15.000 Euro Listenpreis fordern manche Hersteller für ihr Top-Modell. Das finden nicht wenige Rennradler verrückt. Andererseits gibt es Räder, die weniger als ein Zehntel davon kosten; auf denen kann man auch in die Pedale treten und glücklich sein. Warum also aufregen? Dass ein vertrautes Preisgefüge ins Wanken gerät, betrifft alle Lebensbereiche – und die Teuerung macht vor Rädern nicht halt. Die Radindustrie hat indes gegenüber anderen Branchen eher aufgeholt als vorgelegt, es gibt heute aber zumindest gefühlt ein größeres Angebot an teuren und sehr teuren Produkten als vor zehn oder 15 Jahren. Die Eckpreise für ein “Dura-Ace-Rad” sind deutlich gestiegen, die Top-Komponenten aller Hersteller erheblich teurer geworden.
Die gestiegenen Preise gehen aber einher mit der Tatsache, dass alle Teile besser funktionieren, insbesondere die preiswerten. In der Bedienung sind kaum Unterschiede auszumachen zwischen den günstigsten und teuersten Teilen von Shimano & Co. Eine aktuelle Shimano 105 ist einer älteren mechanischen Dura-Ace-Gruppe klar überlegen. Und die elektronischen Schaltungen sind sowieso alle auf Superniveau, auch die billigsten. Es gibt also keinen Grund, ausschließlich Räder der Top-Liga mit dem größten Preisschild ins Kalkül zu ziehen.
Der Trend zum teuren Rad ist ohnehin nicht die ganze Wahrheit. Es gibt durchaus sehr günstige Produkte. Höchst wandelbare Allroad-Rennräder wie das Rose Blend (>> hier reduziert erhältlich)sind eine Bereicherung für den Markt und nicht nur für Neulinge auf schmalen Reifen attraktiv, die damit ausloten können, wie und wo der Fahrspaß für sie am größten ist. Die Räder sind ab 1200 Euro erhältlich. Das moderne Rennrad in der Gestalt eines Allroadbikes ist vielseitiger einsetzbar als früher (außer wir gehen in der Rennradhistorie sehr weit zurück, denn da waren die Reifen auch breiter). Wir sehen also auf der einen Seite immer speziellere Produkte, hinter denen teilweise extreme Entwicklungsarbeit steckt, beispielsweise mit komplexen Berechnungen und aufwendigen Windkanaltests, auf der anderen Seite aber eine Vielzahl interessanter Räder, die den Ansprüchen eines Hobbysportlers viel mehr entgegenkommen als teure Rennräder vergangener Tage.
Räder mit nutzerfreundlichen Getrieben für die Berge und Platz für breite Reifen in Gabel und Hinterbau bringen erlebbaren Mehrwert. Neben Industrieprodukten gibt es zudem feines Handwerk, das individuelle Räder schafft, in tausendundeiner Ausprägung, regional oder international, ganz nach Geschmack. Mit anderen Worten: Wir sind in der luxuriösen Situation, aus dem Vollen schöpfen zu können. Es gibt phantastisches Material für wirklich jeden Geschmack, wahlweise auf höchstem technischem Niveau oder so individuell, dass das Rad kein zweites Mal auf dieser Welt existiert.
Hinter vielen dieser Produkte steckt tatsächlich großer Aufwand; man kann das kaufen – man muss aber nicht. Das Beste daran: Das Rennrad ist auch 2024 immer noch eine überschaubar komplizierte mechanische Maschine, die sich gegebenenfalls tunen und an die eigenen Vorlieben anpassen lässt. Das beginnt bei Kleinigkeiten mit großer Wirkung, wie der Wahl von Sattel, Lenker und Pedalen, und geht weiter mit Laufrädern oder Reifen, die den Charakter des Rades verändern können. Schneller, bequemer, schöner, leichter, individueller – es gibt viele Gründe, am Rad zu schrauben. Und man kann es tun, auch im Zeitalter integrierter Lenker. Diese machen das Leben nicht leichter, aber schöner, und es gibt nach wie vor Räder, die ganz konventionell zusammengesteckt werden. Es ist ein einziges Schlaraffenland, in dem wir uns bewegen. Wir haben die Wahl!
Das Rennrad lädt ein zur Individualisierung. Ein besserer Sattel, ein schnellerer Reifen und ein handschmeichelnder Lenker sind der Einstieg ins Selberschrauben. - Robert Kühnen
Eine Wahrheit ist allerdings geblieben: Leichtbau kostet Geld. Ein 1000-Euro-Rennrad wiegt um die 10,5 Kilogramm. Manche finden das schwer, anderen ist es egal. Objektiv gesehen sind 10,5 Kilo jedoch kein Problem. Zur Orientierung: Das Durchschnittsgewicht der Profi-Rennräder bei der Tour de France liegt in diesem Jahr bei 7,5 Kilogramm – in Relation zum geringen Körpergewicht der Profis sind die Räder der weltbesten Profis daher kaum leichter als die einfachen Maschinen von Freizeitfahrern in Relation zu deren Gewicht.
Im Unterschied zum Profi, dem das Reglement 6,8 Kilogramm Mindestradgewicht aufbürdet, kann der Hobbyist sein Rad aber unbegrenzt erleichtern und verrückte Teile einkaufen, bei denen Materialprofis monatelang darüber gehirnt haben, wie 70 Gramm Carbon-Faser am effektivsten einzusetzen sind.
Der einzige Haken bei so viel Freiheit ist: der Preis. Rund 1000 Euro pro Kilo kostet die Diät, um das Radgewicht in die Nähe der Profi-Boliden zu bringen. Bei weniger als acht Kilo zieht der Preis weiter an, unterhalb von sieben Kilo kostet die Diät eher 2000 bis 3000 Euro pro Kilo, die letzten Gramm sind die teuersten. Das Limit liegt irgendwo bei etwas über fünf Kilogramm und entzieht sich einer Kosten-Nutzen-Betrachtung. Aber, wir haben die Freiheit. Die Freiheit, nicht die Pflicht. Wer im Gewichtstuning seine Erfüllung findet, kann Excel-Listen pflegen, selber die Feile schwingen und sich mit Gleichgesinnten im Weight-Weenies-Forum austauschen. Das Rennrad macht all das möglich. Das ist doch wunderbar. Und außerdem kann man damit ganz prima eine Runde drehen und dabei darüber nachdenken, was sich noch alles verbessern ließe.