Unbekannt
· 30.06.2015
Gegen die Preisvorteile der Versandmarken haben stationäre Fachhändler einen schweren Stand. Wir haben inkognito bei vier Anbietern Carbonrenner um 2.000 Euro bestellt.
Immer mehr Radsportler kaufen ihr Rennrad per Mausklick. Laut einer Erhebung des Zweirad-Industrie-Verbandes ZIV wurden 2013 rund 30 Prozent aller Verkäufe im Fahrradhandel via Internet abgewickelt. Wie hoch der Anteil der Online-Käufer unter den Rennradlern ist, verraten die Zahlen zwar nicht. Doch dass der Versandhandel auch hier eine starke Stellung hat, belegen die Daten der jährlichen Leserbefragung von TOUR. Danach zählen die Direktanbieter Canyon und Rose seit Jahren zu den bestverkauften Rennradmarken in Deutschland.
Die Gründe für deren Erfolg aus Sicht der Kunden liegen auf der Hand: kein Stress mit Ladenöffnungszeiten, großzügige Rückgabemöglichkeiten im Rahmen des Fernabsatzgesetzes und niedrigere Preise gegenüber Fachhandelsmodellen. Letztere erklären sich vor allem damit, dass Versender wie etwa Canyon und Rose Hersteller und Händler in einem sind. Den Wegfall der entsprechenden Handelsspanne geben die Firmen als Preisvorteil an ihre Kunden weiter. Entweder, indem sie gleichwertige Räder günstiger anbieten als der Fachhandel – oder auf dem gleichen Preisniveau technisch bessere Räder.
Diese Versandräder haben wir getestet:
• Canyon Ultimate CF SL 8.0
• Radon Spire 7.0
• Rose Xeon TEam CGF-3000
• Votec VRC Comp
VIELE FRAGEN BEIM RENNRADKAUF ÜBER DEN VERSANDHANDEL
Allerdings birgt der Versandkauf auch Tücken. Wer Wert auf eine Probefahrt legt, steht bei den Direktanbietern naturgemäß vor einem Hindernis. Grundsätzlich geht das zwar, aber die meisten Kunden müssen dafür erst die halbe Republik durchqueren, was den Preisvorteil relativiert. Außerdem stellen sich weniger informierte Käufer vor dem Rennradkauf viele Fragen, die ein kompetenter Fachhändler im Dialog mit dem Kunden möglicherweise besser beantwortet als der anonyme Verkäufer eines Callcenters oder eine Internetrecherche: Welche Geometrie ist die richtige für mich? Mit welchem Schaltsystem komme ich am besten klar? Last but not least: Welche Rahmengröße brauche ich? Auch Rennradler, die genau wissen, welches Rad sie haben wollen, sind nicht vor Überraschungen sicher. So verrät einem niemand, in welchem Zustand das Rad angeliefert wird, oder ob es hält, was der Hersteller oder Tests versprechen.
Um Licht ins Dunkel zu bringen, gingen wir bei diesem Test zweistufig vor. Zunächst luden wir offiziell vier Versender zum Rad-Test in der 2.000-Euro-Klasse ein. Parallel ließen wir einen Mittelsmann die gleichen Räder kaufen, um ungefilterte Erfahrungen mit der Versandabwicklung machen zu können. Grundlage für die Bewertung der Räder sind aber, wie in allen Tests, die offiziell bestellten und an TOUR gelieferten Testräder. In der Auswahl befinden sich Canyon und Rose als Marktführer unter den Rennradversendern, dazu Radon als weiterer Anbieter mit langjähriger Erfahrung im Versand. Vierter im Bunde ist Votec. Die Marke des Online-Händlers Internetstores, unter Radsportlern bekannt durch die Verkaufsseiten fahrrad.de und bruegelmann.de, bietet erst im dritten Jahr Rennräder an.
Frohe Kunde von unserem Mittelsmann: Drei der vier Firmen konnten ihre Räder umgehend liefern, sechs Werktage nach der Bestellung am 5. März traf das Votec ein. Zwei Tage später kamen auch Canyon und Radon. Nur bei Rose dauerte es länger: In der automatischen Bestellbestätigung wurde als Lieferdatum der 24. April genannt. Das Rad kam dann aber eine Woche vor dem Termin.
VERSANDRAD AUSPACKEN – UND LOS?
Erste Unterschiede zeigten sich bei den Verpackungen. Das Votec kam in einem Riesen-Karton. Die 1,70 Meter lange Kiste war mit 40 Metallklammern sicher wie ein Tresor verschlossen. Auch das Rad war mit reichlich Wellpappe, Schaumgummi-Rollen und Polsterfolie bestens gegen Transportschäden geschützt. Nachteil: Bis es ausgepackt war, verging fast eine halbe Stunde. Deutlich schneller waren die anderen Räder ausgepackt. Canyon und Radon liefern in kleineren Kartons, die sich prima auch für Reisen ins Trainingslager eignen. Sehr durchdacht wirkt die Verpackung von Canyon: Schaumgummipuffer, die mit Klettband fixiert werden, schützen das Rad und halten das demontierte Vorderrad auf Abstand zum Rahmen. Zum Auspacken ist kein Werkzeug nötig. Für die Montage von Lenker und Stütze liegt ein simpler Drehmoment-Schlüssel mit mehreren Bits bei. Am schnellsten fahrfertig war jedoch dank des vormontierten Lenkers der Renner von Rose.
