehr als ausreichend.

Welche Zielgruppe sich von dem Rad und seiner aufwendigen Technik angesprochen fühlt, wird sich weisen – sie dürfte aber vergleichsweise klein bleiben: Die US-Amerikaner hängen dem Diverge STR ein Preisschild um, das viele Interessenten von vorneherein ausschließt. Das von uns getestete günstigste Modell mit kombiniertem Einfach-Antrieb von SRAM Rival und GX Eagle kostet 7000 Euro. Zum Marktstart waren noch 500 Euro mehr fällig. Für die S-Works-Version ruft Specialized sogar 14.000 Euro auf. Ob man so ein edles Stück Technik tatsächlich regelmäßig Matsch und Dreck und dem Beschuss durch aufwirbelnden Schotter aussetzen möchte?

Specialized Diverge STR Expert im Überblick

Specialized Diverge STR ExpertFoto: Borchers/Mediengruppe Klambt

Gewichte & Geometrie

  • Gewicht Rahmen/Gabel/Steuerlager: 1652/452/64 Gramm
  • Rahmengrößen: 49, 52, 54, 56, 58, 61 (Testgröße gefettet)
  • Sitz-/Ober-/Steuerrohr: 490/570/131 Millimeter
  • Stack/Reach/STR: 618/388 Millimeter/1,59
  • Radstand/Nachlauf: 1045/53 Millimeter

Ausstattung

  • Antrieb/Schaltung: SRAM Rival eTap/SRAM GX Eagle eTap (1x12; 40, 10-50 Z.)
  • Bremsen: SRAM Rival (160/160 mm)
  • Laufräder/Reifen (Gewichte): Roval Terra/Specialized Tracer Pro 42 mm (v./h. 1525/2317 g)

Messwerte & Einzelnoten

  • Gewicht Komplettrad: 9,7 Kilo | Note: 3,7
  • Lenkkopfsteifigkeit: 112 Nm/° | Note: 1,0
  • Seitensteifigkeit Gabel: 0 N/mm* | Note: 1,0
  • Tretlagersteifigkeit: 64 N/mm | Note: 1,0
  • Federhärte Sattelstütze: 35 N/mm | Note: 1,0
  • Federhärte Gabel: 0 N/mm* | Note: 1,0
tour/spinne-specialized-diverge-str_33324aab813a9b5214cc98cc458d1c55Foto: TOUR Magazin

*Die Seitensteifigkeit der Gabel kann konstruktionsbedingt mit dem TOUR-Prüfstand nicht ermittelt werden. Zudem liefert der Komfortmesswert der Gabel konstruktionsbedingt keinen Hinweis auf den tatsächlichen Federweg am Lenker. Die Bewertung berücksichtigt sowohl die Konstruk­tion als auch den Messwert am Lenker.


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