Probleme mit dem Montagezustand gab es nur bei Radon. Bei der Funktionsprüfung der Schaltung am Montageständer rutschte der Schaltzug am vorderen Umwerfer durch die Klemmschraube. Beim Versuch, den Zug zu klemmen, drehte sich der Werfer wegen einer ungeeigneten Unterlegscheibe nach innen. Für einen versierten Schrauber keine große Sache, wer aber noch nie eine Schaltung justiert hat, dem verhagelt ein solches Malheur womöglich das erste Wochenende mit der neuen Liebe. Radon ist unter den vier Marken aber insofern ein Sonderfall, als die Firma das Rad auf Wunsch über einen von europaweit mehr als 180 Service-Partnern ausliefern kann, die auch die Erstanpassung vornehmen. Die Erfahrung zeigt, dass dies nicht die schlechteste Idee ist.
Bei Votec setzte sich der rechte Zug nach mehreren Schaltvorgängen und musste leicht nachgespannt werden, ansonsten war die Montage einwandfrei. Etwas gewundert haben wir uns über den Sicherungsring, der mit einer Schraube auf der Sattelstütze geklemmt wird. Die Stütze hat leichtes Untermaß – sie ist einen Zehntel-Millimeter zu dünn. Wir vermuten, dass der Ring als zusätzliche Sicherung dient, ein Hineinrutschen der Stütze verhindern und die Klemme entlasten soll. Wer sich daran stört, sollte bei der Bestellung darum bitten, die Stütze gegen ein anderes Modell zu tauschen. Keine Kritikpunkte fanden sich bei Canyon und Rose. Beide Räder waren perfekt montiert. Auch die Schaltungen funktionierten tadellos.
Schließlich verglichen wir die Gewichte von offiziell bestellten Testrädern und inkognito gekauften Rädern. Bei Canyon, Radon und Votec lag alles im grünen Bereich. Bei Votec war das gekaufte Rad 70 Gramm schwerer, aber auch – wie bestellt – eine Nummer größer. Der Rahmen des Testrads in der nominellen Rahmengröße 54 erwies sich um fünf Millimeter kürzer als auf der Webseite angegeben. Damit ist das Rad eigentlich zu klein für unseren Test. Für das gekaufte Rad in Größe 56 war die Geometrieangabe korrekt.
DIE ÜBERRASCHUNG
Das einzige Modell mit relevanten Abweichungen war das Xeon Team CGF-3000 von Rose. 230 Gramm Mehrgewicht trennen das gekaufte Rad vom Testrad. Zwar sind die Rahmen wegen einer Unaufmerksamkeit bei der Bestellung nicht identisch lackiert, eine Erklärung für den großen Unterschied ist das aber nicht. Der setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen: Lenklager und Klemmkonus im Gabelschaft wiegen zusammen 66 Gramm mehr, Rahmen und Gabel sind beim gekauften Rad 44 beziehungsweise 46 Gramm schwerer, weitere 74 Gramm verstecken sich in der Ausstattung. Schwerer als die Gewichtsunterschiede wiegt aber, dass die Gabeln der Räder aus unterschiedlichen Fertigungsformen stammen. Zudem unterscheiden sie sich nicht nur beim Gewicht, sondern auch in den Steifigkeitswerten. Die Gabel im Testrad trägt mit fabelhaftem Komfortwert und höchster Seitensteifigkeit maßgeblich zur überragenden Bewertung des Rahmen-Sets mit der Note 1,3 bei. Die Gabel im gekauften Rad dagegen liefert nur eine durchschnittliche Performance (Komfortwert 83 N/mm, Seitensteifigkeit 63 N/mm), dieses Rahmen-Set bekäme deshalb die Einzelnote 1,6. So würde aus der Gesamtnote 1,6 (Testrad) eine etwas schlechtere 1,8 (gekauftes Rad). Das wäre immer noch ein sehr gutes Testergebnis; trotzdem bleibt ein kleiner Beigeschmack, dass der inkognito gekaufte Renner nicht das hält, was das Testrad verspricht.
Wir konfrontierten Erwin Rose, Senior-Chef des Bocholter Versenders, mit dem Befund. Rose war von den Abweichungen überrascht, nannte aber umgehend eine Erklärung, die wir so stehen lassen (s. Interview oben). Wegen einer kürzlich erfolgten Umstellung stammen die Rahmen-Sets aus unterschiedlichen Produktionsstätten. Dabei hat der neue Hersteller, von dem der Rahmen des gekauften Rades stammt, noch Probleme, die Vorgaben von Rose zu Gewichten und Steifigkeiten exakt zu treffen. Rose sagte aber zu, gemeinsam mit dem Rahmenhersteller mit Hochdruck an einer Lösung des Problems zu arbeiten.
Dieses Detail ist natürlich kein Argument gegen den Kauf eines Versandrades. Generell zeigt der Test, dass die vier Versender ihr Geschäft beherrschen. Die systemimmanente Schwäche des Versandhandels bleibt die Schnittstelle zum Kunden. Wer nicht genau weiß, was er will, eine intensive Beratung wünscht und zwischen mehreren Optionen vergleichen will, für den bleibt der Kauf bei einem gut sortierten Fachhändler vermutlich der sicherere Weg zum neuen Traumrad.